Familie des Vampirs
1815 in Wien: Eine bunte Gesellschaft hat sich in der Weltstadt versammelt. Das politische Tauziehen des Wiener Kongresses ist beendet und nun trifft man sich in gemütlicher Runde¸ um Gruselgeschichten auszutauschen. Mit von der Partie ist Serge d’Urfé¸ der seinen Zuhörern eine Erzählung größter Unheimlichkeit verspricht¸ die dazu noch wahr ist – sie ist ihm selbst passiert.
In jungen Jahren unsterblich in die Fürstin Isabelle Grammont verliebt¸ beschließt er¸ in den Diplomatendienst zu gehen¸ da Isabelle seine Avancen offensichtlich nicht erwidert. Zum Abschied¸ erschüttert darüber¸ dass sich Serge ins gefährliche Osteuropa begeben wird¸ schenkt sie ihm ein Kreuz und warnt ihn eindringlich vor den Gefahren der bevorstehenden Reise.
Es verschlägt Serge in das kleine serbische Dorf Kisolova¸ wo er bei der Familie des Gortscha Unterkunft findet. Die Stimmung ist gedrückt¸ denn der alte Gortscha hatte sich aufgemacht¸ einem Räuber (und Schlimmerem) den Garaus zu machen. Kehre er innerhalb von zehn Tagen nicht zurück¸ solle man ihn für tot halten. Kehre er aber nach Ablauf der zehn Tage nach Hause zurück¸ so solle man ihn für einen Vampir halten und ihm eine Pflock durchs Herz treiben. Der Tag¸ an dem Serge bei der Familie eintrifft¸ markiert genau den Ablauf des gesetzten Frist. Und tatsächlich¸ mit dem Stundenschlag kehrt Gortscha heim. Doch niemand wei߸ ob die zehn Tage nun abgelaufen sind oder nicht ...
Der alte Gortscha ist plötzlich stark verändert¸ er fährt seine Familie an und ist ungewöhnlich aufbrausend. Zwar hat er den Räuber getötet¸ so wie er es sich vorgenommen hatte¸ doch scheinbar sind in den zehn Tagen noch andere Dinge von Bedeutung passiert: Gortscha hat sich in einen Wurdalak¸ einen Wiedergänger verwandelt¸ der Nachts um das Haus seiner Angehörigen schleicht und einen nach dem anderen zu sich holt.
Während sich Gortscha zunächst an seinen Enkel ranmacht¸ wirft Serge – selbst kein Kostverächter – ein Auge auf Zdenka¸ eine bezaubernde Landschönheit¸ in die er sich sofort Hals über Kopf verliebt. Er schwört ihr ewige Liebe¸ doch bevor er Zeuge der Eskalation der Vampirsituation in Kisolova werden kann¸ muss er die Weiterreise antreten.
Als er ein halbes Jahr später auf der Rückreise wieder durch Kisolova kommt¸ findet er das Dorf ausgestorben vor. Der Priester des nahe gelegenen Klosters warnt Serge¸ dass alle dem Wurdalak Gortscha zum Opfer gefallen wären ... und Zdenka habe den Verstand verloren. Natürlich begibt sich Serge bei der Erwähnung dieses Namens in die Höhle des Löwen. Doch welche Schrecknisse werden ihn wohl erwarten¸ wenn er in Kisolova übernachtet?
Alexej K. Tolstois Erzählung "Die Familie des Vampirs" (manchmal auch "Die Familie des Wurdalak") von 1847 setzt dem osteuropäischen Volksglauben um den Wiedergänger ein literarisches Denkmal. Tatsächlich fand nämlich in dem durchaus realen Kisolova im 18. Jahrhundert eine Vampirplage statt¸ der ein Großteil der Dorfbevölkerung zum Opfer fiel. Die behördlichen Dokumente zu den Toden und den darauffolgenden Exhumierungen vermeintlicher Vampire unter der Aufsicht von Staatsbeamten sind noch heute klassische Texte der Vampirliteratur und erregten seinerzeit großes Interesse bei Wissenschaftlern und Theologen. Wie im Volksglauben ist auch Tolstois Wurdalak ein Vampir¸ der von den Toten wiederkehrt¸ um jedoch ausschließlich seine nahen Familienangehörigen mit in den Tod zu reißen. In manchen ländlichen Gebieten Südosteuropas hat sich der Glauben an Wiedergänger bis heute gehalten.
Tolstoi fügt solche Versatzstücke des serbokroatischen Volksglaubens immer wieder in die Erzählung ein und Marc Gruppe verstärkt diese Elemente noch in seiner Hörspielbearbeitung. Gruppe macht aus der Erzählung eine klassische Gruseltour¸ indem er den Originaltext an einigen Stellen durchaus auffällig verändert. So lässt er Serges Frauengeschichten¸ die sich bei Tolstoi ironisch durch den Text ziehen¸ zugunsten einer romantischen Liebe fallen und schreibt den Schluss von "Die Familie des Vampirs" komplett um¸ um das Hörspiel mit einem Knalleffekt enden lassen zu können.
Mit seiner furiosen Schlussklimax kann das Hörspiel das etwas behäbige Ende von Tolstois Erzählung spannender gestalten. Gruppes Idee¸ den zentralen Konflikt zwischen Zdenka und Serge in die Rahmenhandlung hinüberzutragen und mit einem Cliffhanger enden zu lassen¸ trägt durchaus zum gesteigerten Unterhaltungswert bei. Um Serges Charakter als Frauenheld ist es allerdings irgendwie schade - diese Einschübe Tolstois geben der Erzählung Leichtigkeit und Verschnaufpausen zwischen den unheimlichen Elementen. Im Hörspiel wurden sie leider eliminiert¸ um nicht von der eigentlichen Handlung abzukommen.
Titania Medien konnte für seine Reihe "Gruselkabinett" bekannte Namen verpflichten. So wird Serge d’Urfé von David Nathan gesprochen¸ den viele als die deutsche Stimme von Johnny Depp kennen werden. Er mimt die Hauptrolle in gewohnter Qualität¸ stimmliches Highlight des Hörspiels ist allerdings Jürg Löw als Gortscha¸ der so maskulin¸ furchteinfößend und ruppig durch die Laustsprecher kommt¸ dass es eine wahre Freude ist. Ebenfalls erwähnenswert ist die Musik von Manuel Rösler¸ dessen Untermalung wie eine Hommage an alte Horrorfilmklassiker klingt und damit an den Schlüsselstellen die gewohnten Gruselschauer beim Publikum hervorruft.
Titania arbeitet sich mit seinen Gruselhörspielen langsam aber sicher durch die klassischen Texte der Horrorliteratur. Man kann nur hoffen¸ dass die Macher auch weiterhin ein so glückliches Händchen bei Text- und Sprecherauswahl haben werden. Bisher zumindest ist es ein ungeteiltes Vergnügen¸ sich bei den Hörspielen von Marc Gruppe wohlige Schauer über den Rücken jagen zu lassen.
Eine Rezension von: Michaela Dittrich http://www.buchwurm.info/