Die Vatikan-Verschwörung
Der Herr der Einfälle ...
wurde Kai Meyer dereinst von Sat.1 betitelt¸ und an Einfällen scheint es dem umtriebigen Federschwinger beileibe nicht zu mangeln¸ betrachtet man seine muskulöse Bibliographie¸ die seit 1993 auf über 40 Romane herangewachsen ist¸ die zusätzlich Hörspiele¸ Hörbücher und zwei Drehbücher für zwei Filme enthält. Da ich hier nur einen unbefriedigend kleinen Ausschnitt aus Meyers Schaffen beleuchten könnte¸ lasse ich den Versuch hiermit vollends bleiben und widme mich stattdessen der "Vatikan-Verschwörung"¸ einer High-End-Hörspieladaption des Romans "Das Haus des Daedalus".
Kirchen¸ Kunst und Killerkardinäle.
Zumindest für die ersten beiden ist Rom bekannt¸ weshalb Kunstdetektiv Jupiter seinem Job dort in einer alten Kirche nachgeht. Er nutzt die Gelegenheit¸ um Coralina wiederzutreffen¸ und da sie keine 15 Jahre mehr alt ist¸ kann er sich endlich eingestehen¸ wie hübsch sie ist. Außerdem ist sie selbst zu einer erwachsenen Kennerin des Kunstgewerbes herangewachsen¸ wie Jupiter spätestens dann feststellen muss¸ als sie ihm in besagter Kirche einen fantastischen Fund offenbart: 16 Druckplatten¸ Grundlage für die morbiden "Carceri"-Motive des Künstlers Piranesi. Aber damit nicht genug: Coralina hat eine 17. Druckplatte gefunden¸ von deren Existenz die gesamte Kunstwelt keine Ahnung hat. Ehe Coralina damit auf illegale Weise ihre knappe Kasse füllen kann¸ wird sie zusammen mit Jupiter in einen Strudel des Geheimnisvollen gerissen:
Polizei und hohe Würdenträger der Kirche versperren den Zugang zur Kirche¸ in der Coralina die 16 Platten des Piranesi gefunden hat¸ aber ehe die beiden unauffällig von dannen ziehen können¸ fällt ihnen der Straßenkünstler Cristofero ins Auge: Der hockt nämlich seelenruhig auf der Straße und hat ein genaues Abbild der 17. Druckplatte angefertigt! Schnell versuchen sie den Straßenmaler in Sicherheit zu bringen¸ dumm nur¸ dass sie dabei vom zwielichtigen Kirchenmann Landini beobachtet wurden.
Ab diesem Zeitpunkt werden Jupiter und Coralina gejagt¸ entführt und gefoltert¸ sie dringen in das Herz des Vatikan vor¸ enthüllen dort interne Zerwürfnisse und schreckliche Geheimnisse¸ von denen das Geheimnis um die 17 Kupferplatten des Piranesi das beunruhigendste ist¸ wie sie bald am eigenen Leib erfahren müssen ...
Warum isset im Vatikan so schön?
Das möchte man fragen¸ wenn einem der Rahmen der Story ins Auge hüpft. Geheimbünde¸ Geheimnisse¸ fiese Folterer im Namen der Kirche¸ Verschwörungen und Unerklärliches¸ das alles in den Mixer und gut durchgemanscht. Na¸ das hatten wir doch schon. Aber halt: Man darf dabei nicht vergessen¸ dass "Die Vatikan-Verschwörung" bereits 2000 erschienen ist¸ unter dem Titel "Das Haus des Daedalus"! Meyer in diesem Zusammenhang Trittbrettfahrerei nachzusagen¸ wäre daher unfair und schlicht falsch; die große Welle startete in Deutschland erst 2003 mit Dan Browns "Illuminati".
Ich allerdings habe die Story eben 2007 gehört¸ zugebombt und gemästet mit diesem Sujet¸ und das macht es mir verdammt schwer¸ einen objektiven Eindruck über "Die Vatikan-Verschwörung" zu äußern. Angefangen hat es überaus atmosphärisch und spannend: Kunstdetektiv Jupiter¸ herrlich gesprochen von Andreas Fröhlich (u. A. Edward Norton und "Gollum")¸ führt den Hörer mit seiner angenehmen Stimme in die Story hinein¸ in der gleich zu Beginn subtile Anzeichen eine mysteriöse Stimmung erzeugen: So regt sich Jupiter darüber auf¸ dass in Rom nicht mehr alles dort zu sein scheint¸ wo es sein sollte¸ und löst mit diesem Eindruck auch bei eingefleischten Einheimischen unbehagliche Zustimmung aus ...
Aber auch so entwickelt sich die Story dicht und mitreißend: Hintergrundinfos über Coralina und Jupiter fließen locker in den Spannungsaufbau ein¸ ohne ihn zu behindern. Als die Druckplatten von Piranesi entdeckt werden¸ gestaltet sich die Informationssuche der beiden Protagonisten als spannende Schnitzeljagd¸ die von Verfolgern geprägt ist¸ von Gefahren und zweifelhaften Verbündeten ‐ schon zu Beginn zeichnet sich ab¸ dass es sich bei den Druckplatten nicht nur um ein unschätzbar wertvolles Kunstwerk handelt!
Und Meyer setzt der dichten Atmosphäre noch einen drauf: Zwischen den Szenen bollert immer wieder eine herrlich rumpelige Tonbandaufnahme aus den Boxen¸ auf der Unbekannte mit ängstlichen Stimmen eine Art Expeditionstagebuch führen. Dass die Luft immer schlechter wird¸ sagen sie¸ dass ihnen der Abstieg zunehmend körperliche Mühen bereitet und irgendwann übertönen überaus beunruhigende Geräusche die ängstlichen Rufe der Sprechenden ... Und genau das fixt den Hörer an und unterstreicht¸ dass Jupiter und Coralina auf etwas sehr Unheimliches gestoßen sind.
Flotte Fahrt zu fadem Finale.
Das Problem bei der Sache ist und bleibt allerdings¸ dass sich für den übersättigten Kirchenthrillerfreund so manche Enthüllung recht unspektakulär anfühlt. Die besagten Geheimbünde sind nichts Neues¸ und dass Vertreter der Mutter Kirche über Leichen gehen¸ um Geheimnisse zu bewahren¸ ist beileibe kein schockierendes Attentat auf das moderne Weltbild mehr. Trotzdem fiebert man mit den beiden Protagonisten mit¸ denn wer Freund ist und wer Feind¸ das erkennt auch ein geschultes Thrillerauge (oder -ohr) nicht auf den ersten Blick.
So richtig bei der Stange halten einen allerdings das Geheimnis der 17 Druckplatten und das seltsame Tonband. Leider bekommt der Leser nicht die Antworten¸ die er sich wünscht ‐ zumindest gilt das für mich. Als Jupiter und Coralina diesen Geheimnissen auf die Spur kommen und nebenbei noch das Rätsel um die seltsamen Ortsverschiebungen in Rom lüften¸ bleibt ein leicht fader Nachgeschmack. Oh¸ Fragen bleiben keine offen¸ aber dummerweise machen die Antworten fast neugieriger¸ als es die Fragen zu Beginn der Story getan haben. Und das ist für mich der entscheidende Kritikpunkt an der "Vatikan-Verschwörung".
Dass die Story zu spät auf den Markt gekommen ist¸ dafür kann Meyer natürlich nichts¸ aber dass die "Vatikan-Verschwörung" genau dort mit Ideen geizt¸ wo sie eigentlich so richtig hätte loslegen können¸ enttäuscht mich gewaltig. Meyer baut Spannung auf¸ reißt den Deckel von etwas wirklich Großem herunter¸ um ihn sofort wieder draufzuknallen¸ nachdem man einen unbefriedigend kurzen Blick hineingeworfen hat. Verschenktes Potenzial¸ ein Mystery-Häppchen¸ auf das kein Hauptgang kommt.
Professionell angerichtetes Ohrenfest.
Das drückt "Die Vatikan-Verschwörung" dann auf das Prädikat "unterhaltsam" herunter. Spaß macht das Hörerlebnis nämlich allemal¸ die Figuren zeichnen sich zwar nicht durch unauslotbare Tiefen aus¸ sind aber vollkommen glaubwürdig und echt¸ die beiden Protagonisten sind sympathisch¸ die Gegner sind schön hinterhältig und böse. Der Spannungsaufbau ist sauber und der Informationsfluss ist es auch; Meyer hat ein solides Puzzle gebastelt¸ das man gemeinsam mit Coralina und Jupiter zusammensetzen darf. Es gibt Action¸ es gibt Fieslinge¸ es gibt Wendungen¸ Romantisches gibt es auch und historisch Interessantes sowieso.
Soundtechnisch ist das Ganze obendrein hochprofessionell umgesetzt worden: Bombastische Choräle und Kirchenmusik sorgen für Hollywood-Flair¸ die Spannungsmusik wurde exquisit ausgewählt und eingesetzt und Hintergrundgeräusche erwecken mit großer Liebe zum Detail römisches Flair¸ Kirchen- oder Höhlenstimmung.
Selbst Unterhaltungen werden überaus detailliert dargestellt¸ Stühle knarren¸ wenn jemand aufsteht¸ die Stimme des Aufgestandenen wird leiser¸ wenn er sich entfernt¸ verrückt sich im Stereobild in der Richtung¸ in die er unterwegs ist¸ und wird mit Schrittgeräuschen untermalt. Klasse! Die hervorragend ausgewählten Sprecher tun ihr Übriges¸ um das sprichwörtliche "Kino im Kopf" entstehen zu lassen: Wenn Andreas Fröhlich zur Vernunft drängt¸ kann man das besorgte Gesicht von Julius beinahe sehen; ähnlich ergeht es einem mit Coralina¸ wenn Antje von der Ahe mit einem koketten kleinen Lachen Zustimmung signalisiert und gleichzeitig zeigt¸ wie jung und verspielt Coralina eigentlich noch ist. Keine Frage¸ hier haben absolute Profis den Figuren von Meyer Leben eingehaucht und sorgen für ein Hörerlebnis auf Hollywood-Niveau.
Für kurzweilige Unterhaltung sorgt die Vatikan-Verschwörung also unbedingt; ob man die B-Noten Abzüge verkraften kann¸ für das überstrapazierte Vatikan-Thema und das enttäuschende Finale¸ muss der geneigte Mystery-Freund aber selbst entscheiden. Ein Fehlkauf ist diese Doppel-CD aber bestimmt nicht.
Eine Rezension von: Alf Stiegler http://www.buchwurm.info/