Amulett der Mumie
Abel Trelawny ist Mumienforscher. Sein gesamter Haushalt ist mit Fundstücken aus dem alten Ägypten vollgestellt und das ganze Haus durchweht der (recht stickige) Dunst der Geschichte. Doch eines Nachts¸ als er wie immer an seinen Forschungen arbeitet¸ findet ihn seine Tochter Margaret aus tiefen Schnittwunden an den Handgelenken blutend in seinem Arbeitszimmer vor. Der hinzugezogene Arzt versorgt zwar die Wunden¸ doch Trelawny will einfach nicht aus seinem unnatürlichen Schlaf erwachen.
Man steht vor einem Rätsel. Ein Beamter von Scotland Yard¸ Sergeant Daw¸ und der Anwalt der Familie¸ Malcolm Ross¸ werden hinzugezogen¸ doch ob und von wem Trelawny in seinem Arbeitszimmer angegriffen worden ist¸ lässt sich partout nicht feststellen. Mehr und mehr jedoch macht sich seine Tochter Margaret verdächtig¸ die erst seit kurzem im Haus ihres Vaters lebt.
Bram Stoker (1847-1912) ist den meisten natürlich ein Begriff. Der Ire war eigentlich dem Theater verpflichtet und arbeitete für den seinerzeit berühmtesten Shakespeare-Darsteller¸ Henry Irving. Zeit zum Schreiben fand er daher nur in seiner raren Freizeit¸ im Urlaub oder auf Tourneen. Heute ist er fast ausschließlich für seinen Vampirroman "Dracula" bekannt¸ kein weiteres seiner Werke (er verfasste eine Anzahl Kurzgeschichten und Romane) schaffte den gleichen anhaltenden Erfolg. Heute sind seine anderen Werke höchstens noch dem Liebhaber trashiger B-Movies als Titel bekannt. Und so basiert auch "Das Amulett der Mumie" auf Stokers Roman "Die sieben Finger des Todes" (engl. "The Jewel of the Seven Stars")¸ ein Stoff¸ der immer wieder gern verfilmt wird. Das alte Ägypten¸ mysteriöse Mumienfunde und ein Schuss Magie begeistern damals wie heute.
Auch Stoker spielt schon mit dieser Faszination und schreibt¸ was später ein stereotyper Plot werden soll: Eine Mumie¸ die¸ aus ihrer Grabkammer entwendet¸ wieder zum Leben erwacht (wahlweise: erwachen will). Stoker setzt darauf¸ mit gut erhaltenen Mumien¸ Grabfunden und der vergessenen Geschichte des Landes das Interesse des Lesers wecken zu können. Und tatsächlich stellt sich beim Genuss des Hörspiels die bekannte Faszination angesichts der alten Kultur ein. Wirklich gruslig dagegen wird es nur an ausgesucht wenigen Stellen. Vielmehr handelt es sich bei "Das Amulett der Mumie" um eine Kriminalgeschichte mit übernatürlichem und mysteriösem Einschlag¸ die sich gegen Ende in eine klassische Totenerweckung wandelt.
Stokers Kriminalgeschichte muss hinter den Begründern des Genres zurückstehen. Die Meisterschaft von Poe oder Doyle kann er nicht erreichen¸ auch wenn er sich einiger Kniffe bedient¸ die den Reiz des Genres erhöhen (so beispielsweise das locked room puzzle¸ in dem das Verbrechen in einem verschlossenen Zimmer ohne Zugang oder Fluchtmöglichkeit begangen wird). Stattdessen wirkt "Das Amulett der Mumie" eher wie eine solide durchkonstruierte Kriminalgeschichte ohne große Überraschungen. Stoker kann kurzzeitig Schwung in die Handlung bringen¸ als in einer Rückblende Trelawnys Mumienfund geschildert wird und beim Zuhörer zwangsläufig ein Indiana-Jones-Gefühl aufkommt. To go where no man has gone before ... der Nervenenkitzel eines solchen Abenteuers lässt sich nicht verleugnen.
Marc Gruppe¸ der für die Hörspielbearbeitung verantwortlich zeichnet¸ hat Stokers Vorlage mit gewohnter Routine und Qualität auf CD gebannt. Er reizt die Möglichkeiten der Geschichte aus und macht den Mumienfund und die rituelle Auferstehung der Mumie zu den Höhepunken des Hörspiels. Auch die Sprecher¸ darunter Herbert Schäfer (Malcolm Ross)¸ Christian Rode (Trelawny) und Janina Sachau (Margaret) können überzeugen¸ wenn auch diesmal niemand mit einer außergewöhnlichen Performance hervorsticht. Die Sprecher bilden ein ausgewogenes Ensemble und ergänzen sich gegenseitig ausgezeichnet.
Wer sich wirklich gruseln will¸ der wird von "Das Amulett der Mumie" wohl eher enttäuscht sein. Die Erzählung ist höchstens unheimlich¸ beinhaltet jedoch nichts¸ was einem heutigen Zuhörer schlaflose Nächte bereiten würde. Für gepflegte Gänsehaut sei aus dem Titania-Programm eher "Die Familie des Vampirs" empfohlen¸ die durchweg Spannung erzeugen kann und mit einer beunruhigenden Schlussnote endet. Wer jedoch Liebhaber klassischer Kriminalgeschichten ist¸ der wird an Stokers Erzählung sicher Freude haben. Das bekannte whodunnit wird zwar durch eine mysteriöse Komponente erweitert¸ bleibt aber trotzdem der Kern der Handlung.
Eine Rezension von: Michaela Dittrich http://www.buchwurm.info/