Gruselkabinett 139: Der Rabe
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Erste deutsche Übersetzungen erfolgten in den 1850er Jahren. Die bekannteste deutsche Übertragung stammt von Hans Wollschläger¸ dem Übersetzer des Ulysses von James Joyce¸ welcher das Gedicht mit den Worten beginnt:
Einst¸ um eine Mittnacht graulich¸ da ich trübe sann und traulich
müde über manchem alten Folio lang vergess’ner Lehr’ –
da der Schlaf schon kam gekrochen¸ scholl auf einmal leis ein Pochen¸
gleichwie wenn ein Fingerknochen pochte¸ von der Türe her.
„’s ist Besuch wohl“¸ murrt’ ich¸ „was da pocht so knöchern zu mir her –
das allein – nichts weiter mehr.“
Die der Originalversion bezüglich Inhalt und Reim am nächsten stehende Übersetzung stammt von Carl Theodor Eben¸ welcher den ersten Vers wie folgt übersetzte:
Mitternacht umgab mich schaurig¸ als ich einsam¸ trüb und traurig¸
Sinnend saß und las von mancher längstverklung’nen Mähr’ und Lehr’ –
Als ich schon mit matten Blicken im Begriff¸ in Schlaf zu nicken¸
Hörte plötzlich ich ein Ticken an die Zimmerthüre her;
„Ein Besuch wohl noch¸“ so dacht’ ich¸ „den der Zufall führet her –
Ein Besuch und sonst nichts mehr.“
In der Übersetzung von Hedwig Lachmann lautet die erste Strophe folgendermaßen:
Eines Nachts aus gelben Blättern mit verblichnen Runenlettern
Tote Mären suchend¸ sammelnd¸ von des Zeitenmeers Gestaden¸
Müde in die Zeilen blickend und zuletzt im Schlafe nickend¸
Hört’ ich plötzlich leise klopfen¸ leise doch vernehmlich klopfen
Und fuhr auf erschrocken stammelnd: „Einer von den Kameraden¸ einer von den Kameraden!“
Soweit zum Hintergrund dieses Hörspiels. Es lohnt sich in jedem Fall¸ die unterschiedlichen Übersetzungen der Erzählung zu lesen. Welche sich tatsächlich am Nächsten des Originals befindet¸ mag jeder selbst entscheiden.
In meinen Unterlagen habe ich mir zu Edgar Allan Poe vermerkt¸ dass diese Geschichte im englischen Original The Raven zum ersten Mal am 29. Januar 1845 in der New Yorker Zeitung Evening Mirror veröffentlicht wurde. Das erzählende Gedicht schildert in 108 Versen den mysteriösen¸ mitternächtlichen Besuch eines Raben. Dabei gefällt mir die Übersetzung von Hans Wollschläger¸ die nur 5 Jahre später erschien¸ am Besten. Der Erzähler des Gedichtes schläft fast über seinem Buch ein¸ als es an der Tür klopft. Der mitternächtliche Besucher ist ein Rabe¸ der jedoch längst am Fenster sitzt und um Einlass bittet. Als er eingelassen wird¸ setzt er sich auf die Büste von Pallas Athene.
Der Rabe wird nach seinem Namen gefragt¸ doch dieser krächzt nur „Nimmermehr“. Es entspinnt sich ein Gespräch mit dem Raben¸ dass jedoch sehr einseitig geführt wird¸ denn ausser „Nimmermehr“ antwortet dieser nichts.
Mit dem Hörspiel Die Maske des roten Todes führten Titania-Macher Marc Gruppe und Stepphan Bosenius zwei unterschiedliche Geschichten desselben Autors zu einem einheitlichen Gesamthörspiel zusammen. zusetzen. Auch diesmal konnten Marc Gruppe und Stephan Bosenius zwei Erzählungen Edgar Allen Poes zusammenführen: die Kurzgeschichte Ligeia und das Gedicht Der Rabe. Letzters wurde mit hervorragend verfilmt. Richard Matheson schrieb das Drehbuch¸ Vincent Price: Dr. Erasmus Craven und Peter Lorre: Dr. Adolphus Bedlo sowie Boris Karloff: Dr. Scarabus übernahmen die wichtigen Rollen. Doch dieses nur am Rande¸ denn der Film hat mit dem Hörspiel nichts zu tun. Allerdings fällt mir dieser Film immer sofort ein¸ wenn ich den Begriff Rabe höre im Zusammenhang mit dem Schriftsteller Poe.
Das Hörspiel ist in seiner Handlung immer eher nachdenklich und zurückhaltend¸ lebt von dem subtilen Horror¸ weniger durch die Schnelligkeit. Wie die schriftstellerische Leistung längst ein Klassiker geworden ist¸ ist das Hörspiel weniger langweilig als Klassik betont. Natürlich könnte man das Hörspiel modernisieren. Aber wo wäre dann die psychologische Dimension¸ wenn alles ruck-zuck verlaufen müsste wie es in modernen Filmen und Hörspielen zum Teil gefordert wird? Wo wäre die Atmosphäre der Vergangenheit¸ das angestaubte des Charakters¸ der sich aus der Vergangenheit herausarbeitet und doch frisch und neu in der heutigen Zeit ankommt? Ich will nicht sagen¸ der Rabe sei ein Phönix¸ aber doch wird er immer wieder neu gelesen und gehört.
So bleibt ein Hörspiel¸ dass sich mit den eigenen Dämonen¸ ohne ihnen freien Lauf zu geben¸ beschäftigt. Sprecher¸ Musik und Geräusche¸ Bearbeitung und Umsetzung sind sehr gelungen. Hier treffen Kunst und Können zusammen.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355