Grandville
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Der Löwe Napoleon gewann vor gut 200 Jahren die Schlacht bei Waterloo und damit hat Frankreich die Vormachtstellung in Europa. England wurde besiegt¸ zu einer Republik und vom verhassten Fran-zosen besetzt. Ein Guerillakrieg sorgte letztlich für die Befreiung von Frankreich. Dies ist nun die Lage der beiden Länder zueinander¸ die durch eine Kanalbrücke inzwischen mitein-ander verbunden sind. Die Haupt-stadt für Europa heisst nicht Paris sondern trägt den bezeichnenden Namen Grandville. Eine andere grosse Stadt war Metropolis¸ doch für Grandville könnte jeder andere Moloch dieser Welt als Vorbild gedient haben. Der Name selbst ist eine Homage an den bekannten französischen Zeichner JJ Granville¸ der mit bürgerlichen Namen Jean Ignace Isidore Gerard hieß.
Der Held der Comicreihe¸ es soll dieses Jahr Band vier erscheinen¸ wie ich vom Comicdealer meines Vertrauens erfuhr¸ ist der englische Polizist Archibald "Archie" LeBrock¸ ein Dachs mit bewegter Vergangenheit. Ihm zur Seite steht sein Assistent die Ratte Ratzi. Beide arbeiten für den britischen Scotland Yard¸ denen die beiden britischen Fernsehserien Inspector Murse oder Inspector Lewis als Vorbild gedient haben könnten. Inspektor LeBrocks Leben ist soweit in Ordnung. Er geht seinem Job nach¸ der ihn ab und zu in dampfbetriebenen Automobilen durch die Städte oder über die Kanalbrücke nach Frankreich mit der altbekannten Dampflok führt. Hauptsächlich ermittelt er in den Kreisen der sogenannten High Society. Eher durch Zufall gerät er in einen Fall¸ der in den höchsten Kreisen der Politik seinen Anfang und sein Ende findet. Von dem Fall fasziniert ermittelt er mit seinem Assistenten Ratzi. Dabei trifft er in einer Opiumhöhle auf den Hund Snowy Milou. Der Name Milou kam mir sehr bekannt vor und als Tim und Struppi Fan kannte ich dessen französischen Originalnamen Milou. Was mir nicht bekannt war¸ Struppi wird im englischen als Snowy bezeichnet. Erst hier wurde ich weiter dazu gebracht¸ mehr auf den Hintergrund der Erzählung und der Bilder zu achten. Immer mehr Anspielungen auf Serien¸ Comics wie Fernsehen¸ aber auch politische Wirklichkeit¸ fanden sich. Etwa den Pagen im Hotel Marianne¸ der niemand anderes als Tim aus Tim und Struppi darstellt. Während ich als Leser über solche Dinge Nachgrübel¸ fahren Inspektor LeBrock und Ratzi in das feindlich gesinnte Frankreich. Der Pöbel¸ angestachelt durch die Medien¸ will gegen Grossbritannien in den Krieg¸ weil man befürchtet¸ dass die Briten die „grosse Bombe“ besitzen.
Zudem gibt es auch noch Anspielungen auf Sherlock Holmes¸ James Bond¸ Künstler wie Auguste Rodin oder Gustave Dore und vor allem auf die Figuren aus Kenneth Grahams Klassiker „Der Wind in den Weiden“. Gleich im ersten „Grandville“-Abenteuer wird LeBrock mit einer tragische Liebesgeschichte und einen perfiden Plan zum Herbeiführen eines Kriegees zwischen Frankreich und England konfrontiert. Anspielungen auf 9/11 und dem Ground Zero sind hier unübersehbar. Der Indochinakrieg¸ Attentate und anderes mehr tragen dazu bei¸ die Welt am Leben zu halten und gleichzeitig Anspielungen an die Wirklichkeit zu geben. Am wichtigsten dürfte sein¸ dass hier spannende Kriminalfälle mit ebenso viel Action wie Humor erzählt werden und dass die Hauptfiguren dem Leser von Album zu Album immer mehr ans Herz wachsen werden.
Ein hervorragender Comic mit vielen Anspielungen aus Literatur und Bildgeschichten. Beeindruckend und gelungen¸ wie sich die inhaltlichen Elemente miteinander verbinden und ein harmonisches Ganzes ergeben. Leser mit einem guten Allgemeinwissen sind klar im Vorteil¸ wenn es darum geht¸ den Comic zu lesen und die Anspielungen zu verstehen. Spannend¸ dynamisch¸ gut. Der Comic erinnert nur wenig an den französischen Film Noir¸ dafür mehr an Steampunk und Erzählungen des frühen 19ten Jahrhunderts. Grandville überzeugt auf den Ebenen der Erzählung ebenso wie die der Bilder. Darüber hinaus sind die graphischen Elemente gut gewählt¸ etwa wenn die Panel- und Seitenaufteilung spielerisch umgesetzt werden. Schon die Anordnung erzeugt Spannung¸ Dramatik und Dynamik. Nachteile gibt es auch¸ denn Tiere wie Menschen sind fast alle gleich gross. Egal ob LeBrock als Dachs¸ Napoleon als Löwe¸ Verschwörer in Nashorn- und Elephantgestalt oder Beutelratte Frau Krupp¸ die die Zeitungen und die Waffenproduktion kontrolliert.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355