Freie Geister
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Eine schöne Idee wäre es gewesen¸ die Kurzgeschichte Der Tag vor der Revolution als Vorgeschichte mit zu veröffentlichen. Hier wird die Philosophie der Gründerin Odo vorgestellt¸ deren Nachfolger auf Anarres ihren Idealen treu zu bleiben versuchen. Freie Geister spielt 200 Jahre nach der Kurzgeschichte. Urras ist die Ursprungswelt einer Rasse menschenähnlicher Bewohner. Nach einer gescheiterten anarchistischen Revolution wurden die Aufständischen ins Exil nach Anarres¸ dem Partnerplaneten in diesem Sonnensystem deportiert. Die Führer der unterschiedlichen Gruppen vereinbarten eine gegenseitige Isolation¸ die lediglich durch einen Warentausch durchbrochen wird. Dabei werden die Bewohner Anarres mit ihrer Bergbaumine von den Bewohnern von Urras kräftig über den Tisch gezogen und heftig ausgebeutet. Die einzige Verbindung untereinander besteht über den Raumhafen auf Anarres¸ der als einziger Ort auf diesem Planeten von einer Mauer umgeben ist. Von diesem Planeten aus werden die Edelmetalle des Planeten nach Urras geflogen. Urras selbst hat sich zu einer hochtechnisierten Welt entwickelt¸ die wie auf der Erde kapitalistische und sozialistische Staaten¸ Diktaturen und ähnliche totalitäre Regierungsformen bestehen.
In einem der besten Werke der Science Fiction des 20.Jahrhunderts dient die Zukunft nur als Bühne historischer Ereignisse auf der Erde. Im Mittelpunkt der Erzählung steht Shevek¸ ein genialer theoretischer Physiker. Seine Forschungen auf Anarres werden jedoch gering geachtet. Dabei könnten seine Erkenntnisse in der Temporaltheorie ungeahnte Entwicklungen hervorrufen. Shevek würde sich gern mit anderen Wissenschaftlern austauschen und seine theoretischen Kenntnisse mit deren Hilfe in die Praxis umsetzen. Allerdings ist das Problem darin begründet¸ dass Kontakte mit dem Planeten Urras als Verrat eingestuft werden. Trotzdem gelingt es ihm¸ nach Urras zu reisen. Dabei erkennt er¸ das Urras nicht so ist¸ wie es allgemein beschrieben wird¸ aber er gerät ebenfalls in einen Konflikt mit den Zuständen auf Anarres¸ weil er aus der Fernsicht¸ doch Fehler in der Struktur des Sozialgefüges erkennen kann. Der erwachsene Mensch Shevek verhält sich wie jeder andere normale Mensch. Mit den Rückblicken auf seine Vergangenheit¸ die parallel zur eigentlichen Handlung laufen¸ erkennt man aber auch¸ wie er sich fr&üher verhielt¸ er sich heute verhält und warum er sich so verhält. Ursula K. Le Guin lässt ihre Helden sehr frei agieren¸ unterwirft ihn nur wenigen Regeln. Sie zeigt gleichzeitig¸ dass ein Mensch nicht nur gut oder böse ist. Diese Polarisation fällt bei ihr komplett weg. Die politische Polarisation¸ die auf der Erde spielen könnte mit den USA und der alten UdSSR¸ wird überspitzt dargestellt und findet sich heute auch wieder auf dieser unserer Erde. Das Thema wird sich wahrscheinlich ewig neu erfinden¸ aber in den Grundzügen gleich bleiben. Das Thema ist die Utopie einer Gesellschaftsordnung¸ die sich vom Kapitalismus losgesagt hat. Damit tritt sich durchaus die Nachfolge von Thomas Morus und seinem gleichnamigen Utopia an. Auch Erik Blair findet mit 1984 seine Anklänge. Die von Ursula Le Guin beschriebenen Gesellschaftsformen bietet viele Möglichkeiten sich eigene Überlegungen zu machen¸ ob die Gesellschaft¸ wie sie damals bestand und heute noch besteht¸ in dieser Form eine Zukunft hat. Und vor allem ob die Zukunft ihres Romanhelden eine mögliche Zukunft ist. Ist diese Utopie¸ die sich davon absetzt¸ nicht auf Personenkult und Egoismus aufzubauen¸ aber dabei frei sein soll von Unterdrückung und jedwelchem Zwang¸ einer positiven Gegenwelt¸ wie sie in dem Roman Aipotu propagiert wurde¸ wirklich möglich?
Wie immer man zu diesem Werk stehen mag¸ ist es doch weitab von Space Opera und Military-SF¸ wie sie heutzutage moderner ist. Die neue Übersetzung zeigt¸ dass ein Werk auch nach über 30 Jahren immer noch aktuell sein kann und gibt der Zukunftsliteratur eine Daseinsberechtigung¸ denn die angesprochenen Probleme sind immer noch vorhanden. Ein gelungenes Werk
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355