Einsteins Schaukel
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Klassische Science-Fiction-Erzählungen aus den Jahren 1901 bis 1937 von John Kendrick Bangs, H. G. Wells, Roquia Sakhawat Hussain, Harry Stephen Keeler, Miles J. Breuer, Donald Wandrei und. Stanley G. Weinbaum. Dieser Privatdruck von Joachim Körber wurde auf 100 Exemplare limitiert und nur wenn man viel Glück hat, kann man im Verlag noch ein Exemplar erhalten. Der Versuch ist es in jedem Fall wert. Denn die klassischen Geschichten sind oftmals sehr viel besser, als das, was heutzutage auf den Markt kommt.
John Kendrick Bangs - Ein Blick in die Zukunft
Es ist eine humorvolle Erzählung, wohlgemerkt - ich sage das nur ungern, denn der Sinn für Humor ist von Mensch zu Mensch, von Kultur zu Kultur unterschiedlich. Es genügt, wenn ich sage, dass ich über diese Geschichten geschmunzelt habe. Jedoch bin ich nicht ganz zufrieden. Das liegt aber wahrscheinlich am Alter der Geschichte. In meinen Unterlagen über Autoren habe ich nicht viel über John Kendrick Bangs gefunden. Nur soviel, dass er zu seiner Zeit ein angesehener Humorist und Redakteur war. Wer mehr über den Mann erfahren möchte suche bei Wikipedia den entsprechenden Eintrag. Überraschenderweise haben die Schriften von Bangs ihm auch eine Seite in The Encyclopedia of Science Fiction eingebracht, wo ihm zugeschrieben wird, spätere Autoren von Fantasy und Science Fiction beeinflusst zu haben. Ich bin überzeugt, dass er viel besser geschrieben hat, und ich habe die feste Absicht, andere Werke von ihm zu erkunden.
H. G. Wells - Die Landpanzer
Im Jahr 1903 machte H. G. Wells eine seiner erfolgreichen Prophezeiungen über Kriegstechnologie, vergleichbar mit seiner Prophezeiung über die Atombombe in The World Set Free. In diesem Fall sagt er den Einsatz von gepanzerten Fahrzeugen (Panzern) im Grabenkrieg voraus, wie sie im Ersten Weltkrieg, als sie die Kavallerie erfolgreich ersetzten, und in allen späteren Kriegen eingesetzt wurden. Eine absolute Pflichtlektüre, vor allem für Studenten, um das Genie von H. G. Wells als Autor von Science Fiction zu würdigen. Panzer werden heutzutage als Teil der modernen Welt als selbstverständlich angesehen, aber zur Zeit der Niederschrift dieses Buches waren sie nur ein Konzept. Panzer in Aktion durch die Augen eines Schriftstellers zu sehen, der den Kampf zuvor nur zu Pferd gesehen hatte, zeigt sie wirklich als die schrecklichen Todesmaschinen, die sie sind. Kurz und bündig, wenn auch vielleicht ein wenig cartoonhaft, ist dieses frühe Werk von Herrn Wells die Investition Ihrer Zeit wert.
Roquia Sakhawat Hussain - Sultanas Traum
In Anbetracht der Zeit und des Ortes (Im Jahr 1905), an dem er geschrieben wurde, ist diese Science-Fiction-Kurzgeschichte eine knallharte Satire auf traditionelle Stereotypen und den Status quo der Frau im kolonialen Indien. In Sultanas Traum einer feministischen Utopie - Ladyland - sind die Rollen geschlechtsspezifisch vertauscht, wo Frauen die die Welt regieren. Die Gesellschaft lebt friedlich und gedeiht durch ihre Erfindungen von Solaröfen, fliegenden Autos und Wolkenkondensatoren, die der Bevölkerung von "Ladyland" reichlich sauberes Wasser bieten. Und die Männer, die als "zu nichts zu gebrauchen" gelten, werden in ihren Häusern eingeschlossen. Die Prämisse und die Metaphern sind ziemlich beeindruckend, zum Beispiel ist der Name Sultana von der Bedeutung her Dame, Sultan, König/Kaiser. Sie macht sich spielerisch über die vorherrschende Old-School-Inklusivität der damals männlich dominierten Gesellschaft lustig - 'zenana's, und verunglimpft die Logik der 'schwächeren Spezies'. An einem Punkt der Geschichte, in Ladyland, sollen die 'zenana's durch 'mardana's (mard- männlich in hindi/urdu) ersetzt werden, wodurch das Land zu einem kriminalitätsfreien, umweltfreundlichen 'Amazonas' wird. Die Dinge, die in ihrem 'Wunderland' wie Science Fiction aussahen, waren, wenn man sie jetzt betrachtet, eigentlich Prophezeiungen und Lösungen für das 21. Jahrhundert - Solarenergie, Wasserstoff-Wetterballons, kommerzielle Luftfahrt und sogar wettbewerbsfähige Akademiker. Rokeyas witzige und bissige Anklage gegen die indische Gesellschaft und die Männer, die sie beherrschen, zeigt auch eine alternative, feministische Wissenschaft - eine, die der Gesellschaft besser dient. Mit ihren Ideen war Rokeya ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus. Sie kritisierte nicht nur die enge Beziehung zwischen Wissenschaft und Patriarchat, sondern auch die zwischen der Wissenschaft und den Kolonialmächten, die Indien zur Zeit ihres Schreibens kontrollierten. Und es liegt ein besonderer Charme in ihrem Schreiben, eine erzählerische Niedlichkeit, die Männer davon abhält, beleidigt zu sein, sei es damals, sei es heute, eine der frühesten Science-Fiction-Geschichten, die von einer Frau geschrieben wurde. Feministische Wissenschaftskritik verweist auf die Beziehung zwischen Wissenschaft und Macht als eine der Folgen der historischen männlichen Vorherrschaft in den Wissenschaften und umgekehrt des Ausschlusses von Frauen aus der Wissenschaft, sowohl als Praktikerinnen als auch als übersehene Untersuchungsobjekte. Und so haben Soziologen und Wissenschaftsphilosophen der letzten Jahrzehnte nach einer neuen Wissenschaft gesucht. Wissenschaftlerinnen wie Hilary Rose, Sandra Harding und Donna Haraway beleuchten die Androzentrizität in den Institutionen der Wissenschaft, indem sie untersuchen, wie sie die Fragen, die die Wissenschaft stellt, und die Forschungsagenden, die festgelegt werden, beeinflusst. Rokeya wurde 1880 in eine bengalisch-muslimische Familie der Oberschicht geboren und wuchs auf einem Landsitz in der kolonialen Provinz Bengalen Presidency auf, wo sie eine konservative Erziehung genoss. Ihre Mutter, die erste der vier Ehefrauen ihres Vaters, befolgte strikt die Praxis der Purdah, bei der die Frauen in einem separaten Teil des Haushalts, dem Zenana, zurückgezogen lebten. Von Rokeya wurde erwartet, dass sie dasselbe tat und zusammen mit ihren beiden Schwestern eine traditionelle Erziehung zu Hause erhielt, während ihre beiden Brüder auf eines der renommiertesten Colleges in Kalkutta geschickt wurden. Selbst in einer gut gebildeten Familie wie der von Rokeya waren für Frauen nur Sprachen erlaubt, die für das Lesen des Korans nützlich waren, wie Arabisch. Gesellschaftliche Sprachen waren tabu, weil man befürchtete, dass sie die Frauen mit Ideen ausserhalb der gesellschaftlichen Norm konfrontieren würden. Trotzdem unterrichtete Hossains Bruder sie heimlich in Bengali und Englisch, und schon bald erkannte sie den Wert und die Macht der Bildung von Frauen. Es war der Beginn eines Lebens, das der Emanzipation der Frauen durch Rokeyas radikale Arbeit als Autorin, Aktivistin und Lehrerin gewidmet war.
Harry Stephen Keeler - Als die Zeit rückwärts lief
Harry Stephen Keeler hat nicht nur verrückte Webwork-Krimis geschrieben - er lebte ein Webwork-Leben! Besonders in den Tagen nach dem Tod seiner Frau Hazel verschickte Harry wie wild Hunderte von Newslettern, die er "Schlüssellöcher" nannte. Die vorliegende Erzählung ist ebenfalls humorvoll. Warum auch nicht. Da findet jemand eine Flasche, auf der Steht, dreht die Zeit zurück. Der Protagonist, nicht faul, trinkt ein grosses Glas davon. Was dann geschieht ist "aberwitzig". Hier erübrigt es sich, wie bei anderen Geschichten auch, viel zu schreiben. Die Geschichte spricht für sich.
Miles J. Breuer - Einsteins Schaukel
Eine der längsten Geschichten dieser überaus interessanten Kurzgeschichtensammlung. Im Mittelpunkt steht ein ehemals krimineller Wissenschaftler. Da aber der Chef und seine Leute im Knast sitzen, bzw. auf der Flucht sind, ist der Mann arbeitslos. Das ist ein, eher unwichtiger, Ausgangspunkt. Es geht erst nach dieser Einführung mit der Erzählung weiter. Im Mittelpunkt steht die Möglichkeit, die Welt so falten. Auf diese Weise gelingt es, die Räumlichkeiten so zu verändern, dass man bequem und ohne viel Aufhebens, kriminelle Energien so umleiten kann, dass ein Eigentumsaustausch stattfindet. Leider ist es so wie bei allen kriminellen Energien, irgendwann ist die Energie raus.
Donald Wandrei - Plünderer der Universen
Eine Kurzgeschichte, knapp vor einer Novelle, in der sich so einiges an Ideen trifft. Zuerst einmal findet kein Dialog statt, sondern ein Erzähler übernimmt den ganzen Part. Erst später ändert sich die Erzählweise. Die Geschichte hat ziemlich viele Bestandteile der Zukunftserzählungen in sich versammelt. Aliens sind dabei nur ein Teil.
Diese Kurzgeschichtensammlung, mal länger mal kürzer oder sogar ganz kurz erwähnt, mit ihren Erzählungen, ist ein besonderes Werk. Abgesehen von dem ungewöhnlichen Namen, biete sie Kurzgeschichten, die zum Teil in Deutschland Erstveröffentlichungen sind. Gelungen fand ich die Sammlung allemal, da sie chronologisch sortiert ist. Von ganz alt zu ganz neu. Auf diese Weise können alte Autoren neu entdeckt werden und neue Autoren werden vorgestellt. Joachim Körber, ist hier als Dreigestirn tätig. Verleger, Lektor, Übersetzer. Alles in einer Hand macht diesen Band besonders Lesenwert, da gerade die Übersetzungen so einheitlich erscheinen. Man muss nicht auf unterschiedliche Übersetzer achten. Die Sammlung ist ein Privatdruck und es ist nicht einmal sicher, ob es noch Exemplare davon gibt. Kurzgeschichtenfans sollten in jedem Fall bei der Edition Phantasia nachfragen. Der Band lohnt sich und gehört, nach dem Lesen wohlgemerkt, in jedes gut sortierte Regal.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355