Ein dunkler Wille
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Der Roman von Kenneth Oppel um Victor und Konrad ist etwas Besonderes. Ein Jugendbuch wie kein Zweites¸ dabei doch nur der zweite Teil. Dies ist beileibe nicht negativ gemeint¸ sonder weist lediglich auf den Umstand hin¸ dass ein zweiter Band immer etwas schwieriger zu schreiben ist. Der erste Band ist bereits letztes Jahr erschienen und als Leser ist man gern bereit die Inhalte wieder zu vergessen¸ weil man etwas anderes gelesen hat. Kenneth Oppel schafft es jedoch¸ wichtige Geschehnisse nochmals kurz rückblickend zu betrachten. Dies verhilft natürlich dazu¸ sich rasch an das Vorangegangene zu erinnern. Die Charaktere in diesem Buch sind einfach einzigartig!
Victor
war und ist immer noch der Draufgänger¸ der bereit ist viel zu wagen¸ und die Vorsicht einmal mehr unbeachtet zu lassen. Er geht gern Wagnisse ein¸ nimmt Herausforderungen an¸ möchte mit seinen Ideen die Welt verbessern und überlegt sich dazu¸ wie er am Besten vorgeht. Aus seiner Sicht wird das Buch beschrieben und so erlebt der Leser seine Gefühlswelt hautnah mit. Der Leser begleitet einen gefühlvollen¸ unter dem Tod seines Bruders leidenden Jungen. Jeder von ihm ggedachte Gedanke ist so¸ als sei er vom Leser selbst gedacht. Victor als Ich-Erzähler hinterlässt in der Geschichte einen eindringlichen und intensiven Einblick in seine Gefühle und Gedanken.
Henry
ist in diesem Band sehr überraschend. Erlebte man den Jungen vorher als zurückhaltend¸ vorsichtig und manchmal tatsächlich mitleiderregend¸ so kann man ihn weitaus gereifter kennenlernen. Er hat wohl die grösste Wandlung im Fortgang der Erzählung erlebt. Es treten Charakterzüge hervor¸ die der Leser nicht erwartete und die der Autor bis an die logischen Grenzen ausreizt.
Elizabeth
Das Reich der Toten lockt auch Elizabeth¸ kann sie doch so Konrad wiedersehen. Der Ortswechsel lässt auch bei ihr neue Seiten ihrer Persönlichkeiten hervortreten¸ verändern sie und machen sie selbstbewusster. Elizabeth ist immer noch das Mädchen mit den zwei Gefühlswelten. Sie fühlt mit ihren starken Gefühlen für Konrad ihm immer noch verpflichtet¸ dem sie nun in der Totenwelt begegnen aber nicht näher kommen kann. Das andere gleichstarke Gefühl treibt Elizabeth aber auch zu Victor. Eine Entscheidung fällt jedoch weder für den einen noch den anderen Bruder.
Ein dunkler Wille von Kenneth Oppel¸ ist eine grossartige Fortsetzung¸ Die Handlung schlägt eine andere Richtung ein. Sie wird vom Autor nicht mehr ganz so stark an die Romanvorlage von Mary Shelley angelehnt¸ lässt Platz für eigene mystische und magische Richtungen. Kenneth Oppel führt seine Geschichte wesentlich eigenständiger weiter¸ obwohl ich nie den Eindruck hatte¸ eine Nacherzählung in den Händen zu halten. Der übersinnliche Verlauf der Handlung wird in die Atmosphäre eingebettet. Daher bleibt es spannend und mitreißend. Auch wenn nur noch wenig mit dem bekannten Original gemein hat. Auch die Hauptfiguren¸ allen voran Victor¸ überzeugen mit ihren neuen Eigenschaften und Gefühlen.
Die Handlung gewinnt schnell an Tempo¸ ist aber den Begebenheiten angepasst. Wenn jemand nachdenklicher¸ ruhiger oder trauriger wird¸ ändert sich das Tempo. Es bleibt beim Lesen genug Zeit nachzudenken. Andererseits überschlagen sich Victors Gedanken¸ wenn er wieder mal eine neue Idee entwickelt. Ein dunkler Wille unterscheidet sich von Düsteres Verlangen ¸ weil sich die Handlung von der Wissenschaft hin zur eindeutig magischen der Toten. Dadurch wird die Grundstimmung des Buches verändert¸ aber nicht zum Nachteil. Ein dunkler Wille erhält einen ganz besonderen Reiz dadurch.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355