Edgar Allan Poes phantastische Bibliothek 2: Das Alptraum-Netzwerk
Drei Geschichten erwarten den Leser von Teil 2 von "Poe's phantastischer Bibliothek"¸ eine längere Novelle (ein Novum für Ligotti) sowie zwei kürzere Erzählungen aus seiner Hand. Der Titel "Das Alptraum-Netzwerk" könnte vielleicht ein wenig in Irre führen nach den jüngeren cineastischen Ergüssen Hollywoods (Matrix und Matrix Reloaded). In diesem Buch geht es eben nicht in erster Linie um Menschen¸ die aus dem Netzwerk zu fliehen versuchen¸ es geht nicht einmal im gleichen Sinne wie in besagten Filmen um eine wie auch immer gestaltete virtuelle Welt¸ nein¸ es geht¸ wie bereits im Klappentext vermerkt¸ um Business¸ um Arbeit¸ um Kommerz und den ganzen Rest¸ dem so mancher Leser gern bei seiner Lektüre entfliehen möchte¸ um ein bißchen Freiheit zu genießen.
Ligotti zeichnet ein düsteres Bild dieser Geschäftswelt mit dem allumfassenden Moloch Arbeit. Es gibt kein Entkommen¸ das Individuum hat keine Chance sich zu entfalten. Es wird in eine Form gepreßt und muß sich der Masse anschließen. Tut es das nicht¸ fällt es durch das Netz(werk) und erlebt seinen eigenen Alptraum aus Mobbing¸ Lügen und kleineren und größeren Intrigen. Dabei aber wird von eben dieser Geschäftswelt immer wieder heuchlerisch behauptet¸ man suche "frischen Wind" und "neue Talente". Doch lehnt man sich gegen die Pressung auf ... Nun ja.
Zuviel Realität und zuwenig Fiktion? Ligotti wäre nicht Ligotti¸ wenn er nicht einen Weg finden würde¸ das Business an sich schon als Alptraum darzustellen. Es gibt keinen größeren Horror als die Realität¸ vor allem¸ wenn sie mit dem Zerrspiegel der Fiktion gesehen wird. Und diesen Spiegel hält Ligotti der modernen Gesellschaft (durchaus nicht nur in den Staaten) gnadenlos vor.
Vor allem die Titelgeschichte "Das Alptraum-Netzwerk" beeindruckte mich persönlich in dieser Hinsicht. Dabei handelt es sich nicht einmal um eine klassische Kurzgeschichte¸ nicht einmal unbedingt um eine in sich konstruierte Geschichte - oder doch? Ligotti benutzt im "Alptraum-Netzwerk" ein Sammelsorium von Werbetexten¸ -spots und -meldungen¸ die sich immer mehr zu etwas verdichten¸ daß mich nur noch erschaudern ließ. Dabei bleibt er nicht allein dem Business treu¸ er verknüpft das Ganze mit der Politik¸ internationalen Beziehungen ebenso wie internationalen Geschäften. Was am Ende dabei herauskommt¸ wirft ein düsteres Bild auf die Realität der Globalisierung. Am Ende dachte ich: "Nichts addiert mit Nichts ergibt eben einfach nichts." Und so ist es. Es gibt kein Entkommen¸ denn wir alle leben auf dieser einen Welt¸ wir alle werden in das globale Netzwerk eingespannt¸ ob wir nun wollen oder nicht.
Die mittlere Geschichte "Ich habe einen speziellen Plan für diese Welt" baut wiederum ein alptraumhaftes Szenario auf¸ diesmal allerdings in Form einer Kurzgeschichte mit einer direkten¸ von einem ich-Erzähler berichteten Handlung. Ligotti zeigt hier mittels dem Genre Horror¸ zu was wir alle werden¸ wenn wir unsere Individualität aufgeben und uns vollkommen für unsere Arbeit aufopfern. Nur dem Erzähler gelingt am Ende sozusagen die Flucht nach vorn und aus der Firma heraus. Doch dieser Erzähler ist etwas besonderes¸ etwas¸ das ich nicht unbedingt als menschlich bezeichnen würde. Es ist eher eine Art moderner Mephisto¸ der verführt und siegt und händereibend sein nächstes Opfer aufs Korn nimmt. Die Opfer sind entseelt¸ teilweise nicht mehr menschlich¸ sie opfern sich auf für den höheren Zweck - die Firma¸ den Erfolg¸ den Kommerz.
Die erste Erzählung "Meine Arbeit ist noch nicht erledigt" zeigt die Folgen für das Individuum auf. Was geschieht¸ wenn wir uns gegen den Stempel auflehnen¸ die Ketten zersprengen möchten¸ unsere Eigenständigkeit wahren und noch irgendwo Inspiration versteckt ist. Wieder ein ich-Erzähler¸ und wieder scheitert er an dem großen Plan¸ wird aufgesogen und muß seinen Kampf gegen die Schablone mit dem Leben bezahlen. Warum? Ligotti antwortet nicht¸ oder nur sehr bedingt.
Ob dieses Buch wirklich "Meistererzählungen" enthält¸ darüber läßt sich streiten. Ich persönlich halte es für eine besondere Art von Horror¸ etwas das es nicht unbedingt schon vorher gegeben hat. Es wäre jetzt sogar müßig¸ mich zu fragen¸ ob mir dieses Buch gefallen hat. Ich könnte darauf nicht antworten. Es faszinierte mich¸ doch gleichzeitig stieß es mich ab¸ denn ich fand mich selbst oft genug in diesen drei Geschichten wieder. Auf jeden Fall aber ist es ein besonderes Buch¸ etwas¸ das es nicht jeden Tag zu lesen gibt. Und so sollte man es auch behandeln. Lesen¸ lesen und immer wieder lesen. Und bei jedem dieser Durchgänge werden neue Aspekte des ganzen sichtbar¸ verdüstert sich das hoffnungslose Bild noch weiter. Nichts addiert mit Nichts ergibt Nichts. Aber sind wir wirklich alle eines dieser beiden "Nichts"? Vielleicht gibt es da doch etwas¸ einen einzelnen kleinen Hoffnungsschimmer¸ die Individualität¸ die eigene Persönlichkeit. Das schwere dabei ist¸ diesen winzigen Funken in der Finsternis zu finden. Und ich denke¸ genau das hat Thomas Ligotti versucht¸ uns allen mit diesem Buch mitzuteilen.
Eine Rezension von: Ramona Scholler http://www.sonnensturm-media.de