Echo der Seele
Der Ire John O'Donohue lebt heute als Philosoph und Poet wieder in Irland¸ studierte allerdings in Tübingen philosophische Theologie¸ worin er 1990 mit einer Arbeit über Hegel promovierte. Bekannt wurde O'Donohue mit seinen christlich-keltisch tradierten und dennoch in der Moderne wurzelnden Texten durch seinen Welterfolg 'Anam Cara'. Der dtv hat von ihm in einer edel aufgemachten¸ großformatigen Premium-Edition das Werk 'Echo der Seele' herausgebracht¸ das ich einfach nur als spirituellen¸ poetischen wie auch intellektuellen Hochgenuss beschreiben kann.
Es sei vorweg angemerkt¸ dass der Autor sich fernab einer dogmatisch kirchlichen Weltsicht bewegt und ganz im Gegenteil in seinem Buch auch Kritik an institutionalisierter Religion und Amtskirchen - neben allgemeiner gesellschaftlicher Kritik - übt. Zudem handelt es sich hier durchaus nicht um eine theologisch moralisierende Schrift; der gedankliche Schwerpunkt ist in den Bereichen der Philosophie¸ Psychologie und Soziologie anzusiedeln.
Worum genau geht es nun in 'Echo der Seele'? Der - etwas kuschelig-esoterisch anmutende - Untertitel 'Von der Sehnsucht nach Geborgenheit' umschreibt die Hauptthese und Grundthematik: Das menschliche Dasein gewinnt seine Dynamik durch das Streben und die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und prägt unser Fühlen und Handeln¸ die gesellschaftlichen und privaten Bestrebungen¸ Ängste und Wesenszüge¸ unsere Kreativität und die Erkenntnis der Möglichkeiten eines frei strebenden Willens¸ ist zugleich aber auch ein Quell unserer Ängste und Verzweiflung. Dies wird allerdings nicht im Sinne eines Reduktionismus als alleiniges Erklärungsprinzip verstanden oder verfochten¸ durchaus aber als eine der grundlegenden Triebkräfte und übergeordnete Metapher¸ die in wesentlichen Bereichen dessen¸ was das Wesen der Menschlichkeit ausmacht¸ greift.
In einer Vielzahl kleiner Unterkapitel führt O'Donohue uns - durchaus praxisnah und realitätsbezogen innerhalb seines sehr wahrhaftigen Theoriekonstruktes - durch die Gedankenwelt von Zugehörigkeit und Sehnsucht¸ menschlichem Streben und den Grenzen und Mauern¸ die diesen Bestrebungen den Weg verbauen. Unser Verlangen nach Zugehörigkeit zu unserem Ursprung¸ zur Erde¸ zur Liebe¸ zu Partnerschaft¸ Familie¸ Freunden¸ unserer eigenen Kindheit¸ uns selbst oder auch sozialer Sicherheit wird beleuchtet und beim Leser ein Prozess des Erkennens und Verständnisses für sich selbst und seine Mitwelt in Gang gesetzt¸ der mich erstaunte und mir viel zu geben wusste. Dabei bedient er sich einer lebendigen¸ poetischen¸ leicht verständlichen Sprache¸ die kaum merklich ein durchaus komplexes interdisziplinär argumentierendes Spezialwissen verbirgt¸ das höchst moderne wissenschaftliche Elemente aus Systemtheorie¸ Formgesetzen¸ Soziologie¸ praktischer Philosophie und Psychologie in einem kunstvollen Balanceakt zu verbinden weiß mit undogmatisch christlicher Theologie¸ keltischer Mythologie und Weltanschauung oder selbst Buddhismus.
'Echo der Seele' führt uns in die innersten Landschaften unserer Psyche¸ Seele und Menschlichkeit und ist eine formvollendete¸ wohltuende Medizin für den suchenden¸ unruhigen¸ verunsicherten Geist¸ der die Moderne prägt wie nie zuvor. Daher kann ich die stille und genussvolle Lektüre dieses Werkes jedem ohne Unterschied nur ans Herz legen; selten hat ein Buch so viel in mir bewegt - und dabei einen Zustand inneren Friedens und Verstehens ausgelöst - und wusste¸ meine Sicht auf mich und die Welt ganz wesentlich neu zu formen.
Nachfolgend nur ein Überblick über die Hauptkapitel. Das Buch lässt sich dank seiner Kleingliederung sehr gut in portionierten Schritten lesen und lädt dazu ein¸ nach jedem Themenabsatz inne zu halten¸ um das Erfahrene wirken und reflektieren zu lassen.
* Kapitel 1 - Erwachen in der Welt: Die Schwelle der Zugehörigkeit
* Kapitel 2 - Präsenz: Die Flamme der Sehnsucht
* Kapitel 3 - Unsere frei gewählten Kerker
* Kapitel 4 - Leiden als das finstere Tal zerbrochener Zugehörigkeit
* Kapitel 5 - Das Gebet: Eine Brücke zwischen Sehnsucht und Zugehörigkeit
* Kapitel 6 - Die Abwesenheit: Wo die Sehnsucht noch verweilt
Eine Rezension von: Andreas Jur http://www.buchwurm.info/