Düsteres Verlangen
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Genf¸ Chateau Frankenstein¸ um 1800. Dies ist die Geschichte von den fünfzehnjährigen Zwillingsbrüdern Konrad und Victor Frankenstein¸ den Brüdern die sich so ähnlich und doch wieder verschieden sind. Konrad ist der Besonnenere der beiden Jungs¸ Victor eher leichtsinnig und draufgängerisch. Trotz der Unterschiede kann der Eine nicht ohne den Anderen sein. Konrad ist zudem bei allen stets beliebt und der Beste in allem. Victor fühlt sich dabei immer ein wenig in seinem Schatten stehend und weniger beachtet. Möglich¸ dass dies zu seinem leichtsinnigen Verhalten führt¸ weil er somit beweisen will¸ dass er auch etwas kann und für einige Minuten geniesst¸ im Mittelpunkt zu stehen. Als sein Zwillingsbruder Konrad ernstlich erkrankt und mit dem Tod ringt¸ ist er der Erste¸ der ihm helfen will. Victor sucht die Dunkle Bibliothek von Schloss Frankenstein auf. Mit Hilfe eines Alchimisten will er das „Elixier des Lebens“ herstellen. Die Alchemie soll den Bruder retten und befördert Victors dunkle Seite zu Tage. Mit ihr meint er¸ Konrad retten zu können. Zusammen mit der gemeinsamen Freundin¸ der schönen Elizabeth und dem eher sachlich ausgerichteten Henry macht Victor sich auf die Suche nach den geheimen Zutaten¸ die sehr schwer zu beschaffen sind. Erst recht für drei junge Menschen¸ die nicht als Erwachsene gelten. Langsam entwickelt sich der junge Victor Frankenstein in den besessenen Arzt und Forscher der später in der Literatur so viel Furore verursachte.
Henry lebt nur zeitweise auf dem Schloss der Familie Frankenstein¸ nämlich immer dann¸ wenn sein Vater auf Reisen ist. Er ist der ruhige¸ sachliche Pol der Victor gegenübersteht und hält sich mit seiner stillen Art meist im Hintergrund.
Cousine Elizabeth ist ein völlig untypisches junges Mädchen. Sie wächst mit den Zwillingen in einem ungewöhnlich liberalen Haushalt auf. Ihrer Entwicklung steht nichts entgegen und die drei K¸ Kinder¸ Küche¸ Kirche¸ ziehen bei ihr nicht. Sie steht zwischen den Brüdern¸ weil beide sie lieben und um sie werben. Elizabeth traf jedoch bereits ihre Wahl und es ist nicht Victor.
Gemeinsam müssen sie gefährliche Abenteuer bestehen und dem Tod durchaus ins Auge sehen. Victor verfällt dabei immer mehr der Alchemie und dem Wahn¸ künstliches Leben zu erschaffen. Der Drang seinen Bruder von der Krankheit des unbekannten¸ schlimmen Fiebers zu retten¸ treibt ihn an. Dieser Drang ist es jedoch nicht allein. Der Ruhm¸ den er sich erhofft¸ bewirkt¸ dass er bald wie besessen jedes Opfer bringt¸ um sein Vorhaben zu vollenden.
Es werden die Gegensätze von Victor und Konrad in den Vordergrund gerückt. Auf der einen Seite der wissenschaftliche Ehrgeiz¸ auf der anderen Seite die Werbung um Cousine Elisabeth. Während sich Konrad ruhig und einfühlsam um sie bemüht¸ reagiert Victor impulsiv und leidenschaftlich¸ wenn es um ihre Zuneigung geht. Kenneth Oppeln beschreibt dabbei sehr feinfühlig¸ was sie jeweils in Elizabeth sehen und warum sie etwas für sie empfinden. Victor steht in einem inneren Wettstreit mit seinem Bruder Konrad¸ den er für den Klügeren hält und versucht deswegen mit Mut aufzufallen und sich hervorzuheben. Was er für mutig hält¸ ist für andere eher waghalsig. Dabei riskiert er Hals und Kragen. Victor ist ausserdem aufbrausend und ungeduldig und ab und zu müssen ihn sein Bruder und ihre Cousine Elizabeth regelrecht bremsen.
Kenneth Oppeln erzählt¸ wie Victor seine Liebe zur Alchemie fand. Welche Ereignisse brachten Victor dazu¸ einen künstlichen Menschen zu erschaffen? Die Geschichte um Frankenstein (und damit meint man in der Regel das Monster bzw. den künstlichen Menschen bezieht sich immer auf Victor Frankenstein. Diese Vorgeschichte mit den Hinweisen auf die Entwicklung und den Werdegang von Victor ist in der Ich-Form geschrieben¸ besonders reizvoll. Victor ist in seiner Liebe zu seinem Bruder fest davon überzeugt¸ ihn zu retten. Er ist dabei bereit¸ die Grenze des Bekannten zu überschreiten und die Wissenschaft verlassend¸ an Wunder zu glauben.
Düsteres Verlangen ist ein Roman mit zweideutigem Titel. Ist das Verlangen zu Elisabeth gemeint¸ oder das Verlangen¸ ein berühmter Wissenschaftler zu werden? Die Interpretation bleibt offen. Dafür überzeugt das Buch durch die sympathischen Charaktere und seine Einzigartigkeit. Eine einfühlsame und zugleich spannende Geschichte wie diese gibt es nicht oft in der Literatur und im Jugendbuchbereich noch seltener.
Dunkle Geheimnisse¸ Spannung¸ Abenteuer¸ Liebe. Die Zutaten für einen guten Roman¸ der vor allem als Jugendbuch seinen besonderen Reiz besitzt.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355