Die Zelle
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Der elfjährige Sammy muss mit seinen Eltern¸ seinem älteren Bruder Linus und Kindermädchen Hannah von London nach Paris ziehen¸ da seine Mutter dort ein Engagement an der Oper bekommen hat. Lust hat er dazu nicht¸ aber es bleibt ihm keine Wahl. In Grunewald hat der Vater eine große Jugendstilvilla gemietet. Sammy graut es ein wenig vor den Sommerferien¸ da er ja noch keine Freunde gefunden hat. Anders sein Bruder Linus¸ der mit seinem Vater schon Wochen vorher nach Berlin kam. Sammys Vater schreibt Musikkompositionen für Fernsehfilme und kann von daheim aus arbeiten.
Als Sammy eines Tages auf einem der hohen Bäume im Garten sitzt und die Zeit verstreichen lässt¸ beobachtet er seinen Vater¸ der in einen verlassenen Schuppen in der hintersten Ecke des Gartens geht. Neugierig geht er ihm nach und stellt dann verwundert fest¸ dass die Hütte leer ist. Er entdeckt eine Falltür und findet darunter einen alten Luftschutzbunker¸ mit vielen Nebenräumen¸ endlosen Gängen und sogar einer Kegelbahn. Aber als er dann in einem abgeschieden Kellerverlies ein etwas fünfzehnjähriges¸ asiatisch aussehendes Mädchen findet¸ dass dort gefangen gehalten wird ¸bekommt er Panik. Er verspricht dem Mädchen seinen Vater zu Hilfe zu holen. Darauf reagiert diese aber panisch und schreit „no Daddy¸ noooo."
Samuel ist verzweifelt¸ da er plötzlich registriert¸ sein Vater muss hinter der Entführung stecken. Er geht nach Hause und will sich seinem Bruder anvertrauen¸ aber der hat keine Zeit für ihn. Genauso wenig die Mutter¸ die mehr an der Oper verweilt als zu Hause.
Nach einer mehr oder weniger schlaflosen Nacht geht Sammy wieder in den Keller und stellt fest¸ dass die Kleine verschwunden ist. Nichts erinnert mehr an die Gefangenschaft in dem Bunker.
Samuel verbringt die nächsten Tage mit Grübeleien und beobachtet seinen Vater nun genauer. Er bildet sich ein¸ selbst auch in Gefahr zu sein. Das Haus muss verhext sein und verändert so seinen doch eigentlich liebevollen Vater. Er verliert sich immer weiter in Fantasien und kann diese bald nicht mehr von der Wirklichkeit unterscheiden. Im Zuge einer dieser Fantasien rennt er auf die Straße und schreit in die Welt hinaus¸ dass sein Vater ein Mädchen im Keller gefangen hält. Polizei und Jugendamt nehmen sich der Sache an und Sammy wird mit Tabletten ruhig gestellt. Niemand glaubt dem Kleinen und die Familie droht zu zerbrechen.
Der Thriller ist verstörend aus der Sicht des Elfjährigen geschrieben. Der Leser kann irgendwann genauso wie Sammy nicht mehr zwischen Realität und Wahn unterscheiden und das Kind tut einem einfach nur leid. Aber genauso bangte ich mit ihm. Wem kann man noch trauen wenn die Familie gegen einen ist. Gegen Ende dreht der Autor noch mal richtig auf und es kommt zum spannenden Showdown.
Mir war es manchmal zu unrealistisch¸ wie erwachsen mit einem elfjährigen Kind gesprochen wird¸ z. b. als die Mutter dem Sohn erzählt¸ dass der Vater vor längerer Zeiit von der Musikhochschule suspendiert wurde¸ weil er eine Studentin belästigt haben soll. Ich denke nicht¸ dass man dies einem Kind so gnadenlos sagen sollte. Oder auch wie offen Linus mit dem Kleineren über Sex redet. Aber das ist Ansichtssache.
Die Zelle liest sich flüssig ohne abzuschweifen oder kompliziert zu werden¸ baut aber nur langsam Spannung auf. Die Orte sind sehr anschaulich beschrieben so dass ich mir genaue Bilder der Umgebung basteln konnte. Interessant ist auch¸ dass das Buch zwar aus Sicht des Jungen geschildert wird¸ aber zwischendurch auch immer Phasen aus Sicht des Täters geschildert werden¸ seine Gedanken und Fantasien beim Töten und die Macht¸ die er deswegen hat.
Jonas Winner¸ 1966 in Berlin geboren¸ promovierter Philosoph¸ arbeitet nach dem Studium in Berlin und Paris als Journalist¸ Redakteur für das Fernsehen und als Drehbuchautor. Sein selfpublishing – Bestseller Berlin Gothic sorgte im Netz für Furore. Der Autor lebt mit seiner Familie in Berlin.
Bereits bei Droemer Knaur erschienen
Berlin Gothic
Der Architekt
Das Gedankenexperiment
Susanne Giesecke
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355