Die Villa am Rande der Zeit
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Gekonnt verflechtet Goran Petrović Vergangenheit und Gegenwart¸ Wirklichkeit und Traumwelt¸ indem er den Student Adam aus Belgrad mit einem ungewöhnlichen Angebot konfrontiert. Adam soll ein Jahrzehnte zuvor erschienenes Buch für eine Neuauflage lektorieren¸ be- und umarbeiten. Eine einfache Arbeit¸ bei der man nicht viel falsch machen kann. Adam übernimmt gern diesen Auftrag¸ schliesslich benötigt er als Student das Geld für die Miete seiner kleinen Wohnung. Doch bei der Lektüre macht Adam eine sonderbare Erfahrung: Unversehens findet er sich mitten in der Romanhandlung wieder¸ die plötzlich zu leben beginnt und ihm im wirklichen Leben viele Leser dieses Romans begegnen¸ deren Schicksale seltsam miteinander verbunden sind. Nicht alle Leser bekunden ein unschuldiges Interesse an dem Buch. Die Romanhandlung spielt in der Vergangenheit¸ etwa ab dem Jahr 1906 und später. Adam ist etwas irritiert¸ denn der Tote der aus dem Fluss gezogen wird¸ ist real und so gar nicht fiktiv. Adam¸ der inzwischen die liebenswerte Anastas Branica kennen lernte¸ muss sich entscheiden: Will er seinen Auftrag erfüllen oder verhindern¸ dass dieser imaginäre Zufluchtsort unwiederbringlich verloren geht?
Goran Petrović gelingt es¸ eine Geschichte zu erzählen und nicht nur sich¸ sondern auch den Leser zu fragen¸ was für eine Familie verbirgt sich in den Seiten des gebunden Buches? Welches Schicksal¸ oder besser¸ welche Schicksale¸ verbergen sich in der Zeit vor dem ersten und zweiten Weltkrieg und endet nicht einmal in der Neuzeit¸ als Serbien als Titos Teil eines Vielvölkerstaates hinter dem eisernen Vorhang verschwand. Das Buch von Goran Petrović ist eine Hommage an Serbien¸ an die letzten 100 Jahre in einer von Unglück gebeutelten Region die so viel erlebte.
Dem Autor gelingt es¸ die Leidenschaft der fiktiven Leser auf die Leser seines wirklichen Romans zu übertragen. A pro po Leidenschaft. Der Roman lässt die Leser mitleiden und schafft dadurch eine ganz besondere Atmosphäre¸ die angereichert mit Poesie und grossen Gefühlen angereichert ist. Der Leser ertappt sich dabei¸ wie er mit Adam und Anastas in eine Traumwelt eindringt. Kaum merklich gleitet man vom Roman in den Roman im Roman. Der Autor verbindet unterschiedliche Schicksale aus den vergangenen Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts. Gleichsam eine geschichtliche Exkursion durch Jugoslawien und seiner Vorgänger bzw. Nachfolger.
Mir hat das Thema gut gefallen¸ die Idee und die Umsetzung der wirklichen Geschichte mittels der Phantastik¸ harmlos und unschuldig geschildert¸ voller Leben ist. Selten las man ein Buch¸ dass so unscheinbar aber doch anschaulich die Vergangenheit bewältigt. Wer DIE VILLA AM RANDE DER ZEIT von Goran Petrović als reine Phantastik betrachtet wird sicherlich enttäuscht sein. Wer den Phantastikbezug mag und originelle Idee annimmt¸ wird sich damit anfreunden können und das Buch mehr als einmal lesen. -"
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355