Die schwarze Grippe
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Schon um 1350 nutzt der italienische Schriftsteller Giovanni Boccaccio in seinem Hauptwerk Il Decamerone die Pest als Hintergrund: Leute flüchten vor dem Schwarzen Tod in ein Landhaus bei Florenz und erzählen einander Geschichten. Seit Ausbruch von Covid-19 sind nicht nur Epidemien und Pandemien in aller Munde, Bücher wie Die Pest von Albert Camus oder Die Pest zu London von Daniel Defoe erleben eine ungeahnte Renaissance. Weltuntergangsszenarien sind der Science Fiction nicht fremd und erfreuen sich seit Jahrzehnten einer gewissen Beliebtheit. Im vorliegenden Band versammelt der Herausgeber und Edition-Phantasia-Verleger Joachim Körber zehn Geschichten und ein Gedicht rund um das Thema Weltuntergang durch Seuchen, Pandemien und tödliche Viren, darunter Klassiker von Friedrich Schiller, Edgar Allan Poe und Jack London, aber auch deutsche Erstveröffentlichungen von Lafcadio Hearn, Fred M. White, Edgar Wallace, Teddy Keller, J. F. Bone, Greg Egan, Tananarive Due und Richard Kadrey. (Verlagstext)
Mit der vorliegenden Sammlung, die den treffenden Untertitel "Das kleine Corona Weltuntergangs-Lesebuch" trägt, hat Joachim Körber den richtigen Zeitpunkt ausgewählt. Draussen, im echten Leben tobt eine Pandemie. In dieser Kurzgeschichtensammlung toben Seuchen, Pest und Cholera und andere sich schnell verbreitende Erkrankungen. Dabei reicht die Bandbreite der Kurzgeschichten vom Jahr 1732, beginnend bei Friedrich Schiller und endet, vorläufig, mit Richard Kadrey, im Jahr 2021.
Der Band beginnt mit einem Gedicht von Friedrich Schiller. Der Mann, dessen Glocke ich auswendig lernen musste, präsentiert mit Die Pest eine Phantasie. einen Text, der mir in dieser Form gar nicht zusagt. Und wenn ich ehrlich sein soll, damit wäre er sogar als Selbstpublisher in der heutigen Zeit durchgefallen. Und die letzte Zeile "Schröcklich preiset Gott die Pest", dürfte jeden Gottesgläubigen böse aufstossen. Aber, das erscheint mir trotz der Kritik, dass mir das Gedicht nicht gefällt, wichtig zu sein, dass die Sicht auf die Pest Gottgewollt ist. Es bedeutet letztlich, das die ausufernde Krankheit letztlich von Gott den Menschen auferlegt ist und keine natürliche Ursache besitzt. Das wiederum würde einen Verweis auf die Bibel mit sich führen.
Edgar Allan Poe - König Pest
Wenn man den Namen Edgar Allan Poe hört, denkt man fast sofort an Grusel- und Horrorgeschichten, an Verzweiflung und Leid. Die wenigsten wissen, dass er auch recht ironisch sein kann. Nehmen Sie diese kleine Geschichte mit ein paar betrunkenen Matrosen. Vor dem Hintergrund des pestverseuchten Londons des 14. Jahrhunderts fliehen zwei Seeleute aus einer schäbigen Kneipe. Als Zechpreller unterwegs finden sie sich in einem Teil Londons wieder der wegen der Pest abgesperrt wurde. Entlang der Themse bahnen sie sich ihren Weg über und durch Skelette und verwesende Leichen. In einem Bestattungsinstitut findet eine grosse Sause statt. Der Gastgeber nennt sich König Pest und seine ihm umgebenden Saufkumpanen tragen alle Namen mit dem Bestandteil Pest.
Natürlich darf in einer Horror- Anthologie der Meister des Makabren, Edgar Allan Poe, nicht fehlen. Ihm gelingt es, nicht nur eine abstossende Beschreibung der Situation zu geben, sondern auch auch mit einem Schuss Humor zu versehen.
Lafcadio Hearn - Eine Legende
Dies ist eine wahre Männerfantasie. Die Männer sind ausgestorben und nur ein Mann überlebte in der Frauengesellschaft. Und um die Menschheit nicht aussterben zu lassen, muss er jeden Tag einer anderen Frau gefällig sein. Die kürzeste Geschichte in diesem Buch.
Fred M. White - Der Staub des Todes
Die Haustürklingel wurde ungeduldig betätigt und der Arzt Alan Hubert eilte zur Tür, um zu öffnen. Ich bin Mrs. Fillingham, die Frau des Künstlers, eines erfolgreichen Künstlers, denn die grosse, anmutige Gestalt der Frau im Abendkleid trug schimmernde Diamanten in ihrem Haar. Er begleitet sie zu ihrem Mann und muss eine neue Krankheit diagnostizieren. Um sich vergewissern zieht er einen Kollegen hinzu. Der Leser sollte bedenken, dass dies vor der Entwicklung von antimikrobiellen Medikamenten geschrieben wurde, so dass ein Diptherieausbruch sehr ernst genommen werden wollte. Allerdings gab es bereits 1903 eine Behandlung für Diphtherie, die die Injektion von Antitoxin beinhaltete, das aus Tieren hergestellt wurde, die gegen hitzeinaktivierte Diphtherie-Bakterien immunisiert worden waren. Unter Berücksichtigung des Erscheinungsjahres 1903 ist die Geschichte für dieses Zeit durchaus aktuell. Unter Berücksichtigung der jetzigen Corona-Pandemie hat sie nichts an Aktualität verloren.
Jack London - Die Scharlachpest
Acht Milliarden Menschen lebten auf der Erde, als der Scharlachrote Tod im Jahr 2013 begann. 1912, als dieses Buch zum ersten Mal veröffentlicht wurde, lebten lediglich eineinhalb Milliarden Menschen auf dem Planeten. Ungewöhnlich, wie Jack London vor mehr als hundert Jahren auf eine relativ genaue Schätzung kam. Ein Grossteil dieser Geschichte war nachvollziehbar und unglaublich realistisch. Je dichter die Menschen zusammenrückten, desto schrecklicher waren die neuen Krankheiten, die auftraten. Gleichzeitig wurde die Geschichte atmosphärisch dichter. Und mit ihr kommt eine Krankheit,deren Überlebenschance bei weniger als 1% besteht. Eine furchtbare Krankheit, die schlimmer ist, als unser Cornovierus mit seinen Mutationen. Das ist grossartig, beeindruckend geschrieben und brillant erzählt.
Edgar Wallace - Die schwarze Grippe
Wer Edgar Wallace nur auf seine Krimis reduziert tut ihm äusserst unrecht. Bereits letztes Jahr erschien im Arcanum Fantasy Verlag die Geschichte Planetoid 127. Eine SF-Krimi-Erzählung. Nun liegt mit der Erzählung um Dr. Hereford Bevan eine Horrorgeschichte vor. Eine Erzählung, die ich bisher nicht kannte. Hier geht es vordergründig um ein Tierexperiment, dass im Versuchslabor des Jackson Institute of Tropical Medicines stattfindet und schnell ausser Kontrolle gerät. Wie so viele Geschichten von Edgar Wallace sind sie einem Krimi nicht unähnlich.
Teddy Keller - Die Seuche
Dies ist eine ausgezeichnete Erzählung. Die Geschichte ist eine Allegorie auf Nazi-Deutschland. Obwohl die Erzählung an einem anderen Ort stattfindet. Denn Nazi-Deutschland kann auch ein anderes Land mit diktatorischen Ausmassen sein. In dieser Erzählung ist Die Seuche das Böse schlechthin, dass sich schleichend in den Menschen ausbreitet. Sehr interessant und sehr lesenswert für jeden, der sich für Geschichte und die Natur des Bösen interessiert. Den Hintergrund zu verstehen, bedeutet, die Kurzgeschichte zu verstehen.
J. F. Bone - Pandemie
Mit einem interessanten Dialog am Anfang hat mich dieses Eerzählung sofort in Beschlag genommen. Im Mittelpunkt stehen zwei Personen, die beide ein Ziel verfolgen. Sowohl Burton als auch Kramer haben einzigartige Motive, die sie dazu bringen, gemeinsam an der Thurston-Krankheit zu arbeiten. Pandemie hat eine erschreckende Handlung. Der erste Teil ist grossartig. Der zweite Teil der Handlung geht letztlich um Mary Barton die die Thurston-Krankheit hat. Da kam Dr. Walter Kramer mit dem Heilmittel für diesen Virus und dann machte er ihr aus dem Nichts einen Heiratsantrag. Die Geschichte mit dem besten Happy End.
Greg Egan - The moral Virologist
Im Mittelpunkt steht ein selbsternannter Wissenschaftler und gottesfürchtiger Mann. Ihm gelingt es nicht nur den grössten bibeltreuen Fernsehkanal zu gründen, sondern auch Viren, die dafür sorgen sollen, dass Ehebrecher, Homosexuelle und andere ihre Neigung verlieren, ganz im Sinne Gottes. Das er jedoch ein Mensch ist, und damit fehlbar, daran denkt er nicht.
Tananarive Due - Patient Null
Der zehnjährige Jay lebt bereits seit mehreren Jahren in einem Quarantänezimmer. Tatsächlich darf er sein Krankenzimmer nicht verlassen. Wenn ihn jemand besuchen kommt, in der regel Pfleger und Ärzte, tragen diese seltsame Anzüge. Je länger er in diesem Zimmer liegen muss, desto spärlicher wird die Zahl der Besucher. Und das nicht etwa, weil er vor der Umwelt geschützt werden soll, sondern die Umwelt vor ihm. Mit der Zeit greift der apokalyptische Zerfall der Welt weiter um sich und verschont das Forschungslabor mit Jay nicht. Sein Tutor beginnt heimlich Überlebenstechniken und die Codes zum Verlassen des Gebäudes Jay beizubringen. Einfach, um ihn draussen eine Überlebenschance zu bieten. Die Handlung ist ziemlich einfach. Mittels Tagebucheinträge hält Jay seine Erlebnisse und Eindrücke fest. Er beobachtet kleine, aber signifikante Veränderungen bei den Menschen um ihn herum. Dadurch setzt sich das Bild aus Gegenwart und Vergangenheit langsam zusammen. Für die Leser eröffnet sich hier ein Bild des schleichenden Verfalls. Nur anhand von Tagebucheinträgen erfährt der Leser, wie es um Jay und um die Welt steht. Scheinbar ist er als Patient Null der einzige Mensch, der sich infizierte und davon genas.
Richard Kadrey - Across the Dark Water
Es ist eine brutale, dreckige und sehr surreale Welt mit Untoten, bizarrer Technologie und Bio-Engineering. Eine pandemischen Postapokalypse mit all ihren Schrecken. Die Charaktere sind buchstäblich "der Dieb" und "der Führer". In ihrem Ziel, die Stadt die man unter Quarantäne stellte zu verlassen, sind sie ständig in Bewegung und weniger ein Teil der Gesellschaft. Letztere bleibt etwas diffus, Teile der Erzählung werden lebendig und doch sind sie nur Bruchteile und ergeben keinen ganzen Hintergrund. Zusammengefasst kann man sagen, es ist eine tödliche Krankheit dieeinen Grossteil der Menschheit vernichtete. Die Handlung ist eher Standard und existiert hauptsächlich als Strasse, auf der der Autor seine Standbilder aufbaut und wie erwartet, am Ende die berühmte Kurve kriegt.
Zusammengefasst Ganz allgemein sei hier gesagt, dass sich die Geschichten weder in die Science Fiction abheben, noch in die Fantasy abgleiten oder in andere Genres wie den Arztroman bewegen. Sie bleiben, egal welchen Alters bodenständig in der Zeit verwurzelt, in der sie geschrieben wurden. Allein dadurch wirkt der Band wie ein Gang durch die Geschichte. Aber es ist auch eine Sammlung von Geschichten, die mit schwarzen Humor ausgestattet ist. Joachim Körber ist gleichzeitig der Übersetzer, Herausgeber und Verleger dieses kleinen Corona-Weltuntergangs-Lesebuchs. Es beginnt mit einem Gedicht von 1782 und endet im Jahre 2021. Ein Bogen über Jahrhunderte mit dem immer gleichen menschenerschreckenden Thema eine allumfassenden Seuche. Das Ziel der Autoren, die Auslöschung der Menschheit, und dies möglichst unterhaltsam, in einer Kurzgeschichte.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355