Der Ozean am Ende der Strasse
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Erwachsene begnügen sich damit, denselben Weg zu gehen, hunderte oder tausende Male; vielleicht kommt es Erwachsenen nie in den Sinn, die Wege zu verlassen, unter Rhododendren zu kriechen, die Lücken zwischen Zäunen zu finden.
Sind alle Bücher von Neil Gaiman so? So schön und eindringlich nostalgisch? Zumindest die, die ich kenne. Ich habe nur einen Kritikpunkt, nämlich dass dieses Buch nicht wirklich ein Buch für Erwachsene ist. Die wenigen Erwachsenenszenen wirkten wie nachträglich eingefügt, um uns davon zu überzeugen, dass dies eigentlich eine sehr erwachsene Geschichte ist. Aber wenn man die fragwürdige Sexszene weglässt, wäre ich als Kind von diesem Buch fasziniert und erschrocken gewesen, vielleicht sogar noch mehr, als ich es heute gelesen habe. Es hat alles, was man sich als Kind nur wünschen kann: Magie, Abenteuer, das Überwinden von Ängsten, all die Dinge, die Kinder kennen und Erwachsene nicht mehr verstehen oder sich daran erinnern können.
Ich fand das wirklich faszinierend. Die Geschichte hat fast etwas Traumhaftes an sich, dazu eine schaurig-schöne Kulisse in der englischen Landschaft und es gibt viele Gründe, warum es schwer ist, zu wissen, was real ist und was nicht. Das Buch beginnt mit einem Mann mittleren Alters, der den Ort besucht, an dem er als siebenjähriger Junge mit seinen Eltern und seiner Schwester gelebt hat. Er besucht sein altes Haus, bevor er zum Bauernhof am Ende der Straße hinunter wandert, einem Ort, der eine seltsame Abfolge von Erinnerungen hervorruft, die er mit den Augen eines kleinen Jungen sieht. Wie real sind die Magie und die Ungeheuer unserer Kindheit? Wenn wir zurückblicken und unwissende Jugendliche sehen, die an das Unmögliche glauben, sind wir dann aufgeklärte Erwachsene? Oder sind wir die Unwissenden, geblendet von Jahren, in denen wir uns bemühten, vernünftig zu sein und nicht zu glauben? Sind die Bösewichte, an die wir uns erinnern, Ungeheuer aus einer anderen Welt? Oder ist das nur die Art und Weise, wie Kinder den Menschen, die ihr Leben in Aufruhr gebracht haben, einen Sinn geben?
Dieses Buch hatte den gleichen Charme und die gleiche Schönheit wie seine anderen Welten und dann waren da natürlich noch die Charaktere. Lettie Hempstock, eine Elfjährige, die vielleicht schon sehr lange elf ist, und ihre schrullige Mutter und Großmutter. Auch der Erzähler war mir durchweg sympathisch. Ich glaube, wir erschaffen uns als Kinder eine eigene Welt, zu der die Erwachsenen nicht gehören, deshalb können wir an Dinge wie Magie, Zauberer und den Weihnachtsmann glauben. Und gerade Autoren wie Neil Gaiman haben nie aufgehört Kind zu sein oder haben sich dieses Gefühl bis heute bewahrt.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355