Der 77. Grad
Dem Buchhändler Harry Blake wird von einem reichen Lord¸ Toby Tebbit¸ ein altes Manuskript zur Transkription übergeben. Hierbei scheint es sich um ein Tagebuch zu handeln¸ welches aus der Zeit Queen Elisabeth I. stammt und in einer Geheimschrift dieser Zeit abgefasst ist.
Noch ehe Harry Blake eine Seefahrthistorikerin¸ Zola Khan¸ mit der er in der Vergangenheit fachlich aneinandergeraten war¸ zu Rate ziehen und um Hilfe bitten kann¸ treten bereits zu-nächst ein Mann¸ danach eine Frau mit fragwürdigen Verbindungen an ihn heran¸ fordern die Herausgabe des Tagebuches von ihm und bieten Blake hierfür auch eine nach seinem Dafürhalten¸ ungehörig hohe Summe Geldes an. Er schlägt dieses Angebot aus.
Nachdem sein Auftraggeber¸ Sir Toby Tebbit ermordet worden ist und dessen jugendliche Tochter Debbie¸ Blake darauf drängt seine Recherchen zu intensivieren¸ beginnt nicht nur Blakes detektivisches Interesse zu wachsen¸ sondern auch Zola Khan überwindet ihre fachlichen Ressentiments gegen den Buchhändler und bringt ihr gesamtes Fachwissen ein¸ um das offenkundig dem Dokument innewohnende Geheimnis zu lüften.
Da sich die beiden Wissenschaftler¸ zusammen mit der Tochter des ermordeten Auftraggebers offenkundig in einem Wettlauf mit im nebulösen wirkenden "Dunkelmännern" befinden¸ die vor ihnen das Geheimnis um die Tagebucheinträge zu lüften trachten¸ zieht Zola Khan einen Bekannten hinzu. Dieser versieht die drei nicht nur mit dem nötigen finanziellen Rahmen¸ sondern stellt ihnen auch noch einen mysteriösen Gehilfen zur Seite. Das Quartett infernal begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit und folgt den Spuren des schottischen Hirtensohnes James Ogilvie einer elisabethanischen Expedition in die Karibik. Die Ereignisse¸ die der Zeitzeuge Ogilvie sehr plastisch und lebensnah beschreibt¸ führen die vier Protagonisten immer tiefer in einen vertrackten Sumpf aus Intrigen. Die Verschwörung¸ die sich hierhinter verbirgt und denen sie immer näher rücken ist so ungeheuerlich¸ dass sie imstande ist¸ die Welt¸ so wie wir sie kennen¸ bis ins tiefste Mark zu erschüttern.
Die "Edinburg Times" schreibt; wie Knaur auf dem Klappentext zum Taschenbuch "Der 77. Grad" stolz präsentiert¸ dass eben dieses Buch: "Ein Pageturner [sei]¸ bei dem man sich die Finger wundblättert." Diesem Urteil kann ich mich nicht ganz anschließen¸ denn es ist mir zunächst schwergefallen den etwas ungewöhnlichen Stil des Autors nachzuvollziehen. So befremdete es mich doch sehr¸ dass der Leser zunächst mit der Beschreibung einer Szene aus Sicht der dritten Person konfrontiert wird¸ diese jedoch im Präsens und nicht wie allgemeinhin gewohnt¸ erzählerischen Präteritum abgefasst ist. Nachdem man sich mit dieser Tatsache angefreundet hat¸ oder auch nicht¸ wechselt der Autor erneut die Perspektive¸ indem er Harry Blake¸ den Hauptprotagonisten des Romans in der ersten Person Singular die Ereignisse beschreiben lässt und diese dann¸ wie normalerweise gewohnt¸ im Präteritum abfassen lässt. Zu einer erneuten erzählstilistischen Zäsur kommt es in dem Moment¸ da James Ogilvie¸ der Protagonist des Tagebuches¸ welches der Kern des Anstoßes für die Recherchen von Harry Blake gewesen ist¸ zu Worte kommt und seine Geschichte erzählt. Auch er schreibt in der ersten Person¸ wobei man hier als Leser weniger überrascht ist¸ weiß man doch¸ dass es sich um einen Tagebucheintrag handelt¸ der normalerweise immer in eben dieser Erzählperspektive abgefasst sein.
Von nun an befindet sich der Leser im stetigen Wechsel zwischen der Expedition des James Ogilvie und der detektivischen Recherche des Harry Blake in unserer Gegenwart. Die Zeitebenenwechsel sind deutlich voneinander abgehoben¸ was eine Orientierung leichter macht¸ jedoch sind die "historischen Einschübe" von James Ogilvie teilweise so ausufernd¸ dass es dem Leser schwer fällt in die Ereignisse der Gegenwart zurückzufinden. Dies mag ein stilistischer Kunstgriff sein¸ der dem Leser eine ähnliche Desorientierung suggeriert¸ wie sie Harry Blake selbst beschreibt: "Sogleich versank ich in eine Traumwelt¸ in der allerhand Sachen in einem wilden Durcheinander miteinander verschmolzen: Schiffe¸ die auf dem Meer segelten¸ Nierendolche¸ Köpfe¸ die auf Masten aufgespießt waren¸ […]."[Fußnote 1] jedoch wirkt er auf mich persönlich eher verwirrend.
Die historische Akkuratesse mit der Bill Napier die Orte¸ Figuren und Geschehnisse der Erlebniswelt des James Ogilvie beschreibt ist bewundernswert¸ allerdings merkt man nicht nur an der Hauptthematik des Werkes¸ dass der Autor von Hause aus Professor für Astronomie ist.
So interessante und faszinierende die astronomisch astrologischen Exkurse von James Ogilvie und seines Mentors Mr Harriot auch sein mögen¸ so erscheinen sie mir als Laien doch teilwei-se viel zu kompliziert¸ als dass sie in den Rahmen einer Unterhaltungslektüre hineingepresst werden könnten bzw. müssten. Meiner Ansicht nach hätte es eine einfachere Beschreibung der einen oder anderen nautischen oder auch astrologischen Besonderheit ebenso getan ohne dabei der Spannung und oder der Güte des Inhaltes Abbruch zu tun.
Was die Grundgeschichte des Romans angeht¸ so reiht er sich¸ wie so viele andere derzeitig auf dem Markt befindlichen Mysterythriller¸ in die lange Reihe der Kirchenverschwörungstheoretiker mit ein. Hierfür gibt es derzeit einen besonders breiten Markt¸ was wohl ein Grund für diese Entwicklung auf dem Buchmarkt sein mag¸ andererseits ist kaum ein Bereich des menschlichen Miteinanders so kontrovers und auch geheimnisumwittert¸ wie der Glaube¸ besonders jener¸ der sich auf die katholische Kirche mit ihrer Dogmatik gründet.
Gerade die christliche Welt katholischer Prägung ist voll von Geheimnissen und Intrigen. Nicht umsonst hat es immer wieder innerhalb der Christenheit blutige Auseinandersetzungen und systematische Verfolgung gegeben. Hierin ruht ein großes Spannungspotential¸ welches sich auch Bill Napier in seinem Roman zunutze macht.
Es ist ein gutgeschriebenes und von der chronologisch-logischen Konstruktion abgerundetes Werk mit einigen Ecken und Kanten¸ die zugegebenermaßen aber auch auf die subjektive Voreingenommenheit des Rezensenten zurückzuführen sein könnten.
All diejenigen¸ die sich bei Dan Brown¸ Michael Byrnes und Konsorten wohlfühlen¸ bietet "Der 77. Grad" Lesespaß auf hohem Niveau jedoch sollten diejenigen Leser¸ die Anstoß nehmen an Dan Brownscher "Verschwörungstheorie"¸ lieber die Finger von dem Buch lassen.
[Fußnote 1: Napier¸ Bill: Der 77. Grad¸ München 2007¸ S.98]
Eine Rezension von: Florian Kayser http://www.geisterspiegel.de