Chalions Fluch
Lupe dy Cazaril hat eine bewegte Vergangenheit. Dem ehemaligen Kastellan und treuen Diener des Königreichs Chalion wurde sein Dienst schlecht gedankt: Durch Verrat wurde er als einziger hoher Offizier bei der Übergabe einer Festung an die Roknari nicht ausgelöst. Zwei Jahre als Rudersklave haben aus Cazaril einen gebrochenen Mann gemacht¸ sein Rücken ist von Peitschenhieben zerfetzt und sein Körper ausgezehrt. Als stinkender Vagabund tritt er vor die Herzoginwitwe von Baocia und bittet um eine Stellung in ihrem Haushalt¸ falls er in seinem Zustand überhaupt noch von Nutzen sein kann. Niemals hätte er sich jedoch träumen lassen¸ als Erzieher der Prinzessin Iselle und ihrer Kammerzofe Betriz angestellt zu werden.
Diese lernen von Cazaril nicht nur fremde Sprachen¸ sondern auch Raffinesse und Weitsicht¸ während er ein Auge auf die viel jüngere Betriz wirft. Doch alle seine Träume werden zerstört¸ als seine Schützlinge nach Cardegoss¸ dem Sitz König Oricos¸ bestellt werden. Dessen Kanzler dy Jironal und sein jüngerer Bruder haben ihn damals seinen Feinden ausgeliefert und trachten ihm nun erneut nach dem Leben¸ während sie Prinz Teidez und Prinzessin Iselle umgarnen ‐ bei ersterem durchaus erfolgreich. Als Iselle an den Bruder des Kanzlers¸ Dondo dy Jironal¸ verheiratet werden soll¸ sieht Cazaril keinen anderen Ausweg mehr¸ als ihn durch einen Todeszauber daran zu hindern. Der Haken ist: Der Todesdämon fordert stets auch den Tod des Beschwörers … doch Cazaril überlebt¸ dy Jironal stirbt. Keiner der fünf Götter nimmt sich bei der Beerdigung der Seele dy Jironals an ‐ und Cazaril erfährt mehr über den Fluch von Chalion¸ den er nun als dunkle Aura um alle Angehörigen des Königshauses erkennen kann. Vor dy Jironal hat er Iselle gerettet¸ doch nun muss er sie und das Königreich von einem göttlichen Fluch befreien …
Die Autorin
Lois McMaster Bujold (* 2. November 1949) ist eine erfolgreiche SciFi- und Fantasy-Autorin¸ die bereits fünfmal mit dem hoch angesehenen Hugo Award und einmal mit dem Nebula Award ausgezeichnet wurde. Damit übertrifft sie sogar den bisherigen Rekord (vier Hugos) von Altmeister Robert A. Heinlein.
Zu ihren bekanntesten Werken gehört die Barrayar-Space-Opera mit ihrem Helden Miles Vorkosigan. Doch auch im Fantasy-Bereich hat die Autorin beachtliche Erfolge aufzuweisen. Dem historisch stark an das mittelalterliche Italien angelehnten "Fiamettas Ring" folgte 2001 "The Curse of Chalion" / "Chalions Fluch"¸ der den Mythopoetic Award für Erwachsenenliteratur gewann und für den World Fantasy Award 2002 nominiert wurde.
Der noch nicht übersetzte Nachfolger "Paladin of Souls" / "Paladin der Seelen" gewann übrigens den Hugo Award 2004 und stellt somit ihren fünften Hugo für einen Roman dar.
Die etwas andere Fantasywelt der Lois McMaster Bujold
Komplexe¸ faszinierende und dennoch stets glaubhafte und stimmige Fantasywelten ufern in der Regel zu umfangreichen Endloszyklen aus ‐ Robert Jordans "Rad der Zeit" und George R. R. Martins "Lied von Eis und Feuer" lassen grüßen.
Wem der Gedanke¸ in fester Reihenfolge tausende Seiten Lesestoff aufzuarbeiten¸ um auf eine Fortsetzung stets bis zu über zwei Jahren warten zu müssen¸ zuwider ist¸ sollte aufmerken: Chalion stellt zwar eine komplexe Welt dar¸ aber alle Geschichten der geplanten Reihe sind in sich abgeschlossen und nur lose miteinander verbunden; die Helden wechseln. So wird Königinwitwe Ista im zweiten Band der Chalion-Welt¸ "Paladin der Seelen"¸ die Heldin sein und Lupe dy Cazaril ablösen.
Ein sehr viel versprechendes Konzept¸ das Abwechslung bei einem gleichzeitig hohen Maß an Komplexität und Hintergrund verspricht¸ jedoch stets Neulesern einen Einstieg ermöglicht¸ ohne auf etlichen Vorgängerbüchern aufzubauen.
Die Welt von Chalion hat einen starken spanischen Einschlag¸ wie man an der leicht verfremdeten Namensgebung¸ so zum Beispiel "dy Cazaril" statt "y/de Cazaril"¸ erkennen kann. Die Königsstadt "Cardegoss" erinnerte mich an einen Mix aus Cartagena und Saragossa. Einige andere Verfremdungen wie das selten gebrauchte "Ser" für "Sir" sowie gewisse Elemente der religiösen Konzeption Chalions sind eindeutig von George R. R. Martins "Lied von Eis und Feuer" entlehnt¸ wie das Götterquintett "Vater¸ Mutter¸ Sohn¸ Tochter und Bastard".
Jedoch betont Lois McMaster Bujold die Rolle des Klerus stärker¸ sie bedient sich hierzu freigiebig bei den damals tatsächlich existierenden Ritterorden Spaniens für ihre zwei Ritterorden der "Tochter" und des "Sohnes". Der theologische Unterbau ihrer Welt ist ausgeprägter¸ wesentlich detaillierter¸ Chalions Priestern kommt eine weitaus bedeutendere Rolle zu als ihren eher unbedeutenden Kollegen in der von Kampf und Machtpolitik geprägten Welt Martins.
Magie wird dementsprechend in Chalion durch göttlichen Beistand erbeten¸ man zaubert nicht selbst¸ aber der auf Gerechtigkeit und Ausgleich bedachte Gott "Bastard" ermöglicht so zum Beispiel nahezu jedermann den verpönten und strengstens verbotenen Todeszauber¸ der sowohl Opfer als auch Beschwörer das Leben kostet.
Am Hofe Chalions hingegen geht es zu wie im historischen Kastilien und Aragón ‐ Bujold hat diese Zeit gründlich studiert¸ sie vortrefflich in ihre Fantasywelt übernommen und ihre eigenen Konflikte zwischen Kirche und Staat¸ den diversen Ritterorden und verfeindeten Nationen daraus entwickelt.
Eine spannende Geschichte mit Happy End
Gewiss eine faszinierende Welt¸ aber was taugt der Roman an sich? Man wird nicht entäuscht¸ die Geschichte ist gut durchdacht¸ humorvoll und gewandt erzählt. Was sich bei anderen Endlos-Zyklen oft über Bände hinwegzieht wird hier in einem Roman erzählt¸ keinerlei Längen hat dieses durch und durch kurzweilige und unterhaltsame Buch.
Es wird durchgängig aus der dritten Person erzählt¸ allerdings dürfen wir des Öfteren die kursiv gedruckten Gedankengänge Cazarils unmittelbar mitverfolgen¸ aus dessen Warte man die Handlung erlebt.
Lupe dy Cazaril ist ein wenig an Bujolds Barrayar-Helden Miles Vorkosigan angelehnt¸ was mich jedoch nicht gestört hat¸ zu sympathisch war mir der im Zentrum der Handlung stehende Antiheld¸ wenn er von körperlichen Schwächen geplagt wird und sich mit ausweglosen Situationen konfrontiert sieht. Humor beweist die Autorin¸ als sie ihn seinen beiden Damen das Schwimmen beibringen lässt¸ die sich einen Spaß daraus machen¸ ihren älteren Lehrer mit ihren Reizen in Verlegenheit zu bringen …
Ein Tierpfleger¸ der mehr ist als er scheint¸ und andere interessante Nebenfiguren wie die Königinmutter Ista¸ die im Gegensatz zu ihren Kindern von den Fluch weiß und deshalb für die Außenwelt in ihrem Verhalten als halb wahnsinnig erscheint¸ sind nur einige der vielen gelungenen Nebencharaktere.
Der einzige Vorwurf¸ den man dem "Fluch von Chalion" machen kann¸ ist sein etwas altbackener¸ klassischer Aufbau: Natürlich gibt es ein Happy End für Cazaril und alle anderen¸ Bösewichte und gute Jungs sind von vorneherein offensichtlich festgelegt und klar zu erkennen.
Dennoch ist das Buch nicht¸ wie man befürchten könnte¸ einfältig simpel. So wird Cazaril mit dem älteren dy Jironal ein gewisses Zweckbündnis aus gemeinsamen Interesse eingehen¸ das anfangs unverständliche¸ wahnsinnige Gejammer Istas wird sich im Laufe des Buchs als wahr entpuppen¸ während sie fälschlicherweise von ihrer Umwelt bedauert und für pflegebedürftig gehalten wird.
Ein echtes Highlight der Fantasy
Lois McMaster Bujold hat mit "Chalions Fluch" ein Meisterwerk geschaffen¸ das auch für die Zukunft der Serie große Hoffungen weckt. Sowohl Freunde episch breiter Fantasyzyklen als auch Freunde historischer Romane sowie Fantasyeinsteiger werden mit diesem Konzept glänzend bedient.
Die Geschichte an und für sich ist zwar hochgradig konventionell¸ jedoch auf einem so hohen Niveau¸ das wohl kaum jemand darüber die Nase rümpfen kann ‐ im Gegenteil: Ich wünsche mir noch viel mehr davon! Zumal auch die Übersetzung von erster Güte ist.
Eine gewisse Ironie liegt im deutschen Titelbild: Es ist das der englischen Ausgabe von George R. R. Martins "Lied von Eis und Feuer"¸ man erkennt deutlich Melisandre und Robb Stark. Zum Glück verwendet Lübbe zumindest konsequent auch für den Folgeband "Paladin der Seelen" ein englisches Eis-und-Feuer-Cover.
Die offizielle Homepage der Autorin:
http://www.dendarii.com/
Eine Rezension von: Michael Birke http://www.buchwurm.info/