Blind
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Jude Coyne¸ seineszeichens ein alternder¸ fast fünzigjähriger Rockstar sammelt Makabres. Und was er nicht alles sein eigen nennt. Er hat ein Sündenbekenntnis einer als Hexe verbrannten Frau¸ das Kochbuch eines Kannibalen¸ einen Totenschädel¸ eine Henkersschlinge und anderes mehr. Um aber seinem makabren Sammelleidenschaften die Krönung aufzusetzen¸ lässt er im Internet seinen Assistenten einen Geist ersteigern. Das hört sich schon ziemlich morbide an. Aber es kommt noch besser¸ als er in einer schwarzen Herzschachtel den Anzug des Toten erhält. Und mit diesem Anzug auch den Geist. Tausend Dollar für einen Geist¸ das ist doch nicht der Rede Wert¸ oder? Wenn es nicht der Rede Wert wäre¸ hätten wir aber jetzt keinen spannenden Roman. Denn der Tote¸ oder besser der Geist ein gewisser Craddock McDermott¸ hat alles extra eingefädelt. Es geht nämlich um Anna¸ der Stieftochter von McDermott und das¸ was der Rockstar Jude ihr antat.
Der Rockmusiker hat verspielt¸ um bei dem Gleichnis zu bleiben. Für ihn beginnt ein Horrortrip und McDermott bleibt nicht der einzige Geist¸ der ihm die Flötentöne beibringen will. Jude Coyne macht sich mit seiner Freundin Georgia¸ einem Gothic-Fan¸ auf den Weg¸ um bei der Tochter des Toten¸ im sonnigen Florida¸ Hilfe zu finden. Georgia eigentlich Marybeth und ehemalige Stripperin¸ trägt den Namen Georgia¸ weil Jude allen seinen Gespiellinnen den Namen ihres Heimatlandes als Spitznamen verpasst. Der Rock-Groupie ist erst mehr als schönes Beiwerk zusehen. Mit dem Fortschreiten der Handlung entpuppt sich das Betthäschen aber als hilfreiche Stütze. Nicht nur¸ weil sie durch ihre Grossmutter ein wenig Erfahrung mit Geistern hat. Die Verkäuferin des Geistes war die Schwester der depressiven Exfreundin¸ die Jude irgendwann aus dem Haus geworfen und sie sich umgebracht hat. Und nur der Tod von Jude Coyne kann die Schmach rächen.
Wer der Meinung ist¸ die Zeit der Geistergeschichten ist seit E. T. A. Hoffmann vorbei¸ der irrt. Joe Hill überzeugt den Leser rasch des Gegenteils¸ obwohl er alle Vorlagen alter Geistergeschichten erfüllt. Die Erinnerung an die Zeiten der Romantik werden mit der unheimlichen Atmosphäre hoch und in Ehren gehalten. Die Idee¸ einen Geist per Internetversteigerung dem eigenen Haushalt zuzufügen ist dabei der Tribut an die heutige Zeit.
Mir gefällt besonders¸ wie Joe Hill seine Figuren aufbaut. Hatte ich erst befürchtet¸ einen Abklatsch seines Vaters Stephen King zu lesen¸ musste ich mich schnell eines Besseren belehren lassen. Jude ist ein Mensch mit guten wie auch schlechten Charaktereigenschaften. Er schafft es nie¸ der strahlende Held zu sein und ich hatte auch nie den Eindruck¸ dass der Autor es darauf angelegt hätte.
BLIND (blöder Titel¸ wer kam nur darauf?)¸ eigentlich HERZFÖRMIGESCHACHTEL¸ ist kein Gruselroman¸ sondern eindeutig eine Geistergeschichte. Im Laufe der Handlung verliert sich jedoch der Einfluss und weicht mehr einer abenteuerlichen Geschichte. Leider muss man sagen¸ denn es gibt Stellen in dem Buch¸ etwa mit Grossmutter Bammys Schwester¸ die den Gruselfaktor hoch halten.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355