Bios
Mutter Erde ist ein Waisenkind. Das stellt sich heraus¸ als die Menschen den Planeten Isis erforschen. Doch um diese Wahrheit zu erfahren¸ müssen die Forscher aufhören¸ als Menschen zu existieren. - 'Bios'¸ im Original 1999 erschienen¸ ist ein wissenschaftlich fundierter und recht spannend geschriebener SF-Roman: ein wahrer Bio-Thriller.
Robert Charles Wilson wurde 1953 in Kalifornien geboren und lebt in Toronto. Er gehört seit seinem mehrfach preisgekrönten Roman 'Darwinia' zu den bedeutendsten Science-Fiction-Autoren der Gegenwart.
Im 22. Jahrhundert haben die Menschen die von Seuchen und Biowaffen verheerte Erde weitgehend verlassen müssen. Zunächst gründeten die konservativen Nonkonformisten am Rande des Solarsystems¸ im so genannten Kuiper-Gürtel¸ eigene Kolonien. Alle Hoffnungen jedoch ruhten auf weit entfernten erdähnlichen Welten wie Isis¸ die man komplett und in großer Zahl besiedeln konnte.
Auf Isis¸ so beobachten die Forscher¸ ist die Evolution natürlich anders verlaufen als auf der Erde¸ weniger von Katastrophen und Mutationen heimgesucht. Folglich ist das Leben an sich¸ die Zellen selbst¸ hoch entwickelt und äußerst wehrhaft gegen Einwirkungen von außen. Den Menschen präsentiert sich ein Paradies¸ das für sie absolut tödlich ist: Die Isis-Organismen zersetzen menschliche Zellen zu einer schwarzen Soße.
In dieses tödliche Wunderland dringt eine neue Alice vor. Mit Namen Zoe Fisher¸ soll sie erst auf der Orbitalstation Dienst schieben¸ später dann die neueste Errungenschaft der Erdwissenschaft testen: einem neuen Exkursionsanzug. Dafür ist's auch höchste Zeit¸ denn die Isis-Mikroben haben offenbar eine Methode gefunden¸ um die Dichtungen der Bodenstationen und der herkömmliche Exkursionsanzüge¸ die schwer gepanzert sind¸ zu zersetzen: Der Untergang der Menschen auf - und über - Isis ist besiegelt.
Zoe ist nicht nur außen besser geschützt als der Rest¸ sondern auch innen. So kann sie weiter vordringen als irgendein Mensch vor ihr¸ mitten in eine Kolonie intelligenter Wesen. Und dort stößt sie auf ein unglaubliches Geheimnis.
Ich habe diesen Bio-Thriller in nur einem Tag gelesen. Das ist nicht schwer¸ denn die Kapitel sind so kurz wie bei James Patterson und ebenso spannend. Außerdem kam es mir dabei so vor¸ als hätte ich so manches Motiv bereits irgendwo anders gelesen - wenn auch nicht in dieser Kombination. Um zu entsprechenden Quellen zu gelangen¸ müsste man in die siebziger Jahre zurückgehen¸ zu Autoren wie Alan Dean Foster¸ oder noch weiter zurück.
Sei's drum: Die Story reißt mit. Und es geht dem Autoren ja nicht um die simple Erforschung des Geheimnisses von Isis oder den unabwendbaren Untergang seiner Erforscher¸ sondern vielmehr auch um die Untersuchung eines Testfalls. Getestet wird hier nicht die Fremdwelt¸ sondern die Menschheit des 22. Jahrhunderts. Dieser Test bezieht sich nicht nur auf die fortgeschrittene Technik - das wäre ja zu erwarten -¸ sondern insbesondere auf die psychosoziale Verfassung der Menschen¸ die mit Isis zu tun haben.
Wie oben erwähnt¸ ist die Menschheit lange in zwei Siedlungszonen gespaltet gewesen: die Erdlinge¸ die das Kartell hervorgebracht haben¸ und die nonkonformistischen Rebellen der Kuiper-Welten. An der Front¸ also in der Isis-Orbitalstation und in den Bodenstationen¸ müssen beide zusammenarbeiten. Doch nur die Erdlinge haben leitende Funktionen inne¸ die Kuiper-Rebellen machen die Drecksarbeit und sind folglich unter den ersten¸ die geopfert werden.
Dieses System erinnert an die mittelalterliche Zeit des Feudalismus¸ als sich die Adligen zu Zeiten der Pest in ihren Schlösser und Burgen verschanzten¸ in der Hoffnung¸ von der tödlichen Seuche verschont zu werden. Eine Illusion¸ wie sich oft herausstellte. Edgar Allan Poe hat darüber eine schön-schaurige Geschichte geschrieben: 'Die Maske/Der Maskenball des Roten Todes' (The Masque of the Red Death).
Nun wiederholt sich die Geschichte auf Isis: Die 'Bauern' werden geopfert¸ die 'Adligen' und Funktionäre versuchen ihre Haut zu retten¸ und nur ein einziger Mensch setzt sich wirklich mit dem grundlegenden Problem auseinander: Zoe Fisher¸ unsere Alice im Wunderland. Als 150 Jahre später nach einer Revolution wieder Forscher nach Isis kommen¸ werden sie als alte Bekannte begrüßt - aber nicht von Menschen und nicht in einer ihnen bekannten Sprache. Werden die Waisen der Sterne endlich nach Hause finden?
Wie gesagt¸ lässt sich 'Bios' sehr schnell und spannend lesen. Der Schluss ist ein schöner Augenöffner¸ soll hier aber nicht verraten werden.
Die Übersetzung vom Ehepaar Linckens trägt wesentlich zum Verständnis der zahlreichen Fachbegriffe aus der Biochemie bei: Diese Begriffe werden kurz in Fußnoten erklärt. Auch stilistisch ist die Übersetzung ein echter Pluspunkt des Buches.
Science-Fiction-Kennern werden einige Motive bekannt vorkommen¸ so dass sie das Buch nicht gerade umhaut. Die Vorgänge an Bord der Isis-Orbitalstation hätte beispielsweise C. J. Cherryh wie in 'Pells Stern' (Downbelow Station¸ HUGO-preisgekrönt) sicherlich spannender und komplexer geschildert. Die Exkursionen auf Isis selbst wurden schon x-mal ähnlich beschrieben¸ etwa in zahllosen Folgen von 'Earth 2'. Eigenständig ist wohl eher die Figur der Zoe Fisher und das System¸ das sie hervorgebracht hat.
Michael Matzer (c) 2003ff
(lektoriell editiert)
Eine Rezension von: Gastautor http://www.buchwurm.info/