Aufzeichnungen aus dem Untergrund
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
1995 wurde der Roman unter der Regie von Gary Walkow unter dem Titel Notes from Underground verfilmt. In den Hauptrollen sind Henry Czerny und Sheryl Lee zu sehen.
Manch einer wird sich fragen, warum Fjodor Dostojewski sich im phantastischen Bücherbrief findet. Hauptsächlich findet man in den Bücher die Geschichte Die Dämonen, weniger das wesentlich interessantere Aufzeichnungen aus dem Untergrund. Oder Aufzeichnungen aus dem toten Haus und ähnlichen Titeln. Je nach dem / der Übersetzer/in. Hintergrund für das Buch ist der Umstand, dass Fjodor Dostojewski am 22. Dezember 1849 hingerichtet werden sollte. Allerdings wurde es nur eine Scheinhinrichtung und erfolgte ein jahrelanger Aufenthalt in einem sibirischen Gefängnis.
Warum also das Buch im phantastischen Bücherbrief? Vielleicht wegen dem mit Liebe hergestellten Buch an sich? Das ist sicher ein Grund, gebunden, mit Lesebändchen, Schutzumschlag, lesefreundlichen Seiten etc. Im gleichen Format und Qualität stellte ich im letzten Bücherbrief Edgar Alan Poes Die Erzählungen des Folio Clubs vor. Es lohnt sich auch die anderen Bücher Thomas Morus Utopia, Mary Shelley Frankenstein und andere kennenzulernen.
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Sein Aufenthalt im Lager wurde für Fjodor Dostojewski zu einem einschneidenden Erlebnis, zur Schule der Abgründe des Menschlichen, um es zu zitieren. Seine Erlebnisse wurden vielfach in seinen Romanen ver- und bearbeitet.
Das Buch arbeitet, wie jeder Roman, mit einer fiktiven Figur, die es nicht gibt, aber Anleihen bei lebenden Personen durchaus hat oder haben kann. Im Mittelpunkt steht der adlige Mörder Alexander Petrowitsch Gorjantschikow, dessen Tat auf Eifersucht gründete. Fjodor Dostojewski ist ein genauer Beobachter, der an seinen Mithäftlingen und nicht zuletzt an sich selbst illusionslos verzeichnet, was das Lager aus den Menschen macht.
Der Roman zerfällt in zwei stilistisch sehr unterschiedliche Teile: der erste ist essayistisch, der zweite erzählerisch angelegt und wurde gelegentlich als Novelle betrachtet. Hauptfigur und Ich-Erzähler ist ein etwa 40-jähriger ehemaliger Beamter, dessen Name nicht erwähnt wird. Über seine Lebenssituation wird nur bekannt, dass er den Dienst quittierte, alleine in einer Kellerwohnung am Rand von St. Petersburg lebt und seinen Lebensunterhalt aus einer bescheidenen Erbschaft bestreitet.
Eine absolut brillante und durchdringende Analyse der menschlichen Natur in all ihrer eitlen Lächerlichkeit. Dostojewski ist besonders aufschlussreich, wenn es darum geht, das zu entlarven, was ich grob als "Rationalismus" bezeichnen würde - der (damals etwas populäre und heute überraschend populäre) Glaube, dass die Menschen rational und eigennützig handeln, vor allem, wenn ihnen bewusst gemacht wird, wo ihr Eigeninteresse liegt. Dieses Buch sollte Pflichtlektüre für fast alle Wirtschaftsfakultäten in der Welt sein, wo solche Fantasien immer noch die Oberhand haben! Die Figur des Underground Man ist wie ein Kind, das schreit: "Der Kaiser hat keine Kleider!", nur dass er auch ein Kaiser ist und von sich selbst spricht und darauf hinweist, dass auch die anderen keine Kleider haben.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355