Anita Blake 5: Bleiche Stille
Laurell K. Hamilton¸ ihres Zeichens amerikanische Fantasy-Autorin¸ ist eine vielbeschäftigte Frau. Ihre beiden Romanserien um die Vampirjägerin Anita Blake und die Sidhe-Prinzessin Merry Gentry scharen eine immer größere Fangemeinde um sich¸ und folglich muss ständig Nachschub an Lesefutter geschaffen werden. Die "Anita Blake¸ Vampire Hunter"-Serie umfasst mittlerweile 15 Bände und "Bleiche Stille" ist bereits die fünfte deutsche Episode um die Vampirjägerin. Anita Blake führt nämlich¸ wie ihre Erfinderin¸ ein ausgelastetes Leben. Hauptberuflich ist sie ein Necromancer und erweckt Tote wieder zum Leben¸ doch im Nebenjob ist sie der staatliche Vampirhenker und arbeitet mit einer Einheit der Polizei an übernatürlichen Fällen. Als wäre dies nicht genug¸ sieht es auch in ihrem Privatleben kaum geordneter aus: Jean-Claude¸ der mächtigste Vampir der Stadt¸ hat es auf Anita abgesehen. Diese bevorzugt eher den Werwolf Richard. Um einen wackligen Frieden zwischen Vampiren¸ Werwölfen und Anita zu bewahren¸ musste sie sich einverstanden erklären¸ mit beiden auszugehen ...
Doch Richard hat in "Bleiche Stille" nur einen kurzen Auftritt. Anita bekommt nämlich den Auftrag¸ die Toten eines 200 Jahre alten Friedhofs zu erwecken¸ und muss daher ihr Date mit Richard absagen. Gerade als sie auf dem besagten Friedhof eintrifft¸ erhält sie einen Anruf von der Polizei¸ dass drei Leichen brutal verstümmelt aufgefunden worden sind. Bald wird klar¸ hinter den Morden muss ein Vampir stecken¸ doch da Anita auf eigene Faust nicht weiterkommt¸ bittet sie Jean-Claude um Hilfe. Dieser zögert natürlich nicht lange und macht es sich in Anitas Hotelzimmer bequem. Doch sein Sarg ist verschwunden ‐ offensichtlich ein kleiner Scherz des örtlichen Meisters¸ der Vampirin Serephina. Jean-Claude will sie wegen der Morde konfrontieren¸ doch als er und Anita bei Serephina eintreffen¸ müssen sie feststellen¸ dass sie sich damit in eine sehr gefährliche Lage gebracht haben.
"Bleiche Stille" beinhaltet alle Zutaten¸ die ein Laurell-K.-Hamilton-Buch zu einer unterhaltsamen Lektüre machen: unappetitliche Mordszenen¸ ein dichter Plot¸ böse und gute Cops¸ charismatische Bösewichte und einen guten Schuss Erotik. Denn obwohl Anita als Vampirjägerin Jean-Claude eigentlich auf Abstand halten sollte¸ kann auch sie sich seinem Sexappeal nicht völlig entziehen. Endlich¸ nach vier Bänden¸ kommen die beiden sich körperlich und emotional etwas näher. Und endlich erfährt man auch etwas mehr über Jean-Claude¸ der bisher der mysteriöse Vampir im Hintergrund geblieben ist. Schon für die gelungene Interaktion zwischen den beiden (so fungiert Anita als Blutspender und wird später mit einem Jean-Claude im Schaumbad entlohnt) hat Hamilton die Bestnote verdient. Die geneigte Leserin wird ihre helle Freude haben¸ auch wenn es (noch) nicht zum Letzten kommt.
Ansonsten überzeugt in "Bleiche Stille" besonders die übermäßig mächtige Serephina¸ die einen würdigen Gegner für das Team Anita/Jean-Claude darstellt. Auch Larry¸ Anitas Necromancer-Azubi¸ kann mit seinem schnellen Mundwerk und seiner sympathischen Art Punkte beim Leser sammeln. Das Gleiche gilt für Jason¸ Jean-Claudes Schoß-Werwolf¸ der mit seinen schwarzen Lederhosen nicht nur was fürs (imaginäre) Auge bietet¸ sondern durch seine trockene Art auch noch Anita zur Weißglut zu bringen vermag. Außerdem weist die Geschichte um den 200 Jahre alten Friedhof und die dazugehörige Familie Bouvier Parallelen zu Hamiltons Merry-Gentry-Serie auf. Wer also Fan der Sidhe-Prinzessin ist¸ dem wird auch dieser Handlungsstrang in "Bleiche Stille" gefallen. Doch die Gentry-Reihe zu kennen¸ ist kein Muss. Auch ohne dieses Hintergrundwissen wird man sich in Hamiltons Roman bestens zurechtfinden.
Nachdem der vierte Band "Gierige Schatten" in vielerlei Hinsicht ein wenig auf der Stelle getreten ist¸ gibt Hamilton hier wieder richtig Gas. Der Krimiplot ist dicht¸ wenn auch zeitweilig etwas verwirrend¸ und vermag es¸ den Leser bei der Stange zu halten. Was Hamilton diesmal allerdings besonders gut gelungen ist¸ sind die Charakterisierungen. Nicht nur wird Jean-Claudes Vergangenheit endlich näher beleuchtet¸ auch Anita muss sich einigen Dingen stellen¸ die sie eher unerfreulich findet. Wieso macht es ihr nichts aus¸ auf jemanden eine Waffe zu richten? Macht sie das zu einem schlechten Menschen? Ist sie selbstgerecht? Mehr und mehr wird ihr klar¸ dass ihre Arbeit (und ihre nahen Kontakte zur Monster-Unterwelt) sie langsam abstumpfen. Diese Entwicklung gefällt ihr gar nicht¸ doch gleichzeitig kann sie auch nichts dagegen tun.
Auch die Übersetzung gibt sich wieder Mühe und kann mit vielen spritzigen Passagen glänzen. Die Ausreißer nach unten sind selten ‐ so würde Anita sicher nie ein steriles Wort wie "Verkehr" benutzen¸ wenn sie eigentlich Sex meint. Dafür ist ihre Sprache eigentlich viel zu blumig und direkt. Doch solche kleinen Patzer sind selten¸ und so macht die deutsche Übersetzung fast so viel Spaß wie das Original. Gleiches kann man vom Titel des Romans leider nicht sagen. Weder hat "Bleiche Stille" irgendetwas mit der Handlung zu tun¸ noch ergibt der Titel an sich Sinn. Wie bleich kann eine Stille eigentlich sein? Die Übersetzungen der Titel waren und sind ein großes Manko der Reihe. Da muss sich doch etwas verbessern lassen!
Alles in allem ist der fünfte Band der Serie damit ein wunderbar rundes Buch¸ das sich in ein oder zwei Sitzungen durchschmökern lässt. Anspruchsvolle Literatur darf man nicht erwarten¸ doch dafür wird man mit Anitas gewohnt schnippischem Stil belohnt. Die Story weist diesmal nicht einen Hänger auf¸ wodurch die rund 500 Seiten nie langweilig werden. Entweder geht es mit der Action voran und es gibt blutig zugerichtete Leichen oder aber Anita und Jean-Claude haben eine ihre Auseinandersetzungen¸ die jedoch so stark erotisch aufgeladen sind¸ dass man nicht um die beiden fürchten muss. Damit ist "Bleiche Stille" das bisherige Highlight in der Romanserie und man kann nur hoffen¸ dass Laurell K. Hamilton den hier gesetzten Standard auch bei den Nachfolgern wird halten können! Vampirfans jedenfalls kommen hier voll auf ihre Kosten¸ dafür sind die Werwölfe diesmal jedoch etwas unterrepräsentiert.
Reihenfolge der Anita-Blake-Romane:
Guilty Pleasures (Bittersüße Tode¸ 2003)
Laughing Corpse (Blutroter Mond¸ 2005)
Circus of the Damned (Zirkus der Verdammten¸ 2005)
The Lunatic Cafe (Gierige Schatten 2006)
Bloody Bones (Bleiche Stille¸ 2006)
The Killing Dance (Tanz der Toten¸ 2007)
Burnt Offerings (Dunkle Glut¸ 2007)
Blue Moon
Obsidian Butterfly
Narcissus in Chains
Cerulean Sins
Incubus Dreams
Micah
Danse Macabre
The Harlequin
Eine Rezension von: Michaela Dittrich http://www.buchwurm.info/