Anita Blake 4: Gierige Schatten
"Gierige Schatten" ist bereits der vierte Roman aus Laurell K. Hamiltons "Anita Blake¸ Vampire Hunter" Serie. Für alle¸ die die bisherigen Romane nicht gelesen haben¸ hier eine kleine Einführung in die Welt Anita Blakes: Anita Blake¸ 24¸ klein¸ schlank und drahtig¸ lebt in St. Louis und verdient ihre Brötchen damit¸ dass sie bei Animators Inc. Tote wieder zum Leben erweckt. Im Nebenjob hilft sie der Polizei bei übernatürlichen Fällen als Sachverständige (schließlich hat sie mal übernatürliche Biologie studiert). Doch damit nicht genug; in der Vampirgemeinde von St. Louis ist sie außerdem als der Scharfrichter bekannt¸ da sie auch ganz gern mal den ein oder anderen Untoten (endgültig) um die Ecke bringt. Das weiß auch der Vampir Jean-Claude¸ seines Zeichens Meister der Stadt¸ also quasi der Obervampir von St. Louis. Allerdings hat er sich in den Kopf gesetzt¸ Anitas Herz zu gewinnen und umgarnt sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Imm vierten Roman der Reihe muss er sich aber plötzlich mit einem Nebenbuhler abfinden. Richard¸ den Anita schon im Vorgänger "Zirkus der Verdammten" kennengelernt hatte¸ ist zwar ein Werwolf¸ schaffte es aber trotzdem¸ Anitas Herz schneller schlagen zu lassen. Als nach zwei Monaten des regelmäßigen Datens die Hormone plötzlich überkochen¸ erweist sich die toughe Anita als ungewohnt bürgerlich und weigert sich¸ Sex ohne Trauschein zu praktizieren. Kurzentschlossen verloben sich die beiden also¸ was die Beziehung aber zunehmend verkompliziert. Was Anita nämlich nicht wusste¸ ist¸ dass Richard der Zweite in der Rangfolge der Werwölfe ist und sich in Machtkämpfen mit dem Alphawolf Marcus befindet. Diese Kämpfe gehen in der Regel tödlich aus¸ was Anita besonders beunruhigt¸ da Richard überzeugter Pazifist ist. Sie taucht viel tiefer in die Welt der Lykanthropen ein¸ als ihr lieb ist¸ denn zu allem Überfluss wird sie von Marcus beauftragt¸ das Verschwinden von acht Mitgliedern des Rudels zu untersuchen. Doch ob diese ermordet wurden oder nur verschleppt¸ wer der Bösewicht ist und welches Motiv er hatte¸ das verrät Hamilton naturgemäß erst ganz am Schluss des Romans. "Gierige Schatten" ist deutlich schwächer als der rasante Vorgänger "Zirkus der Verdammten". Die Handlung dreht sich fast ausschließlich um das oben beschrieben Shapeshifter-Problem¸ kommt aber auf den fast 600 Seiten nur ruckweise vorwärts und wird eher forciert und freudlos beendet. Die eigentliche Krimihandlung gerät über weite Strecken komplett ins Hintertreffen und wird von Anitas Liebeleien stark überschattet. Der Schwerpunkt des Romans liegt diesmal ganz klar auf Anitas Privatleben und ihren zwei Männern. Denn wer denkt¸ Jean-Claude würde sich von einer Verlobung so einfach abschrecken lassen¸ kennt den Vampir schlecht. Unter der Drohung¸ Richard zu töten¸ erpresst er von Anita die Zusage¸ ihr einige Monate lang den Hof machen zu dürfen¸ sodass er eine Chance bekommt¸ sie (zurück)zugewinnen. Hat Anita Jean-Claude sonst immer vehement widersprochen und keinen Zentimeter Boden hergegeben¸ willigt sie überraschend schnell in dieses Arrangement ein¸ was den Leser und Jean-Claude wohl freuen wird¸ für Anita selbst aber völlig out-of-character ist. Überhaupt nimmt das Buch seltsame Wendungen. In einem Roman¸ in dem Waffen so unentbehrlich sind¸ dass man sie sogar mit ins Bad nimmt¸ wo Monster und andere Bösewichte auftauchen und wo ständig ein erotisches Prickeln hervorgerufen wird¸ kann die Protagonistin sich nicht plötzlich als prüde Puritanerin hinstellen. Bisher lebten die Romane an vielen Stellen von den erotisch konnotierten Begegnungen zwischen Anita und Jean-Claude. Mit dem neuen Wissen aber¸ dass Anita niemals in vorehelichen Sex einwilligen würde¸ geht diese Erotik dann aber schnell flöten. Denn Erotik ergibt sich immer aus der Möglichkeit ... genau diese Möglichkeit schaltet Anita aber nun von vorneherein aus. Und davon abgesehen: Wer möchte schon eine Vampirjägerin sehen¸ die verheiratet ist? Das bringt uns gleich zum zweiten Problem: Richard¸ ihr Verlobter. In "Zirkus der Verdammten" als perfekter Dating-Partner eingeführt (als Gegenpol zu Jean-Claude)¸ war er zunächst zu gut¸ um wahr zu sein. Als Werwolf ist er zwar nun nicht mehr der fehlerlose Boyfriend¸ bleibt aber als Charakter dennoch farblos. Seine hohen moralischen Werte¸ seine Arbeit als High-School-Lehrer¸ sein sonniges Gemüt und seine Bereitschaft¸ für Anita auch mal ein Essen auf den Tisch zu zaubern¸ gehen auf Dauer nicht nur dem Leser auf die Nerven (Anita weigert sich¸ allerdings höflich¸ auch nur einen Bissen zu essen). Sein dauerndes Verständnis für die diesmal ziemlich zickige Anita lässt ihn weniger als Mann denn als Warmduscher erscheinen. Ein Urteil¸ das in der Welt von Anita Blake automatisch ein Todesurteil bedeuten sollte. Warum er am Ende von "The Lunatic Cafe" allerdings noch am Leben ist¸ konnte ich nicht nachvollziehen. Insgesamt bleibt "Gierige Schatten" knapp hinter dem Lesevergnügen des Erstlings "Bittersüße Tode" zurück¸ da die Story weder dicht noch spannend ist. Die Action wird diesmal gegen ein klassisches whodunit mit Detektivarbeit eingetauscht¸ aber selbst diese erledigt sich eher von selbst und nebenbei. Der Seifenopernplot um Anitas Verlobung und ihre moralischen Bedenken¸ sich mit einem Werwolf einzulassen¸ nehmen weite Strecken der Romanhandlung ein und verursachen beim Leser bald eine gemäßigte Langweile¸ da ohnehin unklar ist¸ was sie an diesem Richard anziehend findet. Vor der Übersetzerin Angela Koonen muss man allerdings den Hut ziehen. Sie hatte es mit einem Ausgangstext zu tun¸ der alles andere als leicht ist. Im Englischen ist "Anita Blake" bekannt für ihren frotzeligen Ton und ihren verknappten Stil. Das ins Deutsche zu übertragen¸ ist nicht unbedingt leicht. So bleibt die deutsche Übersetzung auch an vielen Stellen viel braver als das englische Original¸ Koonen ist aber zugute zu halten¸ dass sie versucht¸ für Anita einen angemessenen deutschen Ton zu finden ‐ das beinhaltet auch¸ die vielen Anspielungen irgendwie für den deutschen Leser zu retten. Warum es dann aber nicht möglich ist¸ ein eingestreutes Blake-Zitat mit ins Deutsche zu übersetzen¸ bleibt unklar. Das Gleiche gilt für den lieblos gewählten Titel "Gierige Schatten"¸ dessen Bezug zur Handlung sich auch nach ausgedehntem Grübeln nicht feststellen lässt. Aber das war schon auch schon bei "Bittersüße Tode" der Fall. Wenn man der "Anita Blake¸ Vampire Hunter"-Reihe ohnehin verfallen ist¸ wird man wohl nicht umhin kommen¸ auch diesen vierten Teil zu lesen. Wer ihn¸ ohne die ganze Reihe zu kennen¸ im Buchladen entdeckt und in Versuchung gerät¸ dem sei abzuraten. Laurell K. Hamilton hat schon Besseres zu Papier gebracht als die Dreiecksgeschichte um Anita¸ Richard und Jean-Claude.
Eine Rezension von: Birgit Lutz http://www.buchwurm.info/