Anansi Boys
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Neil Gaiman überrollt den Leser. Anders kann man das nicht nennen¸ was er auf den ersten Seiten treibt. Es beginnt mit einem Besuch in einer Karaokebar¸ wo der Kellner noch der Meinung ist¸ es wird ein schrecklicher Abend. Erst als Fat Charlies Vater die Bar betritt atmet er¸ fatalerweise¸ auf. Dann befinden wir uns plötzlich auf einer Station im Krankenhaus¸ wo Fat Charlies Mutter gegen Krebs behandelt wird. Ihr Ex-Mann und Charlies Vater besucht sie mit einer Jazzkapelle und am nächsten Morgen stellt sich der Krebs als falscher Alarm heraus. All das wirkt sehr Zusammenhanglos. Aneinander gereiht wie bunte Plastikkugeln an einem Faden¸ der anschliessend als Kette verkauft wird. Aber¸ und das ist ungewöhnlich für mich¸ ich wollte das Buch nicht aus der Hand legen. Eine Handlung habe ich nicht gefunden und der Erzähler kam vom hundersten ins tausendste¸ griff einen neuen Erzählfaden (Handlungsstrang kann in keinem Fall dazu gesagt werden. Nie und nimmer.) auf¸ und schleppte den Leser auf Gedeih und Verderb mit¸ ohne dass er sich direkt wehren konnte. Wir werden von einer alltäglichen Begebenheit in die nächste geschoben¸ so als ob man von einem Zimmer ins nächste geht und feststellen muss¸ dass es total anders eingerichtet ist als das vorherige. Neil Gaiman fasziniert in diesem Fall nicht mit Phantastik¸ sondern mit seiner Erzählweise. Und der Übersetzer Karsten Singelmann zeigte eine hervorragende Leistung indem er das amerikanische Gebrabbel in lesenswertes Deutsch übersetzte.
Die eigentliche Geschichte beginnt erst am Ende des ersten Kapitels¸ als Papa Anansi zu den Klängen von "I am what I am" von der Bühne stürzt und einer Blondine das Oberteil herunter reisst. Da sah mehr als nur das Mädel blöd aus der Wäsche. Fat Charlie ist sehr überrascht¸ als er erfährt¸ dass er noch einen Bruder hat. Aber dieser ist wesentlich besser drauf¸ denn der ist mit jeder Menge magischer Gaben gesegnet¸ während Fat Charlie eher ein Mann ist¸ der nicht aufzufallen wünscht. In keiner Art und Weise. Das ändert sich in dem Augenblick¸ als sein Bruder ihm die Verlobte ausspannt.
Haben sie die Handlung gefunden? Wo? Bitte klären sie mich auf. Kommen wir noch einmal zum Buch selbst zurück. Ich hatte schon angedeutet¸ dass mich das Buch in seinen Bann geschlagen hat. Die Aussage kann durchaus wörtlich genommen werden. Ich hatte keine Chance¸ na ja fast keine¸ das Buch aus der Hand zu legen. Neil Gaiman kann erzählen und die Übersetzung ist durchaus lesenswert. Seine Personen sind gelungen beschrieben¸ seine Alltagssituationen klar heraus gearbeitet und leben. Dabei lässt der Autor kein einziges Klischee aus¸ um diesen Roman vor den Augen des Lesers zum Leben zu erwecken. Da gibt es eine übereifrige Polizistin¸ zu der sich Fat Charlie hingezogen fühlt¸ Jungfern¸ Witwen und Touristinnen. Mit den Frauen als Nebenfiguren hat er es ja. Die fallen immer irgendwie auf. Langsam¸ während des Lesens verändern sich seine Personen. Plötzlich fallen sie durch das bereits vorgegebene Raster¸ entwickeln ein Eigenleben¸ das ihnen der Autor scheinbar vorenthalten wollte. Mit diesem erwachenden Leben wird der Roman dann doch noch interessant. Allerdings würde ich Neil mit diesem Roman nicht so hoch loben¸ wie es ein gewisser Stephen King auf der Rückseite des Buches oder verschiedene Zeitschriften in Amerika tun.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355