Am Abgrund
Der amerikanische Autor P.T. Deutermann war Captain der U.S. Navy und schreibt seit einigen Jahren erfolgreich Militär- und Actionthriller¸ die bei uns jedoch weitgehend unbekannt geblieben sind. Im Gegensatz zu den bekannten Genregrößen wie Clancy¸ Brown¸ Coonts und den Newcomern wie Harry und Cobb wird bei Deutermann jedoch selten der High-Tech-Krieg zelebriert und/oder die omnipotente Schlag- und Feuerkraft der amerikanischen Militärmacht glorifiziert. Seine Protagonisten sind zumeist demotivierte mittlere Dienstränge am Ende ihrer Karrieremöglichkeiten¸ die ihre Illusionen in den Schützengräben des militärischen Verwaltungsapparates verloren haben und an der Autorität und Kompetenz ihrer Vorgesetzten zweifeln. Mit 'Am Abgrund' legt Deutermann einen Thriller vor¸ in dem FBI und U.S. Army sowie die privatisierten amerikanischen Eisenbahnen den Hintergrund stellen.
Als eine große Eisenbahnbrücke über den Mississippi gesprengt wird¸ erhält Assistant Director (AD) und Leiter einer staats- und behördenübergreifenden Ermittlungsabteilung¸ Hush Hanson¸ vom FBI den Auftrag¸ den Fall gemeinsam mit seiner ihm neu zugeteilten Stellvertreterin Carolyn Lang aufzuklären.
Zur gleichen Zeit muss ein beschädigtes Transportflugzeug der Army auf dem Flugfeld eines Waffen- und Munitionsdepots notlanden¸ in dem zurzeit ein Bahntransport mit zur Entsorgung vorgesehenen chemischen Waffen zusammengestellt wird. Das Gelände wird in kürzester Zeit durch eine Einheit des Special Operations Command (SOC) zur Sperrzone erklärt¸ da die Ladung des Flugzeugs aus defekten russischen Torpedos mit atomaren Gefechtsköpfen besteht. Der bereits genehmigte und geplante Bahntransport der Chemiewaffen soll nun auf angebliche Anweisung höchster Stellen dazu benutzt werden¸ die Gefechtsköpfe zu einem Entsorgungslager zu transportieren¸ da ein Weitertransport per Flugzeug aus technischen Gründen nicht möglich ist.
Dazu muss aber der Mississippi überquert werden¸ der Attentäter macht jedoch nach der ersten gesprengten Brücke nicht halt und schaltet nacheinander weitere Übergänge durch Sabotageakte aus. Während die Ermittlungen des FBI nur mühsam voranschreiten¸ muss der Zug immer wieder umgeleitet werden und der Leiter des Transports stößt ständig auf bürokratische und technische Hindernisse. So entsteht ein dramatischer Wettlauf¸ bei dem sich unaufhaltsam alles auf den Showdown hinsteigert.
Der Roman lebt von den Konfliktsituationen der Beteiligten an den einzelnen Handlungssträngen. Da ist der FBI-Ermittler¸ der nur langsam herausfindet¸ dass dieser Fall entscheidend für seine weitere Karriere ist und seine intriganten Vorgesetzten ein übles Spiel mit ihm treiben. Der Attentäter¸ der aus Rache für ein persönliches Schicksal die Eisenbahngesellschaften zur Verantwortung ziehen will. Der Army Colonel¸ der sich in ständigem Streit mit der Transportmannschaft aus Karrieregründen eigenmächtig über Befehle hinwegsetzt und verantwortungslos die Zivilbevölkerung gefährdet.
Der Leser weiß schon sehr viel früher als die Ermittler¸ wer der Attentäter ist. Die Spannung entsteht auch weniger durch die Suche nach dem Täter¸ sondern aus der Frage¸ ob und wie dieser es schafft¸ weitere Brücken zu zerstören.
Zum Showdown hin wird die Handlung etwas zu vorhersehbar¸ wobei einzelne Aktionen dennoch für die eine oder andere Überraschung sorgen. Kleinere Kritikpunkte sind die etwas unverständlichen Beschreibungen der Brückenkonstruktionen sowie¸ für Freunde und Kenner des Genres¸ die gelegentlich vollkommen misslungenen Übersetzungen militärischer Fachbegriffe.
Ansonsten ist Deutermann ein spannender und atmosphärischer Thriller gelungen¸ schnörkellos und ohne Längen¸ der gut ausgewogen Actionszenen¸ militärisches¸ wirtschaftliches und polizeipolitisches Hintergrundwissen mit gut nachvollziehbaren und einfach geschilderten Psychogrammen der Protagonisten verbindet.
Eine Rezension von: Klaus Coltrane http://www.buchwurm.info/