Private Eye - Detektiv-Rollenspiel im viktorianischen England (3e)
Private Eye bedeutet auf Deutsch soviel wie Privat-Detektiv - und eben dies ist die Rolle¸ die den Spielern dieses Rollenspiels zugewiesen wird.
Die Autoren scheinen sich einst von Romanen und Filmen im Stil von Sherlock Holmes (dem auch zwei Seiten und Illustrationen des Bandes gewidmet wurden) und Jack the Ripper angesprochen gefühlt haben¸ denn das Setting konzentriert sich auf das Viktorianische England und dort vor allem auf die Hauptstadt London¸ deren nebelige Nächte an der Themse ja berühmtberüchtigt sind.
Die zweite Affinität der Autoren scheint dem Rollenspiel Call of Cthulhu gegolten zu haben¸ woran auch das Vortwort zur dritten Auflage keinen Zweifel läßt - dort empfiehlt der Autor Thilo Bayer Private Eye auch (oder gerade) als London-Quellenband für Cthulhu-Kampagnen - speziell Cthulhu by Gaslight.
Dem wird auch dadurch Rechnung getragen¸ daß der Band nur 16 Seiten "Regelwerk" enthält und den Rest der 96 Seiten für das Quellenmaterial verwendet wurden.
Das Regelkostüm
Einmal von einigen Freien Rollenspielen abgesehen stellt Private Eye mit ca. 11 Euro einen sehr günstigen Einstieg ins Hobby dar¸ da es sich hierbei um ein "komplettes" Rollenspiel handelt. Weil das Rollenspiel im Vordergrund stehen soll¸ sind die Grundregeln einfach gehalten.
Es gibt 6 Attribute (Stärke¸ Gewandtheit¸ Intelligenz¸ Konstitution¸ Ausstrahlung und Schönheit) die mit einem W100 bzw. Prozentwurf (über 25%¸ sonst Neuwurf) ermittelt werden. Dazu kommen weitere Grundwerte wie Vermögen¸ Alter und die aktuelle Berufung (Berufsdetektiv¸ Journalist¸ Anwalt¸ Versicherungsdetektiv¸ Polizist¸ Gerichtsmediziner¸ Kriminologe¸ Geheimpolizist u.a.) des Charakters¸ die per Zufall oder gezielt vom Spieler bestimmt werden können.
Um den Charakter zu Komplettieren¸ erhält er 18 vorgegebene Fertigkeiten (Prozentwert¸ z.B. Verhören¸ Faustkampf oder Stadtkenntnis)¸ die von seinen Attributen¸ dem Beruf und später auch der gewonnenen Erfahrung beeinflußt werden.
Das Kampfsystem unterscheidet Faustkampf¸ Schuß- und Klingenwaffen. Dabei werden Angriffs- und Verteidigungswert für den jeweiligen Kampf frei aus den Punkten der verdoppelten Fertigkeit bestimmt (was einem eher defensiven oder offensiven Kampfstil entspricht) und durch Trefferzonen oder Entfernungsmodifikatoren beeinflußt. Die Zahl der Tabellen ist gering und selbst diese können von einem einigermaßen geübten Spielleiter auch improvisiert werden.
Die Vergabe der Erfahrungspunkte beschränkt sich auf die eventuelle Erhöhung einer Fertigkeit nach einem wichtigen Einsatz bzw. der Steigerung von Grundeigenschaften (außer Schönheit) nach einem Abenteuer.
Um eine Steigerung zu erreichen muß der Spieler den aktuellen Wert Überwürfeln. Gelingt dies¸ steigt eineFertigkeit um 5 Punkte und eine Grundeigenschaft zwischen 1-5 Punkten - je nach nach spielerischem Einsatz durch den Charakter im letzten Abenteuer.
Der Hintergrund
Die etwa 70 eng bedruckten Seiten Quellenmaterial (plus 10 Seiten Tabellen im Anhang) können sich sehen lassen.
Hier findet man Informationen über England und London am Ende des 19. Jahrhunderts¸ wobei neben geographischen Daten auch Einblicke in die Zusammensetzung der Bevölkerung¸ das Alltagsleben (inkl. "Knigge") und die Gesellschaftsstufen gegeben werden. Das 34 Seiten umfassende Stadtlexikon listet - leicht nachschlagbar - Informationen zu den interessantestens Themen von A wie Adelstitel bis Z wie Zoological Garden.
Zu den Örtlichkeiten werden oft Bodenpläne gezeigt¸ es gibt viele Illustrationen von Gegenständen und typischen Situationen aus dem Alltagsleben.
Die Kriminalität hat bei Private Eye natürlich ein eigenes Kapitel bekommen. Dabei wird zwischen der Verbrechensaufklärung (wichtige Organisationen¸ Personen und Methoden)¸ Verbrecherbanden und berühmte Kriminalfälle und Informationsquellen unterschieden.
Hier findet man so ziemlich alles halbwegs "offizielle" wieder¸ ws einem ggf. durch Romane und Filme irgendwann mal präsentiert wurde und ein wenig mehr - allem voran natürlich Scotland Yard und Sherlock Holmes.
Der Anhang enthält schließlich eine Chronologie Englangs zwischen 1881 und 1901¸ einige kurze Biographien¸ Informationen zum Verkehrswesen¸ zu Geheimgesellschaften und den Tabellenteil mit Preislisten¸ Zeittafel mit Erfindungen und dem Charakterblatt.
Technisches
Einerseits läßt sich über den Band als solches wenig meckern¸ weil die Informationen ordentlich gelayoutet sind und auch die Illustrationen sich sehr gut dem Stil des Rollenspiels anpassen. Dennoch transportiert Private Eye einen eher fanischen Stil¸ der vor allem auf der Art der Vervielfältigung beruht. Die Innenseiten wurden offensichtlich Photokopiert¸ denn der "Druck" ist unregelmäßig und an einigen Stellen (meist Randbereich) zu blaß. Das wirkt sich auch auf die meist düsteren Illustrationen aus¸ deren schwarze Flächen eher gemasert wirken und dadurch etwas an Wirkung verlieren.
Auch scheinen aufgrund der geringen Papierdicke die Buchstaben und vor allem Linienzeichnungen durch¸ was das Lesen etwas erschwert.
Fazit:
Private Eye besitzt ein leicht zu erlernendes Regelsystem und sehr viele Informationen für das Detektivspiel in und um London herum. Empfehlen möchte ich es aber (wie auch schon der Autor selbst) vor allem als sehr fleischiger Quellenband für Cthulhu by Gaslight (um 1900).
Komplette Rollenspiel-Neueinsteiger werden mit dem günstigen Band ganz optimal bedient¸ da kaum Informationen enthalten sind¸ was gutes Rollenspiel ist oder was einen guten Spielleiter ausmacht. Hier klafft eine Lücke zwischen Regeln und Quellenmaterial¸ die jedoch weder für die Funktion als Quellenband¸ noch für erfahrene Rollenspieler einen Mangel darstellt.
Wer diese Lücke von Private Eye schließen möchte findet mit der günstigen Grundbox von Midgard - Abenteuer 1880 oder dem dt. Grundregelwerk Call of Cthulhu passende Ergänzungen.
Meine Empfehlung geht zu Midgard 1880¸ wenn man den Spuren von Sherlock Holmes folgen will und zu Cthulhu¸ wenn der Sinn eher nach Horror in Form von Übersinnlichem¸ Magie und dämonischen Büchern steht.
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de