Pathfinder Chronicles: Harrow Deck
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Das universelle Rollenspiel-Fanzine Greifenklaue wurde bereits 1997 von Mitgliedern der Pfadfindergruppe Mantikore als gedrucktes A4-Heft ins Leben gerufen und eroberte ab 2005 auch das Internet. Neben dem gedruckten Fanzine betrieb Ingo aka "Greifenklaue" vor allem einen Blog, einen Podcast und ein eigenes Forum. Zur großen Bestürzung der Rollenspiel-Szene verstarb Ingo Schulze am Freitag den 26.11.2021. |
Argamae stellt zum Wochenende das Harrow-Deck aus Pathfinder hervor, welches sich im Prinzip für alle d20- (und OGL-) Ableger zum Wahrsagen eignet.
Omen, Wunderzeichen und Prophezeihungen - schon lange sind diese Dinge Teil vieler Fantasy-Geschichten. Und was läge für Charaktere in einer magischen Welt näher, als etwas über ihre Zukunft (oder wahlweise auch Gegenwart oder Vergangenheit) herausfinden zu wollen? Am Spieltisch war sowas aber nur bedingt umzusetzen. Paizo Publishing (Macher von Pathfinder und der GameMastery-Reihe) hat da ein sehr interessantes Wahrsage-Kartenspiel herausgebracht, daß nominell zwar für ihr Pathfinder-Kampagnensetting gedacht ist, sich aber auch problemlos für andere (D&D)-Welten einsetzen läßt.
Das Kartendeck besteht aus 54 Karten, die dem Tarot nachempfunden sind. Die Themen der Bilder sind aber insgesamt fantasylastiger, wenn auch oft im karikativen Stil gezeichnet. Neben dem Hauptbild und dem Namen der Karte, befindet sich noch eines von 6 Symbolen auf jedem Blatt. Diese entsprechen den 6 Attributen und sind Hammer (Stärke), Schlüssel (Geschicklichkeit), Schild (Konstitution), Buch (Intelligenz), Stern (Weisheit) und Krone (Charisma). Je nachdem, an welcher Position sich dieses Symbol auf einer Karte befindet, zeigt es zusätzlich noch eine der neuen Gesinnungen an; z.B. folgende 2 Karten:
Oben liegt die Karte "Schmiede". Sie gehört zur Gruppe der Stärke-Karten (Symbol: der Hammer). Da der Hammer hier in der Mitte links angeordnet ist, steht sie für die Gesinnung Rechtschaffen Neutral. Grundlegende Bedeutung: Die Schmiede bringt Stärke durch Vielfalt hervor. Der Schmied steht für jene, welche die Feuerprobe des Mephiten überleben, doch die Feuer der Schmiede sind so heiß, daß sie viele stattdessen zu Asche verbrennen. Diese Karte repräsentiert oft ein gefährliches Ereignis, dessen Überwindung viele Quellen der Stärke benötigt. Unten befindet sich die Karte "Die Hochzeit". Sie gehört zur Gruppe der Charisma-Karten (Symbol: die Krone). Auch hier ist das Symbol in der Mitte links aufgedruckt - daher ist die Karte ebenfalls Rechtschaffen Neutral. Ihre grundlegende Bedeutung: Die Hochzeit kann einen Zusammenschluß von Personen, Vorstellungen, Königreichen oder anderen besonderen Dingen sein. Der Abkömmling des Wasserwesens und des Salamanders zeigt, daß eine Verbindung in beiden Parteien neue Kraft oder Kräfte hervorbringen kann - oder aber es wird eine Verderben bringende Paarung von etwas, das nicht hätte zusammengefügt werden sollen. Sind sie einmal verheiratet, können die zwei nicht wieder getrennt werden. Diese Karte steht für eine permanente Veränderung.
Es gibt also 9 Karten für jede der 6 "Farben" (Attribute).
Jemandem die Karten zu legen läuft folgendermaßen ab (es gibt andere Methoden, aber ich gehe hier auf diese Methode ein). Wer den Wahrsager/die Wahrsagerin besucht, muß eine konkrete Frage stellen bzw. sein Anliegen in einer konkreten Frage formulieren, etwa "Ist es eine gute Entscheidung, in die Hauptstadt zu ziehen?" oder "Was wird geschehen, wenn ich den Gefangenen laufen lasse?" oder "Unter welchem Stern steht meine Liebe zu der Halb-Elfe Laurel?" u.ä. Die Person, die die Karten legt (meistens wohl der SL, wenn die Charaktere zu einem NSC gehen), muß sich nun für eine der 6 "Farben" entscheiden, die am besten zum Hintergrund der Frage passt. So steht zum Beispiel "Stärke" für Fragen, die mit Krieg, Ehre oder Gefechten zu tun haben, während "Weisheit" etwa für Fragen nach Moral, den Göttern oder Alter Geschichte zuständig ist.
Dann werden die 9 Karten der entsprechenden Farbe (also Stärke, Intelligenz, Geschicklichkeit, etc.) aus dem Kartenstapel genommen und gemischt. Jeder der Fragenden (falls es mehrere sind) zieht nun eine der Karten. Diese eine Karte enthält für den Betreffenden eine persönliche Botschaft bezüglich seines Platzes in der Welt und der gestellten Frage - es ist seine "Rollenkarte". Sollte diese Karte im folgenden Auslegen der Karten erneut auftauchen, dann ist ihre Bedeutung stark mit der Person verbunden, die sie gezogen hat und muß auch entsprechend interpretiert werden.
Nun werden die Karten (alle Karten, inkl. der gerade gezogenen) gemischt und in einer Anordnung von 3 x 3 ausgelegt. Die erste Reihe steht für "Gut", die mittlere Reihe für "Neutral" und die untere Reihe für "Böse". Die Spalten repräsentieren "Rechtschaffenheit" (Vergangenheit, linke Spalte), "Neutralität" (Gegenwart, mittlere Spalte) und "Chaos" (Zukunft, rechte Spalte). Sprich: Karten in der oberen Reihe werden in ihrem positiven Licht gedeutet, Karten in der mittleren Reihe sind eher nicht eindeutig zu sehen und Karten in der unteren Reihe sind in ihrer negativen Bedeutung zu bewerten.
Eine Karte in der unteren Reihe, mittlere Spalte, steht also für etwas Schlechtes in der Gegenwart, während eine Karte in der oberen linken Ecke für etwas Positives in der Vergangenheit steht.
Aufgedeckt wird nun zunächst die linke Spalte, also positive, neutrale und negative Vergangenheit. Hier beginnt die Interpretation. Dann wird mit der Gegenwart und Zukunft fortgefahren. Dabei ist besonders auf Rollenkarten sowie teilweise, entgegengesetzte oder vollständige Übereinstimmungen zu achten. Wichtig: es muß nicht JEDE Karte einer Spalte interpretiert werden - aber eine muß es mindestens sein, wobei hier starke Paarungen und Übereinstimmungen die zentrale Bedeutung haben. Rollenkarten sind die Karten, ich erwähnte es oben, die von den/der fragenden Person(en) vor der Auslegung gezogen wurden. Sie hat immer einen starken Bezug zu der jeweiligen Person und stellt für diese eine einflußreiche Bedeutung dar, die in Zusammenhang mit der Frage gesehen werden muß. Die verschiedenen Übereinstimmungen treten auf, wenn die Gesinnungsbedeutung (siehe weiter oben) einer Karte mit der Position dieser Karte im 3×3-Feld zusammenfällt (entweder Reihe oder Spalte). Von einer "teilweisen" Übereinstimmung spricht man, wenn eine "gute" Karte bspw. in der oberen Reihe liegt bzw. eine "neutrale" Karte in der mittleren Spalte usw. Eine vollständige Übereinstimmung wäre eine "Rechtschaffen Gute" Karte in der oberen Reihe links oder eine "Chaotisch Neutrale" Karte in der mittleren Reihe rechts. Entgegengesetzte "Übereinstimmungen" liegen dann vor, wenn etwa eine "Chaotisch Böse" Karte in der oberen Reihe links läge - sich also diametral gegenüber befindet.
Mittlerweile mag man sich fragen, wieso ich das so detailliert aufdrösel. Nun, weil es konkret für Abenteuer eine Bedeutung haben kann. Und hier kommt insbesondere der SL ins Spiel. Es gibt nämlich in der Welt von Golarion Kartenleger, die mystische Kräfte haben - repräsentiert durch einen neuen Zauberspruch, den "Harrowing Spell". Es ist ein Barden-, Hexenmeister- und Magierzauber der 3. Stufe. Der Effekt ist der, daß wenn dieser Zauber vor der Kartenlegung gewirkt wird, sich an entsprechenden Stellen im Abenteuer Modifikationen für die Charaktere ergeben können - zum Guten wie zum Schlechten. Wenn die Karten gelegt sind, interpretiert der SL die Ergebnisse im Hinblick auf bevorstehende Begegnungen/Ereignisse und notiert sich auf einer kleinen Karte (Vordruck ist im Kartenspiel dabei), welche Rollenkarten sowie teilweisen, vollständigen oder entgegengesetzten Übereinstimmungen es gibt. Diese münzt er dann auf passende Stellen im Abenteuer um. Je nach Zauberstufe des Kartenlegers und der Kombination von Karten und Paarungen können dabei Boni von +4 oder noch höher entstehen. Allerdings auch Abzüge, wenn die "Sterne" ungünstig stehen.
Aber selbst, wenn es keinen magisch begabten Kartenleger gibt, sondern "normale" NSC bzw. die Charaktere selbst die Karten legen, können durch entsprechende Interpretation in passenden Momenten Vorteile oder Nachteile entstehen, die nicht in konkreten Boni-Berechnungen ausgedrückt werden. Außerdem mag den Charakteren/Spielern eine Einsicht in ihre Situation zuteil werden.
Nach wie vor ist es natürlich ein bißchen Arbeit für den SL, solche Wahrsagerbesuche vorzubereiten, auszuspielen, zu interpretieren und schließlich mit dem Abenteuergeschehen in Verbindung zu bringen. Aber ich denke, Übung macht hier den Meister. Kann mir vorstellen, daß es nicht nur eine sehr unterhaltsame Rollenspielsitzung wird, wenn solch eine Begegnung stimmungsvoll verläuft, sondern durchaus im späteren Abenteuer der eine oder andere Aha-Effekt auftritt.
[Olaf "Argamae" Buddenberg]
Eine Rezension von: Olaf 'Argamae' Buddenberg https://greifenklaue.wordpress.com/