Shadow Games
Sg versteht sich somit auch selbst als Übergang. Die persönlichen und unmittelbaren Gefahren¸ die die Charaktere bisher bedrohten sollen aufgelöst oder zumindest bewältigt werden¸ um einer neuen¸ umfassenderen Richtung Platz zu machen. Ging es zuerst allein um das Leben der Helden¸ wird nun allmählich eine sehr viel tiefer gehende Bedrohung offenbar. Orpheus bleibt¸ wie man hier spürt¸ dem Movie Model treu. Aus unseren abgerissenen Charakteren soll und muss nun eine Gruppe Helden geschmiedet werden und dieser Vorgang setzt in SG ein.
Der Prolog¸ 'Collateral Damage'¸ beschreibt wie gewohnt das zentrale Ereignis dieser Ergänzung aus Sicht der signature characters. Nachdem wir in Shades of Gray einen echten Tiefpunkt erreicht hatten¸ geht es auch in SG nicht viel freundlicher weiter. Besondere Freude macht eine kurze Passage aus dieser Geschichte¸ in der alteingesessene Wraith-Fans die sprichwörtliche Karotte vor die Nase gehalten bekommen und nun erst recht die verbleibenden Bände nicht mehr abwarten können.
Verlust und hilflosigkeit machen dabei nur einen Grundton aus. Auf der anderen Seite stehen unbeugsamer Wille und die Gewissheit¸ dass es immer weiter geht¸ irgendwie. Mir scheint¸ dass sind gute Themen für eine Geistergeschichte.
Die kurze Einführung gibt einen schnellen Überblick über die Geschehnisse der Vergangenheit und knüpft sie geschickt an die neuen Umstände. Darüber hinaus findet der geneigte Leser die Kapitelübersicht und den üblichen Text¸ der auf Folgendes einstimmen soll. Hierzu gibt es nichts zu sagen.
Kapitel Eins: Ghost-Quake nimmt minutiös das entscheidende Ereignis dieses Buches auseinander und zeigt alle beteiligten Kräfte auf¸ die mit oder gegen die Charaktere arbeiten könnten. Ein kurzer Hintergrund wird vorausgeschickt¸ der von den Spectres erzählt¸ von den Spectres und ihrer Heimat in der Unterwelt. Dieser Unterwelt entspringt scheinbar auch Heaven's Spear¸ ein Wachturm¸ der aus heiterem Himmel auf die Stadt stürzt. Man wird nicht nur mit der Zerstörung umgehen müssen¸ die durch diesen 'Geist eines Gebäudes' verursacht wurde¸ man wird vor allem auch die Fragen stellen müssen¸ die in der Vergangenheit vielleicht bereits aufgeblitzt sind. Gibt es da draussen noch etwas anderes? Sogar eine völlig andere Welt? Fraglos enthält das Kapitel alles Nötige¸ um dieses Ereignis würdig erzählen zu können. Weder atmosphärische Momentaufnahmen¸ noch Regelfragen hinsichtlich diverser Auswirkungen fehlen¸ eine praktische Zeittafel ist auch dabei. Wie die Zerstörung Orpheus' und die verseuchte Pigmentladung dürfte auch dies ein bemerkenswerter Punkt in jeder Orpheusrunde sein. Ein Erzähler sollte vorher aber Rücksprache mit seinen Spielern halten¸ ehe er seine Chronik erneut in eine völlig andere Richtung dreht.
Kapitel Zwei: Cult of Personality ist wieder in ein Spieler- und ein Erzählersegment unterteilt.
Der Spielerteil setzt sich mit de Reaktionen der Welt auf Geister auseinander und beschäftigt sich mit den verschiedenen Transportmitteln¸ die Infos dabei nutzen können. Besonders amüsant sind hiebei die schönen Schnippsel aus diversen Zeitungen und Internet Chatrooms¸ die mich bereits im Grundbuch sehr gut unterhalten haben. Zudem wird die Beziehung der großen Religionen zur Technik des Projecting erläutert und die Einstellung anderer Regierungen rund um die Welt. Zuletzt werden auch noch Beispiele dafür gebracht¸ wie sich die neue Erkenntnis über die Existenz von Geistern auf Kultur und Medien auswirkt. Feiert die Welt heute noch immer unbekümmert Halloween¸ wenn aus dem Spaß scheinbar schrecklicher Ernst geworden ist?
Die Erzählersektion enthält umfangreiche Informationen über 'The Missionary Works of the Holy Ghost'¸ der Organisation¸ die hinter vielen der kleineren Kulte aus Shades of Gray steckt. Ich bin nicht so gutgläubig¸ zu glauben¸ hier würde nun wirklich gar kein Spieler seine Nase herein stecken¸ weswegen ich auf eine ausführliche Besprechung lieber verzichte. Ich begnüge mich daher mit einigen Teasern:
Bishop¸ Großmutter¸ Alpträume¸ 'Überzeugungstaktiken' des Kults¸ Spectre Artifacts (jubelt und freuet euch¸ denn der Madenrevolver ist wieder da!!! - dies möge die Wraithfans in Ekstase versetzen)¸ vermisste Körper (ein fieser kleiner Dreh in der Geschichte¸ der wohl in Zukunft noch eine Rolle spielen mag) Ich wei߸ es ist unverantwortlich und gnadenlos¸ zu diesen Stichworten nicht mehr zu sagen¸ aber wie bereits gewohnt ist dieser Abschnitt randvoll mit Offenbarungen und Gemeinheiten für den Erzähler¸ dass ich ihm nicht für alles Geld der Welt die Freude rauben will¸ seine Spieler mit diesen neuen Spielzeugen so richtig zu erschrecken.
Kapitel Drei: The Unearthed Players Guide enthält die legendären crunchy bits¸ also die Ergänzungen des Regelapparates um neue¸ 'kewle' Kräfte und so etwas. Da das fünfte Lament¸ das ursprünglich in diesem Band eingeführt werden sollte¸ ersatzlos gestrichen wurde¸ muss man sich mit dem¸ was übrig geblieben ist begnügen. Angesichts der Möglichkeiten dürfte das jedoch nicht zu schwer sein.
Spite gewinnt eine völlig neue Dimension der Anwendbarkeit. Bisher konnte man es nur dazu nutzen¸ den eigenen Vitalitätspool aufzufüllen¸ oder um Stains zu aktivieren. Nun ist es ausserdem möglich¸ sich mittels Spite zu manifestieren und seine Horrors damit zu speisen. Es ist wohl nicht nötig zu erwähnen¸ dass dies Vor- und Nachteile mit sich bringt und die Kräfte nun einen unberechenbareren und destruktiveren Pfad einschlagen. Es ist nun noch viel schwerer¸ dem Verlangen zu widerstehen¸ sich seiner dunklen Seite zu öffnen. Wer könnte schon zu 5 zusätzlichen Attributspunkte bei voller Manifestation nein sagen?
Nicht ganz von ungefähr enthält das Kapitel wohl auch die Regeln¸ um Spite zu stehlen. Dieser Akt gibt dem Täter noch einmal so richtig den Kick¸ als wäre es nicht schon schlimm genug¸ Vitalität zu klauen. Tatsächlich ist die neue Variante sogar effektiver¸ kann man jeden gestohlenen Spitepunkt doch in zwei Vitality-Punkte umwandeln. Jaja¸ es ist schon hart¸ zu den Guten zu gehören...
Zu guter Letzt erhalten wir noch eine Schubkarre voll neuer Stains¸ die teils wirklich sehr kreativ sind. Mein Liebling ist 'Blackfire Speech'. Hier stößt der Charakter beim Sprechen zerstörerische Flammen aus¸ die an Intensität und Reichweite zunehmen¸ je schlechter die Stimmung des Charakters und je bösartiger und lauter seine Stimme. Worte können wehtun.
Kapitel Vier: Storytelling the Dead ist das Erzählerkapitel. Wer sind die Charaktere nun? Was tun sie? Warum bleiben sie beisammen? Wie bekomme ich neue Spieler halbwegs reibungslos in meine Runde? Diese altbekannten Fragen werden unter Einbeziehung der neuen Ereignisse besprochen und stehen dem Erzähler somit als hilfreiche Werkzeuge zur Seite.
Ausserdem gibt es auch wieder Tipps für Leute¸ die sich partout nicht an den Metaplot halten wollen (zB¸ Wie reagiert die Orpheus Gruppe auf das Beben¸ wenn sie nicht zerstört wurde?). Was noch? Sieben Orte in der Stadt¸ die sich für eine Geschichte sehr anbieten würden¸ beispielsweise. Dann noch ein neuer potentieller Verbündeter. Lazarus Redux ist praktisch der Phoenix¸ der sich aus Orpheus' Asche erhebt und von ehemaligen Mitarbeitern geleitet wird. Die Organisation ist schon fast zu gut¸ um wahr zu sein. Kein Wunder¸ steht ihr doch Kate Bennison vor¸ die Mutter Beimer der Serie. Neben Lazarus Redux werden vier weitere Crucibles vorgestellt¸ deren Interessengebiete breit gefächert sind. Hier tut sich etwas¸ die Hinterbliebenen organisieren sich¸ es entstehen Netzwerke. Die Spectres hatten genug Zeit¸ sich auszutoben¸ so scheint es zumindest. Aus kopflosen Flüchtlingen formt sich etwas Neues. Und wer könnte schon widerstehen¸ wenn er auf ein Bier im Spooky Brews eingeladen wird? Bitte lasst euch nicht von meiner etwas spöttischen Betrachtung täuschen. Die Dinge machen schon Sinn¸ so wie sie sich entwickelt haben. Es ist nur konsequent. Wahrscheinlich ist es ein gutes Zeichen¸ noch so viel Leben in den Trümmern zu sehen. Man wird da leicht übermütig und freut sich¸ solange man noch kann. Die dunklen Wolken am Horizont kommen nämlich rasend schnell näher. Schließlich gibt es noch die Rohfassungen für Geschichten¸ die die wichtigsten Ereignisse von SG thematisieren. So etwas kennen wir schon aus Shades of Gray und der Erzähler hat hier noch sehr viel Spielraum¸ die groben Vorgaben zu bearbeiten. Ein solcher Vorschlag lässt aufhorchen: Womöglich gibt es noch Hoffnung für Tom.
Natürlich bin ich auch mit SG nicht ganz zufrieden. Wie könnte ich auch? Es bleiben mal wieder soviele neue Fragen zurück¸ dass ich bereit wäre¸ beträchtliche kriminelle Energie zu entwickeln¸ um auch die beiden letzten Bände möglichst sofort zu erhalten.
Was tut sich jenseits der Stormwall? Warum fallen Spectres neuerdings übereinander her? Wozu all die Hives? Schaffe ich es¸ mir beim Gedanken an die Ernte nicht in die Höschen zu machen? Warum muss ich noch so lange warten¸ bis The Orphan-Grinders kommt? Werden all meine Vermutungen hinsichtlich der Verbindungen zu Wraith wahr? Habe ich euch nun vollends verwirrt?
Shadow Games ist ein feines Buch und eine ebenso gelungene Fortsetzung der limitierten Serie wie alle Vorgänger. Erwartungsgemäß schwächelt es als Mittelteil ein wenig¸ ist aber selbst dann qualitativ noch über alle Zweifel erhaben. Solltet ihr beim Lesen mittendrin auch kurz das Gefühl haben¸ das doch schonmal irgendwo gelesen zu haben¸ gebt mir Bescheid¸ dann fühle ich mich gleich besser. Nichtsdestotrotz steigert SG nur weiter die Erwartungen und wie ich hier und da schon andeutete werden vor allem Wraith-Freunde End Game kaum noch abwarten können. Habe ich schon erwähnt¸ dass Lamachis the Devourer Erwähnung findet? Nein? Nun¸ dann viel Spaß mit SG und ein gerüttelt Maß an Geduld beim Warten auf The Orphan-Grinders.
Eine Rezension von: Markus Barth http://www.regensburg-bei-nacht.de