Orpheus
Ehe ich mich dem Buch selbst widme¸ noch eine Anmerkung in eigener Sache. Orpheus ist nicht Wraith. So sehr einige auch gehofft haben mögen¸ dass ihnen zu später Stunde doch noch eine überarbeitete Version des Klassikers spendiert wird¸ das ist es nicht. Daher hilft alles Wehklagen und Zähneklappern nichts und wir müssen versuchen¸ Orpheus zu betrachten¸ ohne diese Altlasten noch im Hinterkopf zu haben. Deswegen bemühe ich mich auch nicht darum¸ jede Regel und jede Information in den direkten Vergleich zu stellen. Das bedeutet natürlich nicht¸ dass Orpheus Wraith ignoriert und wir werden sehen¸ dass Orpheus sich sehr wohl des Erbes bewusst ist¸ das es da antritt. So ist es vielleicht sogar ein Gutes¸ dass nicht eine einfache Kopie versucht wurde¸ sondern man aktiv bemüht war¸ dem Thema eine neue Seite abzugewinnen. Nun aber zur Sache.
Das Regelwerk (gebunden wie immer) kommt mit 312 Seiten daher und bietet neben dem Prolog und einer Einleitung fünf Kapitel¸ sowie ein Appendix. Die Unterteilung ist für Kenner des Storytellersystems keine Überraschung und folgt dem üblichen Muster. Die einzelnen Kapitel werden wir uns gleich ansehen. Der Prolog¸ eine Kurzgeschichte aus der Feder von Richard Dansky (ehedem Developer von Wraith)¸ gibt auf knappen zehn Seiten das Thema des Spiels und die Grundstimmung wieder. Im Gegensatz zu früheren Spielen macht sich Orpheus nicht die Mühe¸ sich selbst ein Etikett umzuhängen. Es ist nicht 'The Storytelling Game of Fear and Courage' sondern überlässt es seinen Lesern¸ das Spiel in eine Kategorie einzuordnen. Wir werden noch sehen¸ dass Orpheus mit ganz unterschiedlichen Stimmungen funktioniert. Mr Dansky liefert auf jeden Fall eine grundsolide¸ stimmungsvolle Erzählung um einen Agenten¸ dessen einfacher Job schrecklich schief geht.
Die Einleitung enthält die üblichen Grußworte und einen kurzen Überblick über das buch und seinen Inhalt. Zudem wird auf die beiden Besonderheiten der Reihe hingewiesen¸ dass nämlich Orpheus a) eine limitierte Serie sei und es b) einem Modell folgt¸ dessen Erfolg unzählige Filme bestätigten. Zu a)¸ Orpheus wird seine Geschichte in genau sechs Bänden erzählen. Jedes neue Buch wird dabei den Metaplot vorantreiben und zugleich neue Spielelemente einführen¸ Regelmechansimen usw. Das sogenannte 'Movie Model' macht sich diese Limitation zunutze und präsentiert Orpheus als eine Art geschriebenen Film¸ der den Gesetzen der Filmemacher folgt. In den ersten 20 Minuten ginge es um die Einführung der Charaktere und um die allgemeine Darstellung der Situation¸ diese ersten 20 Minuten werden durch das Grundbuch abgedeckt. Dem Modell folgend geschieht nach diesen ersten zwanzig Minuten etwas Wichtiges und Aussergewöhnliches¸ das den Plot in eine neue Richtung lenkt. So kann man einen Film und auch Orpheus in Segmente unterteilen¸ bis man schließlich zum Ende oder der Auflösung der Geschichte kommt (in unserem Fall wird das End Game sein). Der Rest der Einleitung ist schnell durchgenommen¸ ein Lexikon der wichtigsten Spielbegriffe¸ die übliche Warnung zum Live spielen¸ empfohlene Quellen der Inspiration (witzigerweise sogar mit ein paar Referenzen im Bereich Videospiele) und eine kurze Anmerkung zu den anderen Übernatürlichen der Welt der Dunkelheit¸ die im ganzen restlichen Buch durch Abwesenheit glänzen. In der Tat ist dies mehr oder weniger ein Rat¸ vorerst von Crossover abzusehen und das Spiel für sich stehen zu lassen¸ meiner Meinung nach eine weise Entscheidung.
Die Einleitung bringt es ebenfalls auf zehn Seiten.
Kapitel Eins¸ World of the Dead¸ wird¸ wie alle folgenden Kapitel auch¸ durch eine zweiseitige Prosa eingeleitet. In diesen kurzen Texten lernt man die Signature Charakters des Spiels näher kennen¸ die vermutlich auch die Hauptrollen in der kommenden Kurzgeschichtensammlung übernehmen werden. Das Kapitel beschreibt die Welt aus der sicht der Welt¸ wie es in der Einleitung so schön heißt. Das bedeutet¸ dass das meiste Material hier IC geschrieben ist und somit keinesfalls in jeder Hinsicht als allein seligmachende Wahrheit zu verstehen ist. Sehr amüsant beginnt es beispielsweise mit einer Spezialausgabe eines fragwürdigen Magazins¸ des Scrutinizers¸ welches sich mit allem Übersinnlichen beschäftigt. Mit schrecklich Aufmerksamkeit heischenden Titeln und naiv pathetischen Texten kommt es diesem Machwerk zu¸ die ersten Spielbegriffe der Welt von Orpheus vorzustellen. Es folgen Memos¸ E-Mails¸ Notizzettel und Logs von Chaträumen¸ die sich allesamt mit Orpheus und Geistern beschäftigen. Alle Informationen hier werden in späteren Kapiteln noch einmal im Rahmen der Regeln erklärt¸ aber der besondere Verdienst des ersten Kapitels ist es¸ diese Regelmechanismen im Verständnis der Orpheus Gruppe selbst¸ ihrer Kunden und ihrer Beobachter zu verstehen und liefert somit das rechte Gefühl für eine Welt¸ die sich plötzlich mit dem wissenschaftlichen Beweis für die Existenz des Übernatürlichen konfrontiert sieht. Zwischen all den Kommentaren von Gläubigen und Skeptikern¸ Wissenschaftlern und Angestellten (sehr hübsch zu lesen auch ein Lehrplan für neue Agenten) findet sich aber auch eine recht genaue Betrachtung der Organisation der Firma¸ wobei alle einzelnen Abteilungen vorgestellt und in ihren Aufgabenbereichen besprochen werden. Halten wir das wichtigste fest: Die Orpheus Gruppe hat zufällig einen Weg entdeckt¸ wie sich die menschliche Seele durch Meditation oder unter Wirkung von Medikamenten vom Körper trennen kann. Sie ist dann in der Lage¸ mit Geistern zu interagieren und verfügt zudem über gewisse Kräfte. Die Gruppe nutzte diese Erkenntnisse¸ um in einen bis dato unbekannten Bereich der Dienstleistung vorzustoßen und bietet nun Kunden Unterstützung im Umgang mit Nachtodesentitäten an. Die Agenten der Firma kümmern sich um alles mögliche¸ wenn nur der recht Preis gezahlt wird. Neben Orpheus gibt es mittlerweile noch weitere Anbieter¸ man ist sich seines eigenen Wissensvorsprungs aber gewiss. Alles in allem ein sehr feines Kapitel¸ dass sich aufgrund seiner vielen Schnipsel aus unterschiedlichsten Quellen und auch immer in Verwendung der jeweils angebrachten Kommunikationseben aber nicht so ohne weiteres herunterlesen lässt. World of the Dead umfasst 56 Seiten.
Kapitel Zwei¸ Shades¸ Laments and Horrible Things¸ stellt nun etwas nüchterner und systembezogener die möglichen Charakterklassen vor¸ deren Kräfte und zudem die vier Rassen¸ die man spielen kann. Ich tue mich hier ein wenig schwer¸ diese Worte so zu benutzen¸ weil man sich bei Klassen und Rassen doch schnell in dunkle Höhlen mit Drachen versetzt fühlt¸ aber die Begriffe werden genügen müssen.
In Orpheus gibt es zunächst fünf Charakterklassen oder Shades¸ die in zukünftigen Bänden noch erweitert werden. Welcher Klasse ein Charakter angehört¸ ist allein von seiner Persönlichkeit abhängig. Das Wesen spielt also eine wichtige Rolle dabei und nicht etwa ein schicksalhafter Biss oder ein unheiliges Erbe im Blut der Familie. Allein der Charakter bestimmt durch seine Handlungen im Leben¸ welche Kräfte er im Tode (oder zumindest während des projectings) sein eigen nennen kann. So führen Frustration und aufgestauter Ärger¸ in welcher Form und auf welche Art sie auch immer das Leben des Charakters bestimmt haben mögen¸ dazu¸ dass er als Agent mit einiger Wahrscheinlichkeit dem Poltergeistprofil entspricht. Wir werden noch sehen¸ dass das Wesen noch weitere Auswirkungen auf den Charakter hat. Für jeden Shade gibt es nun eine Doppelseite mit Informationen¸ wie man sie auch aus anderen Regelwerken schon kennt.
Zudem wird auch gleich ein typischer Vertreter der Klasse eingeführt. Gleich im Anschluss an die Klasse geht es nun um die Rasse. In Orpheusterminologie sprechen wir vom Lament. Es gibt nämlich schon Unterschiede¸ auf welche Art die Agenten der Firma mit Geistern in Verbindung treten können und diese Unterschiede machen das Lament aus. So gibt es die grobe Unterteilung in Projektoren und Geister. Ja¸ Orpheus beschäftigt nicht nur atmende¸ lebende Agenten¸ sondern hat sehr wohl auch eine ganze Reihe Verstorbene auf der Lohnliste.
Projektoren unterteilen sich noch einmal in Skimmer und Sleeper. Skimmer sind in der Lage¸ ohne Hilfsmittel und allein durch Konzentration ihre Körper zu verlassen. Sleeper dagegen müssen auf medizinischem Wege¸ mit Hilfe eines Drogencocktails nah an den Rand des Todes gebracht werden und stecken während der Arbeit in einer kryogenischen Kammer.
Geister lassen sich ebenso in Spirits und Hues unterteilen (man verzeihe mir¸ dass ich es nicht auf mich genommen habe¸ die Begriffe des Spiels komplett zu übersetzen). Spirits sind die gewöhnlichen Geister¸ gebunden durch Erinnerungen oder Emotionen an die Welt. Hues dagegen sind eine scheinbar schwächliche Variante¸ die allesamt gemein haben¸ dass sie im Leben mit der neuen Droge Pigment in Berührung gekommen sind.
Jedes Lament hat Vorzüge aber auch Schwächen und zusammen mit den möglichen Shades ergibt sich schon eine beachtliche Kombination. Später wird sogar diese Vielfalt noch erweitert¸ aber alles zu seiner Zeit.
Den Laments folgt die Beschreibung der besonderen Kräfte der Agenten und Geister¸ die man in der Firma Horrors getauft hat. Anders als in Spielen wie Vampire gibt es nicht verschiedene Stufen einer Kraft. Unterschiede in der Wirkung werden allein durch die Ausgabe von Viatlität bestimmt¸ einem recht wichtigen Konzept bei Orpheus¸ das der Lebenskraft eines Agenten entspricht und zugleich auch seine Gesundheit und sein Äusseres beeinflusst. Noch einmal¸ falls ein Charakter eine Kraft besitzt¸ dann kann er selbst bestimmen¸ wieviel Energie er investieren möchte und auf diese Weise verfügt die Kraft dann über mehr oder weniger Effekte. Damit nicht genug¸ als besonderes Schmankerl ist es ausserdem noch möglich¸ mit dem eigenen Horror die Kräfte anderer Agenten zu modifizieren. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten für die Teamarbeit¸ da man nun Kräfte verzögern kann¸ sie stärken¸ verlängern¸ Schwierigkeiten verringern usw.
Vor allem dieses sehr kreative System der Horrors und die Betonung der entscheidenden Bedeutung des Wesens eines Charakters für dessen geisterhaftes Abbild kann man nicht genug loben und es ist meine Hoffnung¸ dass die zukünftigen Spiele in der neuen WoD ähnlich frische Pfade beschreiten.
Kapitel Zwei packt all diese Informationen auf nur 48 Seiten.
Kapitel Drei¸ Character Creation¸ erklärt sich von selbst. Hier werden alle nötigen Schritte erläutert¸ die nötig sind¸ um einen Charakter für eine Orpheusrunde zu erschaffen. Darin folgt es den vergleichbaren Kapiteln der anderen Regelwerke und ist wie immer umfangreich und erschöpfend geschrieben¸ so dass selbst ein Anfänger keine Probleme haben sollte¸ die einzelnen Schritte nachzuvollziehen. Ich möchte aber dennoch einige Neuerungen und dem spiel eigene Besonderheiten aufzeigen¸ ehe wir dieses Kapitel hinter uns lassen. Wie bereits erwähnt¸ hat das Wesen eines Charakters bei Orpheus eine sehr viel greifbarere und entscheidendere Rolle als bei den bisherigen Spielen in der WdD. Dieses Kapitel setzt hier noch einen drauf. Je nach gewähltem Wesen gibt es Boni auf Vitalität¸ Willenskraft und Spite. In Kombination mit den Grundwerten¸ die durch den Shade bestimmt sind¸ ergibt sich so noch einmal ein ziemlich großer Haufen individueller Charaktertypen¸ ohne dass ein Spieler auch nur angefangen hätte¸ seine freien Zusatzpunkte zu verteilen.
Das restliche Kapitel liefert wie gewohnt Beschreibungen der Persönlichkeitsarchetypen¸ der Fähigkeiten und Hintergründe¸ sowie der anderen wichtigen Konzepte des Charakterbogens¸ darunter Vitalität¸ Spite und Stains. Spite ist als negative Energie zu verstehen¸ eine Art Gegenpol zu Vitalität¸ eine dunkle¸ wütende Seite des Charakters¸ die durch die Befreieung aus den fleischlichen Ketten erst recht zur Geltung gekommen ist. Diese Energie kann natürlich genutzt werden¸ aber wie das immer so ist¸ hat alles seinen Preis und je mehr man sich seinen mächtigen¸ aber leider ziemlich unangenehmen Seiten hingibt¸ desto mehr verliert man sich an sie. Am Ende bleibt nur noch ein zorniges¸ bösartiges Wesen ohne jede Ähnlichkeit zu einem Menschen übrig¸ das man Spectre nennt. Orpheus möchte aber darauf hinweisen¸ dass dieser Begriff älter ist¸ als die Firma selbst und man noch immer herausfinden muss¸ woher er stammt...
Stains sind Narben der Seele. Man könnte sagen¸ sie bringen Unsicherheiten und Ängste zum Ausdruck¸ sind tief vergrabene Abneigungen gegen sich selbst. Sie manifestieren sich als Anomalien auf dem Geistkörper¸ als Verformungen und monströse Mutationen. Dabei sind sie allerdings nicht völlig nutzlos. Fledermausohren geben immerhin die Möglichkeit¸ auch in völliger Dunkelheit zu 'sehen'. Leider werden dabei aber alle anderen Sinne ziemlich gedämpft. Stains manifestieren sich¸ wenn mehr Spite als Vitalität angesammelt wurde¸ oder aber¸ wenn der Charakter es wünscht. Somit kann man auch hier wieder seine dunkle Seite nutzen¸ sofern man die Nebenwirkungen in Kauf nehmen mag. Das ganze Kapitel ist eigentlich vollgepfropft mit wichtigen und nützlichen Informationen rund um die Werte auf dem Bogen und ich will hier gar nicht behaupten¸ ich hätte auch nur das Wichtigste gut zusammengefasst. Ich kann aber sagen¸ dass die vielen guten Regeln zwar ein spannendes Spiel versprechen¸ gerade aber die zusammenhänge zwischen Spite und Stains etwas unklar formuliert sind. mittlerweile haben die Autoren im WW Forum aber für Klarheit gesorgt. Es scheint ein Fluch zu sein¸ der auch schon über Demon schwebte¸ dass manche Regeln zwar sinnvoll im Kopf der Autoren sind¸ aber geschrieben doch noch verwirren können. Im Gegensatz zu Demon habe ich aber noch keine Widersprüchlichkeiten oder Regelklopse entdeckt¸ so dass sicher kein so umfangreiches FAQ nötig wird¸ wie bei dem Spiel um die Gefallenen. Dieses Kapitel verschlingt 88 Seiten.
Kapitel Vier¸ Working the System¸ stellt das Würfelsystem vor¸ das Konzept der Zeit¸ was eine Handlung ist usw. Das Kampfsystem findet hier ebenso Platz¸ wie die schon legendären 100 Möglichkeiten zu sterben¸ die mittlerweile in jedem Regelwerk zu finden sind und den Erzähler auch dann nicht allein lassen¸ wenn ein Charakter einen Stromschlag bekommt oder Heroin gespritzt hat. Sauber durchgearbeitet¸ ausführlich wie immer¸ mit der großen Waffentabelle für Fans¸ gibt es aber nicht viel über dieses Kapitel zu sagen. Here there be rules... 43 Seiten sind mehr als genug.
Kapitel Fünf¸ Storytelling the Dead¸ ist das obligatorische Kapitel für den Erzähler und enthält eine Fülle an Hilfsmitteln um den Erzähler unbeschadet durch seine ersten Runden zu bringen. Neben einigen Worten zur ausbildung bei Orpheus wird die Operationsroutine der Firma erklärt¸ das System¸ wie man Geister zu Ruhe bettet¸ ohne sie mit Waffengewalt ins Nirvana zu befördern und natürlich kriechen zwischen diesen Seiten auch die Antagonisten herum¸ die den Charakteren das Leben schwer machen werden. Das Gruselkabinett reicht von den verschiedenen Spectrekasten¸ über Jasons (besessene Menschen auf dem Amoktrip) bis hin zur Konkurrenz des Unternehmens¸ namentlich Terrel&Squib Pharmaceuticals und Next World¸ Inc.
In meinen Augen ist das Kapitel wirklich brauchbar und lesenswert und gibt dem Erzähler besseren Einblick in die Welt von Orpheus¸ womit es seinen Zweck erfüllt. 45 Seiten sind schon fast zu kurz¸ davon hätte ich gern mehr gelesen¸ aber leider wird auch der Erzähler über viele Dinge noch im Unklaren gelassen und muss sich auf die kommenden Bände vertrösten. Dieses 'leider' ist weniger Kritik¸ als vielmehr Ausdruck für meine gespannte Erwartung auf das Kommende.
Das Appendix: Ghost Stories enthält zu guter Letzt noch Anregungen zu Geschichten¸ die man entweder einfach so übernehmen oder als Inspriration für eigene Geschichten nutzen kann. Im Angebot befindet sich eine breite Palette von Missionszielen¸ von der Informationsbeschaffung¸ über Fumigation (Ausräuchern könnte man sagen¸ gemeint ist das Beseitigen unerwünschter Geister) bis hin zur Spionage. Es gibt also viel zu tun¸ Damen und Herren. Dieser Anhang ist allerdings nur 15 Seiten lang¸ man muss sich also nicht vor einem echten Abenteuerband fürchten.
Noch ein paar Worte zum allgemeinen Eindruck. Wie auch schon Demon ist Orpheus nicht gerade mit Bildern überladen. Neben wunderbaren Werken von Christopher Shy findet sich eine recht eigenwillige Mischung an Illustrationen¸ die vielleicht nicht alle zu gefallen wissen¸ aber über Geschmack sollte man ohnehin nicht streiten. In dem meisten Fällen tragen sie zur Stimmung des Buches bei¸ echte Meisterwerke sollte man aber nicht erwarten.
Ansonsten kommt das Buch ordentlich gedruckt und leserlich daher¸ ohne böse Fehler und durch so nette Ideen wie die Zeitungsausschnitte etc noch zusätzlich aufgelockert. Trockener Regeltext wird möglichst verständlich und mit Beispielen erläutert und kann bis auf wenige Ausnahmen (die Sache mit den Stains) überzeugen. Es gibt einen zweiseitigen Index¸ der die wichtigsten Schlagworte enthält. Der Charakterbogen ist etwas gewöhnungsbedürftig¸ nicht unbedingt der Anwärter auf den Ästhetikpreis¸ das ist mal sicher.
Aber nun die entscheidende Frage: Taugt das was?
Ich meine ja¸ sehr sogar. Orpheus bringt noch einmal etwas frischen Wind in die Welt der Dunkelheit¸ glänzt mit tollen Ideen und bietet die Möglichkeit¸ ganz unterschiedliche Abenteuer zu durchleben. Eine Art Ghostbusters ist ebenso möglich wie das eher bedrückende Sixth Sense Feeling oder eine Variante von Akte X. Der besondere Reiz rührt sicher auch daher¸ das die Charaktere Pioniere einer neuen Wissenschaft sind¸ die jeden Tag neue Geheimnisse entdecken.
So sehr Orpheus auch versichern mag¸ die Nachwelt verstanden zu haben und seine Agenten gut vorbereitet auf die Missionen zu schicken¸ es wird schnell klar werden¸ dass Menschen hier unbedarft mit Dingen herumspielen¸ die ihr Verständnis noch bei Weitem übersteigt. Agenten mögen sich mit unglaublich guter Bezahlung trösten¸ aber es ist ihre Psyche¸ die unter den Alpträumen leidet¸ dem Stress und der Ungewissheit. Je weiter die Charaktere in das Dunkel vorstoßen¸ desto wahrscheinlicher ist es¸ dass sie Dinge finden¸ die sie nicht kontrollieren können. Orpheus hat bereits drei Shades entdeckt¸ die sich nicht zuordnen lassen¸ die Wissenschaftler zerbrechen sich den Kopf¸ warum nur alle Geister¸ die man gefunden hat¸ nicht älter sind als drei Jahre und was hat es bloß mit diesen Spectres auf sich?
Dies ist eine Welt¸ wo aus Mut und Zuversicht schnell Schrecken und Panik werden kann und wo der Jäger schneller zum Gejagten wird¸ als er glauben möchte. Don't look back! heißt es völlig richtig und es bleibt abzuwarten¸ wann Orpheus bekommt¸ was ihm zusteht. Das Tor ist aufgestoßen¸ wir wollen sehen¸ was sich auf der Schwelle zeigt.
Eine Rezension von: Markus Barth http://www.regensburg-bei-nacht.de