Microlite20 RPG Collection (2020 Edition) (5e)
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Das universelle Rollenspiel-Fanzine Greifenklaue wurde bereits 1997 von Mitgliedern der Pfadfindergruppe Mantikore als gedrucktes A4-Heft ins Leben gerufen und eroberte ab 2005 auch das Internet. Neben dem gedruckten Fanzine betrieb Ingo aka "Greifenklaue" vor allem einen Blog, einen Podcast und ein eigenes Forum. Zur großen Bestürzung der Rollenspiel-Szene verstarb Ingo Schulze am Freitag den 26.11.2021. |
Die laut Vorwort des Regelheftes aus einem Beitrag im Internet-Forum von "ENWorld" gewachsene Idee, die schließlich in der Entstehung von M20 gipfelte, war folgende: man wollte ein minimal komplexes, dennoch vollständiges Rollenspiel, daß zudem noch mit dem "bekanntesten Rollenspiel der Welt" kompatibel sein sollte (und dessen Begrifflichkeiten benutzt). Ein Rollenspiel, daß man in der Hosentasche mit sich führen konnte und keinen Aktenkoffer voller Regelwerke erforderte. Ein Rollenspiel, daß man schnell "ad hoc" spielen konnte - ohne große Vorbereitungen, mit einfacher Charaktererstellung.
Wie bereits gesagt: daraus entstand das MICROLITE 20, kurz M20. Ein zusammen gedampftes SRD/OGL-Regelwerk für minimale (Regel-)Ansprüche. Die Druckversion der deutschen Übersetzung wurde Anime Virtual S.A. verlegt - und diese war die Grundlage meiner Rezension.
GRUNDLEGENDES
Das Regelheftchen, das kostenlos auf der letzten RPC (Role Play Convention) in Münster verteilt wurde, umfaßt ganze 26 (teils farbige) Seiten. 5 dieser Seiten (inkl. beiden Innencovern) nimmt Werbung ein - dazu später mehr. Weitere 2 Seiten "verbraucht" der Charakterbogen. Damit kann man sagen, daß auf 19 Seiten die Regeln untergebracht sind. Wer nun aber glaubt, dieses Rollenspiel richte sich an Anfänger und Neulinge, der befindet sich auf dem Irrweg. Denn M20 erklärt mitnichten, wie Rollenspiele funktionieren. Es bietet dem Einsteiger auch keine genauen Erläuterungen, wie bestimmte Regelbegriffe zu verstehen bzw. anzuwenden sind. Vorausgesetzt wird eine Kenntnis der D20-Regeln im SRD oder durch D&D 3.x - zumindest aber ein grundlegendes Verständnis der Mechanismen eines Fantasyrollenspiels. Was M20 macht, ist folgendes: es dampft die D20-Regeln auf einen nahezu kleinsten, gemeinsamen Nenner ein bzw. stutzt die Regelhecke bis auf Kniehöhe hinunter und bietet dem Leser ein Destillat an, mit dem er Rollenspiel-Abenteuer leiten und darstellen kann. Der Leser dieser Rezi, der D&D3/D20 bereits gut kennt, kann mit dem Absatz "Die Eindampfung" weiter machen. Dieser verdeutlicht die Veränderungen gegenüber der "Vollversion". Der Leser, der D&D/D20 bislang nicht gespielt hat, überspringt den nächsten Absatz und macht weiter mit "Die Regeln".
DIE EINDAMPFUNG (für Kenner der D&D-Regeln)
M20 macht aus 6 Attributen 3 (Stärke, Geschicklichkeit und Intelligenz); aus 7 Völkern 4 (Menschen, Elfen, Zwerge und Halblinge); aus 11 Klassen 4 (Kämpfer, Diebe, Magier und Priester - allesamt massiv in ihren einzelnen Fähigkeiten zusammengeschrumpft); aus 45 Fertigkeiten 4 (Gewandheit, Heimlichkeit, Wissen und Kommunikation); streicht Talente/Feats gleich ganz; ändert das Magiesystem von "Auswendiglernen/Vorbereiten" auf "Bezahlen mit Trefferpunkten" ab; führt einen "Angriffswurf" für Magie ein (gegen die RK des Gegners bei Angriffszaubern); streicht über die Hälfte aller Zaubersprüche auf sämtlichen Spruchstufen (gibt nur noch ca. 6 Zauber pro Spruchstufe) und bietet die notwendigen Ausrüstungslisten inkl. Spielwerten für Waffen und Rüstungen. Soweit betraf dies alle spielerrelevanten Regelabschnitte, doch M20 dampft weiter ein: einige Elemente aus dem Spielleiterhandbuch (Erfahrungspunktvergabe, Startgeld, Fallen, Gifte, Stürze, Hitze/Kälte, Krankheiten und Reisezeiten) sowie minimalistische Monster-Statistiken aus dem Monsterhandbuch zu etwa 50-60 Monstern und Tieren (jeweils eine Zeile mit den nötigsten Spielwerten). That's it.
DIE REGELN
M20 schafft es, die allernötigsten Regeln auf knapp 20 Seiten unterzubringen. Wer also schon mal ein Rollenspiel gespielt hat, sollte mit den meisten Begrifflichkeiten vertraut sein. Wie schon oben gesagt, darf man keine Erklärungen erwarten. Wer also bereits über den Begriff "Trefferpunkte" stolpert oder nicht weiß, wie nun "Elfen" als Volk in M20 zu sehen sind, ist hier schlecht bedient. Erfahrene Rollenspieler können aber eigentlich alles gut einordnen und haben hier ein spielbares Mini-System vor sich, das sich mit seinem Charakterklassen- und Stufensystem für viele Spielarten heroischer Fantasy gut eignet. Man erfährt in wenigen Schritten, wie man sich einen eigenen Charakter erstellt. Von der Auswürfelung der drei Attribute, über die Wahl der Charakterklasse bis hin zum Aufstieg in höhere Stufen. Kampf- und Talent- bzw. Attributsproben werden mit einem W20 abgewickelt und sind denkbar leicht zu handhaben. Einfach auf den Wurf des W20 einen Bonus addieren und damit eine vorgegebene Schwierigkeit erreichen oder übertreffen. Peng, fertig. Kämpfe laufen ebenso einfach und simpel ab, wobei regeltechnisch Nah-, Fern- und Magiekampf unterschieden werden. Bei erfolgreichem Treffer (W20-Wurf plus Boni gegen den Schutzwert, genannt Rüstungsklasse) wird dem Getroffenen eine Anzahl von Schadenspunkten (je nach Waffe unterschiedlich) von seinen Trefferpunkten abgezogen. Erreicht man 0 TP, sinkt man ins Koma. Weiterer Schaden reduziert dann das Stärke-Attribut. Sinkt dieses auch auf Null, stirbt der Charakter. Wie man diesen Schaden wieder heilt, ist auch angegeben. Hat man genügend Erfahrungspunkte gewonnen (durch das Bezwingen von Monstern, Fallen, Rätseln), gewinnt man eine Stufe dazu - damit verbessern sich die Trefferpunkte, Angriffswürfe und Fertigkeiten.
DAS SETTING
Wie, was? Da ist noch ein Fantasy-Setting drin?? Ja, in der Tat. Auf 2 Seiten (und einer zweiseitigen Farbkarte in der Heftmitte) wird ein grober Überblick über eine Weltregion namens "Astragard" gegeben - eine minimale Historie und kurze Örtlichkeitsbeschreibungen für diverse Schauplätze der Karte. Wenngleich extrem kurz, haben einige der Beschreibungen durchaus schon Potenzial, die Phantasie anzuregen und kleine Ideen zu liefern. Auch kurze Spielwerte für NSC in einzelnen Städten werden präsentiert. Insgesamt aber ist dies aber nur ein nacktes Grundgerüst, daß von der Spielrunde/dem Spielleiter noch stark zu unterfüttern ist. Die Hexfeld-Karte (im Maßstab 10 Meilen pro Feld) selbst erinnerte mich sofort an den Setting-Klassiker "Greyhawk". Der Kartenstil ist nämlich nahezu identisch. Gewinnt keinen Schönheitspreis, ist aber funktional und auf nette Weise "old school".
DIE WERBUNG
Verteilt über die 26 Seiten finden sich immer wieder mit ein, zwei Sätzen untertitelte Screenshots aus dem Anime-Fantasyfilm "Brave Story", der Mitte Mai in die Kinos kam (und auf dem Backcover von M20 nochmal als Filmplakat angepriesen wird). Über die Qualität des Films sagen sie freilich nichts aus. Was sie aber (leider) tun, ist, den Leser zu verwirren - könnte er doch meinen, diese Bilder würden M20 und sein Setting illustrieren. Tun sie aber nicht. Da aber unter manchen Screenshots Sätze wie "...Herrscher über die Stadt Lilith" stehen, ist man zunächst versucht, eben diese Stadt auf der Karte zu suchen. Vergebens. Es ist klar, daß Anime Virtual S.A. hier Werbung platzieren möchte (schließlich haben sie sehr wahrscheinlich die Druckkosten übernommen), aber sie führt meiner Meinung nach eher zu einer Verwirrung des Lesers.
DER CHARAKTERBOGEN
Ein sehr hübscher und übersichtlicher Charakterbogen wird über 2 Seiten im A4-Format angeboten. Er bietet genügend Platz für alle relevanten Spielewerte und sogar für ein kleines Porträt. Auch hier ist ein Hauch von Old School zu spüren (erinnerte mich an den klassischen D&D-Bogen aus der roten Box).
DAS FAZIT
Ich tue mich mit meinem endgültigen Urteil etwas schwer. Der D&D- Veteran in mir ist geneigt, M20 eine gute Note auszustellen - es ist ein gut spielbares und insich stimmiges Regelwerk "zusammengedampft" worden, daß in vielen Belangen an die guten, alten Tage von D&D CLASSIC erinnert. Aus dem Blickwinkel eines Gelegenheitsspielers und/oder RPG-Neulings muß ich allerdings sagen, daß M20 einfach zu knapp in allen Belangen ist. Es finden sich einfach zu wenig Erklärungen und Beispiele im Heft, um die Regeln ausreichend abzubilden. Ein Spielleiter muß schon wissen, wie ein "modernder Schlurfer" oder ein "Rostmonster" aussieht (bzw. was die machen), um die Ein-Satz-Beschreibungen überhaupt nutzen zu können. Auch bestimmte andere Spielkonzepte (etwa die Begegnungsstufen) sind nur rudimentär erläutert und für Spielleiter-Neulinge nur bedingt zugänglich. Grundsätzlich ist M20 eine nette Idee und richtet sich an D20/D&D-Spieler, die keinen Bock auf die ganzen Detailregeln der "Vollversion" haben. Als Convention-Regelheftchen ist es daher wohl gut geeignet - wenn man denn der Meinung ist, auf Cons keine "richtigen" Regelwerke mitschleppen zu müssen. Die Kompatibilität zum "großen Bruder" ist schon gegeben, daher kann man mit M20 auch auf die bekannten Abenteuer und Settings für D&D/D20 zurückgreifen.
Am Ende muß ich also M20 ausstellen, daß es seine erklärte Aufgabe recht gut gelöst hat - dabei aber nicht für unvorbereitete Spieler oder gar Rollenspielanfänger geeignet ist. Insofern wäre es also irreführend, zu sagen: "Hey, M20 hat ganz einfache Regeln, die jeder begreift", um es dann einem Neuling in die Hand zu drücken. Dieser wäre mit den ausführlicheren Regeln von D&D 3.x schlichtweg besser aufgehoben. Anders gesagt - man muß erst die umfangreichen Regeln kennen, um die geschrumpften Regeln richtig schätzen oder nutzen zu können.
Und darin liegt hier ein inhärenter Stolperstein.
[Olaf "Argamae" Buddenberg]
Eine Rezension von: Olaf 'Argamae' Buddenberg https://greifenklaue.wordpress.com/