M4: Midgard - Das Fantasy Rollenspiel (4e)
Midgard ist ein beliebtes Fantasy-Rollenspiel aus deutschen Landen - zudem das erste in Deutschland veröffentlichte. Obwohl das System bereits seit 1981 auf dem Markt ist¸ hält sich die Zahl der veröffentlichten Publikationen in Grenzen¸ was vor allem an der Einstellung der recht kleinen Autorengruppe liegt¸ die das System sehr monopolistisch betreut. Als Trost zum schwachen Produkt-Output ist die Qualität der Produkte in der Regel recht hoch und Erweiterungen der Spielwelt sehr durchdacht. Einige Midgard-Abenteuer zählen zu den Besten auf dem Markt. Bei Midgard handelt es sich um ein System (bestehend aus Grundregelwerk¸ Arkanum (Magie) und Bestarium) und eine damit verbundene Spielwelt zu der eine Reihe von Quellenbänden bzw. -boxen existieren. Die High Fantasy-Spielwelt bietet alles was man erwartet: Elfen¸ Zwerge¸ Halblinge¸ Trolle¸ Drachen und haufenweise Magie - hier fallen grundlegende Anleihen an den Herrn der Ringe auf. Allerdings endet die Ähnlichkeit auch damit¸ denn die Ausgestaltung der Einzelheiten und die Entwicklungen in der Spielwelt¸ haben in den letzten Jahren ganz eigene Züge angenommen. Dem etwas anspruchsvolleren Rollenspieler kann man Midgard nur empfehlen. |
Für jeden Midgard-Fan eine schwere Zeit¸ denn ein Rollenspiel ohne käufliches Grundregelwerk findet kaum Neuzugänger¸ was auch den Absatz von Magazinen¸ Abenteuern und Quellenbänden vermindert. Kein Wunder¸ daß jede Verzögerung bei der Veröffentlichung der Grundregeln von Wehklagen der Fans begleitet war.
Endlich¸ wenige Tage vor Weihnachten¸ wurden die ersten Exemplare ausgeliefert und wie gehofft¸ hatte Pegasus wieder einmal geschafft¸ ein hervorragendes Produkt zu produzieren¸ das kaum Grund zur Beanstandung liefert. Zwar kann ich nicht behaupten¸ daß ich bereits jetzt jede neue oder übernommene Regel getestet hätte (diese Macken findet man oft erst nach etlichen Spielrunden)¸ aber zumindest läßt sich hier über die Art und Qualität der Texte und die Aufmachung insgesamt referieren.
Der ein oder andere Leser wird schon das Arkanum kennen¸ das die Neuauflage in Form eines Magiebandes angeführt hatte. Das Grundregelwerk wurde ebenfalls als Hardcover mit sehr guter Bindung und ordentlicher Papierqualität produziert. Als besonderes Bonbon wurden acht Farbseiten (mit ganzseitigen Gemälden) und zwei Lesebändchen eingebunden.
Das Grundregelwerk teilt sich in fünf Kapitel und einen Anhang.
Das Buch des Ursprungs führt den Spieler in die Thematik Rollenspiel und die verschiedenen Möglichkeiten zum Charakterentwurf ein. Die Abenteurertypen teilen sich grob in Waffenmeister¸ Herren der Wildnis¸ Gassenexperten¸ Entdecker¸ Barden und Dichter¸ Meister der arkanen Kunst¸ Bewahrer der Mittelwelten¸ Diener der Götter und Diener der Naturgeister. Diese Rubriken stehen für insgesamt 25 Berufungen¸ die alle mit einem kurzen Infotext (teilweise unveränderter Wortlaut zur alten Version) vorgestellt werden. 25 Berufungen (neu z.B. "Ermittler" oder "Tiermeister"¸ quasi ein Schamanen-Ordenskrieger) mag recht umfangreich wirken - allerdings hat der Spieler im Gegensatz zu DSA/D&D damit eine recht komplette Liste und wird nicht auf zig separate Quellenbände verwiesen...
Auf die Geburt eines Abenteurers wird sehr gewissenhaft eingegangen. In diesem Abschnitt lassen sich auch wesentliche Neuerungen zum alten Midgard ausmachen.
Ein Midgard V4-Charakter hat sechs Attribute: Stärke¸ Geschicklichkeit¸ Gewandtheit¸ Konstitution¸ Intelligenz und Zaubertalent (Prozentwerte). Über etwas umständliche (sprich schlecht zu merkende) Formeln lassen sich Abgeleitete Eigenschaften und Naturgegebene Fertigkeiten ermitteln (z.B. Schadensbonus oder Lebenspunkte und 15 andere Werte). Abschließend besitzt jeder Abenteurer eine Angeborene Fertigkeit (z.B. Sechster Sinn)¸ die per Zufall ermittelt wird. Es bleibt zu erwähnen¸ daß es bei Midgard 4 keine Fertigkeiten ohne Wert gibt (z.B. früher "Erste Hilfe").
Auch zum Hintergrund des Charakters müssen einige (Zufalls-) Entscheidungen getroffen werden¸ z.B. die Wahl des Standes und der angebeteten Gottheit.
Dann erfolgt die Wahl erlernter Berufe und Fertigkeiten des Charakters. Hierbei werden Einflüsse aus den Midgard 1880-Regeln offensichtlich¸ da es nun durchaus einen Unterschied macht¸ wo der Charakter sein Leben verbracht hat - auf dem Land oder in der Stadt.
Das Finish jedes Abenteurers stellt die Ausstattung mit Ausrüstung dar. Neben einer geringen Menge Geld und einer Standardausrüstung¸ hat der Charakter entsprechend den gewählten Fähigkeiten¸ der Profession und des Berufes die Chance an besondere Ausrüstung heranzukommen.
Der Gerechtigkeit halber muß gesagt werden¸ daß die Charaktererschaffung bei Midgard weder ein schneller noch ein besonders unkomplizierter Ablauf ist. Die einzige Entschuldigung dafür ist¸ daß im Anschluß sehr "komplette" und facettenreiche Charaktere entstehen. Die mit wachsender Erfahrung in einem Stufensystem aufsteigen können.
Im Spiel
Midgard schaltet auf rundenbasierte handlung um¸ sobald zeitkritische Momente erreicht sind. jede Runde besteht aus Initiativebestimmung¸ Bewegung und Handlung. Die Regeln sind vielfältig (Eigenes Kapitel: Buch des Schwertes)¸ so gibt es zahlreiche Modifikatoren und unterschiedlichste Sonderregeln¸ die den Überblick nicht gerade erleichtern. Ob man all diese Regeln wirklich benötigt... man sollte in seiner Runde anfangs soviel weglassen¸ wie möglich. Wer sich anfangs alles auf einmal aneignen will¸ könnte im Wust untergehen (früher half hier die Aufteilung in zwei Regelboxen für Anfänger und Fortgeschrittene). Wenn Fragen auftreten wird man jedoch so ziemlich alles ordentlich beantwortet und illustiert finden.
Doch im Grunde ist das Grundprinzip wie Fertigkeiten¸ Magie und Kampf gehandhabt werden stets gleich. Zum Fertigkeitswert (1-20) wird ein Würfelwurf (W20) und die Modifikationen addiert. Ein Wert über 20 stellt einen "normalen" Erfolg dar. Dazu kommen kritischer Erfolg (gewürfelte 20) oder kritischer Fehlschlag (gewürfelte 1) wobei je auf eine Tabelle gewürfelt wird um besonders drastische Ereignisse zu ermitteln. Beim Angriff steht dem Opfer eine Abwehr zu. Gelingt diese Abwehr¸ so spricht man bei Midgard von "leichtem Schaden"¸ d.h. es wurde nicht getroffen¸ aber das Opfer verliert Ausdauerpunkte durch sein Ausweichen. Mißlingt die Abwehr¸ so verliert das Opfer Ausdauer- und Lebenspunkte. Da sich die wenigen Lebenspunkte im Laufe der Karriere kaum steigern¸ tut man gut daran¸ seinen Charakter mit einer guten Rüstung zu schützen¸ die den LP-Verlust pro Treffer mindert. Während Ausdauerpunkte recht schnell regenerieren¸ sind Lebenspunkte eine kostbare Ware.
Nur gut daß Midgard eine magische Welt ist und man neben normaler genesung auch Heilkräutern¸ -tränke und -zauber kennt.
Jedem Charakter stehen eine Vielzahl von lernbaren Fertigkeiten zur Verfügung - und das gute bei Midgard: im Prinzip kann man jede erlernen. Einziger Haken: die Kosten sind je nach Eigung sehr unterschiedlich. Auf die vielen Fertigkeiten wird auf über 80 Seiten mit kurzen Beschreibungen und teilweise auch mit Illustrationen oder Tabellen eingegangen.
Ebenfalls viel Aufmerksamkeit erhielt dieses mal die Abteilung: Waffen. Jede Waffe wird beschrieben und in Form von "Waffensammlungen" illustiert - sehr hilfreich¸ mag der ein oder andere wohl z.B. nichts mit dem Begriff "Glefe" anfangen können.
Erfahrung
Um seinen Abenteurer "wachsen" zu lassen¸ muß er Praxiserfahrung sammeln. Das Regelwerk bietet verschiedene Versionen wie dies geschehen kann¸ so gibt es ein Einsteiger-¸ Standard- und Fortgeschrittenensystem.
In die neuen Regeln sind vor allem auch viele Anmerkungen zum "richtigen Lernen" eingeflossen (quasi "anti-powergamer")¸ die verschiedene Formen/Möglichkeiten des Lernens beachten. Insgesamt ein ausgewogenes System.
Im Anhang finden sich Listen für Ausrüstung¸ eine kleine Liste mit Kreaturen¸ mehrseitige Charakterblätter¸ ein ausführlicher Glossar und ein ordentlicher Index.
Zu meiner Schande muß ich gestehen¸ daß ich im vorliegenden Band recht begeistert nach Fehlern gesucht habe - aber größtenteils "enttäuscht" wurde. Kleinere Patzer wie die Umbenennung des Buch des Kampfes (Inhalt) in Buch des Schwertes (Kapitelüberschrift) dürften den meisten nicht einmal auffallen. Ansonsten sucht der Fehlersucher recht vergebens. Wie schon oben erwähnt¸ kann ich natürlich nicht behaupten jede einzelne Regel getestet zu haben - das wird einige Jahre Spielzeit verlangen¸ bis all diese Fehler gefunden sind.
Fazit:
Man kann gegen die verstaubte Midgard-Autorenriege sagen was man will¸ aber sie liefern gute Qualität ab. Einen einzelnen Band zu haben¸ in dem alle Regeln zu finden sind (einmal abgesehen von ausführlichen Magieregeln¸ die man im Arkanum findet). Die geballte Ladung Text wird durch viele (endlich) ansehnliche Illustrationen aufgelockert - aber dennoch wird man vielerorts von den Text- und Tabellenmassen erschlagen. Wie schon gesagt¸ ist Midgard ein recht anspruchsvolles Rollenspiel und daher kann ich Neueinsteigern zur Starter-Box "Midgard - Das Abenteuer beginnt" raten.
Midgard-Fans die noch die alten Regeln besitzen¸ ggf. in stark benutzem Zustand¸ können sie endlich zu den Akten legen. Zwar haben es sich die Autoren nicht nehmen lassen¸ einige Neuerungen bzgl. den Regeln und der Spielwelt einfließen zu lassen - wer Midgard 1880 kennt¸ konnte schon einen guten Einblick in die zu erwartenden Änderungen bekommen - aber insgesamt gab es keine wirklich bösen Überraschungen - dafür aber augenfreundliche Illustrationen und ein tolles Hardcover zum akzeptablen Preis. Man kann zufrieden sein.
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de