Kleine Gemeinheiten
"Es war bereits Abend¸ als der Wind sich drehte und sie schließlich das Kreischen der Pfauen hörten¸ die auf dem Friedhof lebten. Als die Dorfbewohner dort ankamen¸ das verformte Eisentor aus den Angeln hoben und auf den Gottesacker marschierten¸ entdeckten sie¸ dass das Erdbeben nicht nur tiefe Furchen in den Boden gerissen¸ die Grabsteine umgestürzt¸ die seit Jahren nicht mehr nachgefüllten gläsernen Ö llampen und die Vasen mit verdorrtem Immergrün zerstört¸ sondern auch - und das war das Schlimmste - die Särge ihrer Vorfahren exhumiert hatte.[...]
[Dabei] stießen sie auch auf einen Sarg¸ der mit Büchern gefüllt war¸ worauf sich der sichtlich verlegene Pater Gerasimo zu erklären beeilte¸ es handele sich um einen Haufen wertloses Papier mit den Lügen gotteslä sterlicher und ignoranter Häretiker. Doch wurden auch noch andere Entdeckungen gemacht. Neben den sterblichen Überresten eines Mannes¸ der offenbar befürchtet hatte¸ lebendig begraben zu werden¸ fanden sie eine komplette Telegraphenanlage¸ in wiederum einem anderen Sarg erblickten sie fassungslos eine makellos erhaltene Leber unter den gebleichten Knochen eines seinerzeit berüchtigten Säufer; der Doktor erklärte¸ das s der Alkohol die Leber konserviert hatte."
Neunzehn Geschichten aus einem kleinen griechischen Dorf hat Karnezis geschrieben¸ vom Ehemann¸ der Steine statt seiner neugeborenen Kinder beerdigt; dem armen Bauern¸ der ein berühmtes Rennpferd erbt; dem Zentauren¸ der mehr Gage haben mö chte und der Medusa mit Schlangen statt Haaren; von einem Dieb¸ der eine Schmuckschatulle klaut¸ aber wegen des Diebstahls von fünf Pfirsichdosen verurteilt wird und von dem Gefangenen¸ der den Priester mit der Pistole zwingt¸ ihn zu ve rheiraten. Die Geschichten sind voneinander unabhängig und doch verknüpft¸ oft findet sich die vollständige Lösung der einen erst in der nächsten und natürlich treten die gleichen Personen immer aufs neue auf¸ denn das Dorf hat so wenige Häuser¸ dass schließlich der Bürgermeister zurücktreten muss.
Ein wenig Don Camillo und Peppone¸ ein wenig Nostalgie und viel Phantasie finden sich hier vereint und es macht Spaß ¸ in den Geschichten zu schmökern. Auch wenn sie kein Pageturner sind; der Leser wird das Buch nicht verschlingen¸ aber dafür sich jeden Abend auf eine neue Geschichte freuen. Schön¸ dass es auch solche Texte gibt¸ die in Ruhe gelesen werden wollen.
Aber eine Frage kam mir bei der Lektüre dann doch: Wenn es nicht schon vorher in England ein solcher Erfolg gewesen wäre¸ hätte sich ein deutscher Verlag getraut¸ derartiges von einem unbekannten deutschen Autor zu veröffentlichen? Schließ lich widerspricht es allem¸ was Verlagsmarketing-Strategen als verkäuflich bezeichnen.
Über den Autor: Panos Karnezis¸ Jahrgang 67¸ stammt aus Griechenland¸ studierte Ingenieurswissenschaften in England¸ arbeitete in der Industrie und veröffentlichte 2002 mit den Erzählungen "Little Infamies" sein erstes Buch. Er hat einen MA Abschluß in Creative Writing und lebt in London.
Eine Rezension von: Hans Peter Röntgen http://www.textkraft.de