Vampire: Die Maskerade
GURPS Vampire: The Masquerade ist meines Erachtens ein sehr solide ausgearbeitetes Regelwerk zum White Wolf-Universum. Sicherlich liegt der Schwerpunkt des Buches ganz anders als die freien Regeln von White Wolf auf der mathematisch-präziseren Spielführung¸ aber das bringt nun einmal eine Umstellung auf GURPS mit sich. Wer sich nach der simplen Spielgestaltung ohne viele Werte sehnt¸ sollte es erst gar nicht mit dem realistischen GURPS probieren. Es eignet sich definitiv nicht für Spieler¸ die sich inmitten von vielen Regeln über Interaktion und Kampf unwohl fühlen. Die aber¸ die etwas mit GURPS anfangen können¸ sind sicherlich gut mit diesem Band aufgehoben¸ u.a. auch¸ um dadurch fließendere Übergänge zu anderen GURPS Welten zu schaffen.
Für die¸ die es noch nicht mitbekommen haben sollten : Vampire leben unter uns¸ genau wie Werwölfe¸ Magier¸ Geister und viele anderen übernatürlichen Wesen - nachzulesen in den aktuellen White Wolf-Publikationen. Vampire leben unter uns in der modernen Großstadt¸ umgeben von ignoranten Menschen¸ verwickelt in politische Kämpfe untereinander¸ gesegnet mit übernatürlichen Fähigkeiten¸ von Gott verflucht¸ auf immerdar als Tier auf Erden zu wandeln und das Blut anderer Lebewesen zu trinken. In V:TM übernimmt man die Rolle eines Vampirs¸ der einem der sieben Clans angehört ( je nach Vorliebe gibt es dort Ästheten¸ Spione¸ Nekromanten¸ Verrückte¸ Businessleute¸ Rowdies und Wilde ). Die World of Darkness umfasst natürlich noch sehr viel mehr als nur die sieben Clans der Camarilla¸ aber das Buch befasst sich auch nur mit der ur-ur-ursprünglichsten Idee von V:TM.
Das erste Kapitel dient wie immer der Exposition : man erfährt¸ was es mit der Maskerade auf sich hat¸ wie Vampire in unserer heutigen Welt leben¸ sich ernähren und fortpflanzen und untereinander bekriegen. Der Grundstein der Spielwelt ist Gothic Punk¸ also eine düstere¸ unangenehme Mischung aus solch Werken wie The Crow¸ Dark City¸ Blade Runner¸ Im Auftrag des Teufels¸ Watchmen und Sieben. Inmitten dieses von Arroganz¸ Gleichgültigkeit und Machiavellismus geprägten Universums stehen die kaum wahrnehmbaren Machtstrukturen der Vampire¸ die unsichtbar die Geschicke der Menschen beeinflussen.
Die Untoten halten sich an eine Reihe von uralten Regeln¸ die ihnen das Überleben ermöglichen. Das erste Kapitel führt Außenstehende auf atmosphärische Weise in die Welt der modernen Vampire ein und schildert kurz und bündig ihre Lebensweise¸ ihre Gegner und ihre Sozialsturkturen.
Kapitel # 2 dient der Charaktererschaffung. Vorausgesetzt wird natürlich das GURPS Basiswerk. Ablaufschema wie gehabt : Vorteile¸ Nachteile¸ Fertigkeiten - und die vampirspezifischen Eigentümlichkeiten wie Altert Nicht¸ Blutverlust¸ Blutregeneration¸ Sonnentod¸ vampirische Unverwundbarkeit¸ etc.
Das dritte Kapitel befasst sich mit solch interessanten Aspekten wie der elementaren Angst der Vampire vor Feuer¸ ihrer Menschlichkeit (verhindert den Verfall zum Tier)¸ dem Einsatz ihres Blutes und ihren Verletzungen¸ die zum Tod führen können. Sterben kann man erst¸ wenn die Anzahl der Schadenspunkte den KO-Wert im Minusbereich überschritten hat¸ ein Vampir mit KO: 12 wäre erst bei ca.-8-9 KO unter Null ernsthaft gefährdet. Getötet kann ein Vampir nur mit Sachen¸ die schwer heilbaren Schaden machen¸ also Feuer¸ heilige Artefakte¸ Sonnenlicht und Schaden von Artgenossen und anderen übernatürlichen Wesen.
Kapitel 4 repräsentiert die Disziplinen. Jeder Vampirclan hat drei Hauptdisziplinen¸ die ihnen übernatürliche Macht verleihen. Dies kann z B eine besonders hohe Körperstärke sein¸ aber auch ausgeprägte Schadensresistenz¸ Hypnose¸ Verwandlung in Tierformen¸ Geisteskontrolle und Blutmagie (nur ein kleiner Ausschnitt). Kapitel 5 berichtet ausführlicher von den einzelnen Clans¸ ihren Sichtweisen¸ Bräuchen¸ Gewohnheiten und ihrem Auftreten.
Kapitel 6 wartet mit Spielideen für den Spielleiter auf; dazu gehören mögliche Anregungen zu Kampagnen (Verschwörungen¸ Jagdszenarien¸ McGuffins¸ Kampf ums Überleben¸ Manipulationen¸ Intrigen uvm )¸ Tips für die Gestaltung von Vampirgeschichten und dramaturgische Richtlinien. Zu bedenken ist stets¸ dass Vampire:TM mehr als jedes andere Rollenspiel auf literarische Tragik zwischen Unsterblichkeit und Vergänglichkeit¸ zwischen Omnipotenz und Machtlosigkeit setzt und die Charaktere keine Helden im klassischen Sinne sind. Sie nutzen die Menschen eiskalt aus¸ stufen sie als Nahrung ein und verachten sie¸ und doch leben sie zwischen ihnen und sind auf sie angewiesen.
Ein Abrundung findet das Buch in einem kleinen Abenteuer¸ einem Konvertierungsvorschlag von WoD zu GURPS- Regeln und einem putzigen Lexikon von vampir-gängigen¸ hauseigenen Ausdrücken.
Das Buch ist überaus reich illustriert¸ Bilder finden sich auf jeder Seite. Von den typisch miesen GURPS-Bildern sind auch diesmal ein Paar drin¸ doch überwiegend sind die Zeichnungen aus dem White Wolf-Regelwerk sehr stimmungsvoll und fangen die angestrebte Düsternis gut ein. Das Layout ist nüchtern und die Sprache schnörkellos.
Zugegebenermaßen¸ nun ist gerade die nächste IV.Auflage von White Wolf auf dem Markt erschienen¸ die etwas von der altgewohnten Vampire- Welt abweicht. Ob V:TM daher nur noch wenig Sinn macht oder aber als Spielwelt noch durchaus akzeptabel ist¸ muss jeder für sich entscheiden. Das vorliegende Quellenbuch vereint in sich indes alle nötigen Aspekte die beim Erschaffen und Spielen / Darstellen von Vampiren wie von deren Antagonisten nötig sind. Hier müssen sie nicht mehr mühselig einzeln aus verschiedenen Büchern zusammengeschustert werden¸ sondern man erhält eine feine Kompilation aller Aspekte des Vampirmythos¸ die je nach Bedarf ausgebaut oder eingeschränkt werden können. Alles¸ was sich ein durchschnittlicher Rollenspieler unter Vampiren von heute vorstellt¸ wird von diesem Buch umfasst. Kompletthalber sollte man sich alsdann noch die Anschaffung des GURPS-Vampire Companions überlegen¸ welches das Fortgeschrittenen-Regelwerk bildet.
Bedenkt man¸ dass die dt. GURPS -Vampire-Bücher teilweise für einen Bruchteil des ursprünglichen Preises über den Ladentisch gehen¸ macht man mit diesem Buch sicherlich keinen Fehler¸ falls man eine umfassende Lektüre über die populären Untoten haben möchte.
Eine Rezension von: Alexander Kuprijanow