Stephensons Rocket
Gewiß ist die Rezensentin nicht alleine¸ wenn sie sich neue Spiele von Reiner Knizia mit einer gewissen freudigen Erwartungshaltung zulegt. Freunde von Knizia-Spielen schätzen die Qual der Wahl¸ vor die sie in fast jedem Zug gestellt werden. Ob Stephensons Rocket dieses typische Knizia-Gefühl auch erzeugen kann? Schaun mer mal.
Stephensons Rocket präsentiert sich in einer nett aussehenden Schachtel und behauptet von sich¸ ein "Taktisches Brettspiel um den Eisenbahnbau in England ab 1830" zu sein. Das Spielmaterial besteht aus einem Spielplan¸ einem Stapel Aktienkarten¸ Spielgeld¸ sechseckigen Gleisteilen¸ kleinen Warenplättchen¸ 7 bunten Holzlokomotiven und Bahnhofsspielsteinen in vier Farben. All dieses Dinge hätten jedoch auch in einer etwas flacheren Schachtel genügend Platz gefunden. Wohl jeder Brettspieler steht regelmäßig vor dem Problem¸ wo er seine neuen Lieblinge unterbringen soll. Wie dankbar wäre man doch¸ wenn mal ein gutes Spiel in kleiner Verpackung vorbeikäme...
Die Spielregel erscheint auf den ersten Blick angenehm kurz und hinreichend mit Beispielen ausgestattet. Wenn man nicht so unkonzentriert liest wie die Rezensentin¸ schafft man es vielleicht sogar auf Anhieb¸ sie richtig zu verstehen und anzuwenden ;-)
Der Spielplan zeigt eine mit Sechseckraster überzogene Englandkarte. Drei verschiedene Städtesorten sind grafisch hervorgehoben¸ die 7 Startstädte¸ von denen aus Eisenbahnlinien das Land überziehen sollen¸ 12 Metropolen¸ auf denen je 3 Warenplättchen zu liegen kommen und 9 sogenannte Bahnhofsstädte¸ die ans Eisenbahnnetz angeschlossen werden sollen. Um die Verwirrung komplett zu machen¸ ist in der Spielregel auch von Bahnhöfen die Rede. Dabei handelt es sich jedoch um bunte Spielsteine¸ die von den Spielern erst noch im Laufe ihrer Züge auf dem Plan plaziert werden.
Es wird reihum gespielt. Wer dran ist hat die Auswahl zwischen drei möglichen Aktionen: ein Warenplättchen von einer Metropole nehmen¸ einen Bahnhof seiner Farbe auf dem Plan ein- oder versetzen oder eine Eisenbahnlinie ausbauen. Jede dieser Aktionen darf zweimal durchgeführt werden¸ allerdings ist es nicht erlaubt¸ ein und dieselbe Linie zweimal auszubauen.
Das Ausbauen einer Eisenbahnlinie funktioniert so: der Spieler der am Zug ist¸ darf die Lok einer Eisenbahnlinie einen Schritt weit bewegen. Auf das Ausgangsfeld legt er dann ein passendes Gleisteil. Er erhält dafür eine Aktie der entsprechenden Linie. Andere Aktionäre können versuchen den Kurs der Linie durch ihr Veto zu verändern¸ in einem solchen Machtkampf muß derjenige¸ der seinen Willen durchsetzt jedoch mit Aktien dafür bezahlen.
Warum nun steuert man welche Eisenbahnlinie wohin? Nun¸ zum einen versucht man Aktienmehrheiten zu erwerben¸ um bei Spielende Geld zu kassieren. Ansonsten versucht man Linien auf eigene Bahnhöfe zu steuern¸ um an einer Linie die Bahnhofsmehrheit zu erhalten und wiederum am Spielende (aber auch schon vorher) kräftig abzukassieren. Ein schwieriges Unterfangen¸ denn wenn man die Bahnhöfe einsetzt¸ muß man eine lästige Abstandsregel einhalten. Man kann nicht einen Bahnhof setzen und noch im selben Zug die Lok draufstellen. Aber es kann auch sinnvoll sein¸ die Lok auf einen fremden Bahnhof zu ziehen¸ denn dann bekommt man ein Fahrgastplättchen¸ das möglicherweise in der Endabrechnung von Bedeutung ist.
Berührt eine Eisenbahnlinie eine Metropole oder eine Bahnhofsstadt kommt es zu Zwischenwertungen¸ bei denen man schon mal für bereits gesammelte Warenplättchen oder angeschlossene Bahnhöfe Geld einnehmen kann. Berühren sich zwei Eisenbahnlinien kommt es zu einer Fusion¸ was nicht nur Geld bringt¸ sondern auch Auswirkungen auf Aktien- und Bahnhofsmehrheiten hat.
Am Ende des Spieles kommt es zu einer Schlußwertung¸ bei der nochmals Aktien- und Bahnhofsmehrheiten¸ aber auch der Besitz der verschiedenen Waren- und Fahrgastplättchen Geld bringt. Wer jetzt das größte Vermögen zusammengerafft hat¸ ist der Sieger.
Soweit zum Spielmechanismus. Aber die Frage ist¸ wie fühlt sich Stephensons Rocket an? Weiß man immer¸ was der beste Zug ist und brennt darauf¸ ihn zu machen¸ sobald man nur wieder dran ist? Nein (und das macht wohl auch den Reiz des Spieles aus). Wenn man an die Reihe kommt¸ sieht man oft sehr viel mehr gute Züge. Am liebsten möchte man 3 oder 4 Aktionen anstelle der erlaubten 2 durchführen¸ oder die Abstandsregel nicht einhalten oder am liebsten eine Lok zweimal ziehen. Man möchte all die Dinge tun¸ von denen man froh ist¸ daß die Mitspieler sie nicht tun dürfen. Die vielen Zugmöglichkeiten erzeugen eine ganz eigene Spannung. Da man nicht genau vorhersagen kann¸ was die Mitspieler tun werden¸ und daher die Auswirkungen eines Zuges nicht bis ins Kleinste zu berechnen sind¸ entscheidet man auch aus dem Bauch heraus und verfolgt dann voller Spannung¸ ob die Summe der getroffenen Entscheidungen einen bis zum Sieg bringt.
Damit darf sich Stephensons Rocket auf jeden Fall rühmen¸ ein typisches Knizia-Spiel zu sein. Ein typisches Eisenbahnspiel haben wir hier allerdings nicht¸ dazu gibt es zu wenig Strategie und wirtschaftliche Interaktion (das Geld dient nicht irgendwelchen Investitionen¸ sondern nur als geheimer Siegpunktezähler). Stephensons Rocket ist keine Simulation sondern ein tolles taktisches Brettspiel.
Und was ist mit der Spieldauer? Laut Schachteltext dauert eine Partie ca. 60 Minuten. Tatsächlich¸ wenn man nicht gerade mit Erbsenzählern spielt¸ die jedesmal eine schleppende Viertelstunde brauchen¸ um alle Feinheiten ihres Zuges bis ins kleinste auszurechnen¸ bleibt das Spiel in diesem Rahmen. Noch ein Pluspunkt. Dann kann man nämlich nach einer Partie gleich noch mal von vorne anfangen.
Eine Rezension von: Stephanie Lammers