Fudge Dice for Game Master (20)
Was ist FUDGE ?
Normalerweise gehen mir Rezensionen von englischen Produkten nicht ganz so leicht von der Hand¸ aber in diesem Fall verfüge ich sozusagen über recht umfassendes Vorwissen.
Wer schon mal durch die Projekte des Digest gestöbert ist¸ der wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch schon einen Blick auf die deutsche Version von Fudge geworfen haben. Ende letzten Jahres begann ich mit der Übersetzung der englischen Version ins Deutsche und bekam netterweise dabei auch eine Menge Rückendeckung von anderen Übersetzern und Lektoren.
Bei der übersetzen Version handelt es sich um die Version vom Juni 1995¸ die nun in einer überarbeiteten und erweiterten Version als Print vorliegt.
Nun stellt sich natürlich die Frage¸ ob man denn 'einfach so' die Übersetzung irgendeines Rollenspiels auf seine Webseite einbauen kann - natürlich nicht. Das dies trotzdem möglich war ist eine der besonderen Eigenschaften von FUDGE¸ die wesentlich zu seiner hohen Verbreitung und Beliebtheit beigetragen haben. Jedermann darf die FUDGE-Grundregeln zu Teilen oder als Ganzes als Basis für eigene Produkte verwenden¸ solange diese für jedermann kostenlos erhältlich sind¸ bzw. damit kein Profit erwirtschaftet wird.
Da FUDGE ein sehr flexibles Rollenspielsystem ist¸ oder viel mehr ein System zur Erschaffung von Rollenspielsystemen¸ ist diese Rechtefreigabe ideal für alle¸ die an einer Spielwelt arbeiten wollen¸ ohne sich um das System allzu große Gedanken machen zu müssen. Und selbst wenn man eines Tages doch vom Erfolg des eigenen Werkes überrascht ist und FUDGE trotz kommerziellen Gedanken treu bleiben will¸ kann man eine entsprechende Lizenz beim Schöpfer Steffan O'Sullivan¸ bzw. Grey Ghost Press erwerben.
Soweit so gut. Ein wichtiger Punkt bei FUDGE ist¸ daß man inzwischen eine große Zahl an kostenlosen Erweiterungen und sogar kompletten Rollenspielen im Internet findet¸ zumindest wenn man der englischen Sprache mächtig ist.
Da sich viele Rollenspieler aber nur ungern einen Aktenordner voller Ausdrucken ins Regal stellen oder mit zur Spielrunde nehmen¸ lohnt sich ein Blick auf den vorliegenden Band. Neben den allerorts erhältlichen Fudge-Grundregeln¸ findet man als Ergänzungen die geschützten Erweiterungen "Five Point Fudge" und "Fantasy Fudge".
Davon abgesehen wurden die Texte natürlich noch einmal überarbeitet¸ ordentlich gelayoutet und mit allerlei sehenswerten Illustrationen versehen.
Das System
Fudge ist ein universelles System¸ d.h. es läßt sich an jede denkbare Spielwelt anpassen und prinzipiell ist die Erschaffung jedes denkbaren Charakters möglich.
Zwar legt Fudge seit seiner Erschaffung großen Wert darauf keinem Anpassungswunsch im Wege zu stehen¸ aber ein paar Grundzüge haben sich im Laufe der Zeit als besonders sinnvoll erwiesen¸ womit eine gewisse Kompatibilität der Fudge-Erzeugnisse untereinander geschaffen wurde. Zumindest gilt das für alle von Grey Ghost Press erhältlichen Produkte¸ aber auch für die meisten online erhältlichen Sachen.
Können & Zufall
Fudge ordnet jedem Charakterzug (Attribut¸ Fertigkeit¸ etc.) der es erfordert¸ einen Werte-Begriff zu¸ anstatt wie in den meisten Systemen eine Zahl zu verwenden. Es steigert die Atmosphäre erheblich¸ wenn jemand im Spiel berichtet¸ er sei ein 'guter' Schwertkämpfer¸ anstatt von Stufe 10 oder Schwert+8 zu reden. Die übliche Skala reicht von 'Terrible' (Grauenhaft) bis Superb.
Bei Aktionen kann das Zufallselement auf verschiedene Weise eingebracht werden. Die typische Fudge-Art dies zu tun¸ sind die speziellen sechsseitigen Würfel¸ auf denen sich je zwei Plus¸ Minus und Leerfelder befinden (siehe Box¸ kann man sich auch selbst basteln). Für einen Wurf braucht man vier dieser Würfel (bzw. man würfelt viermal einen) und erhält ein Ergebnis zwischen -4 und +4¸ indem man '+' und 'Minus' gegeneinander aufrechnet. Zusammen mit dem vorhandenen Wert des Charakterzugs ergibt sich ein Endresultat¸ daß besser oberhalb der Schwierigkeit oder dem Ergebnis des Gegners liegen sollte.
Wer dabei als Endresultat oberhalb von Superb landet¸ kann sogar unmögliche Dinge tun. Wenn man will¸ kann man auch 4 Plus oder 4 Minus als ebenso kritische Ergebnisse betrachten.
Kampf
Bei Kämpfen wird ebendieses recht einfache Vorgehen praktiziert. Der dabei erzeugte Schaden ergibt sich aus der Differenz zwischen Angriff und Verteidigung und den Faktoren für Angriff und Verteidigung. Je höher dieser Wert¸ desto größer die Wunde. Jeder Charakter hält ein bestimmte Menge¸ jedes Wundentyps aus¸ bevor er zu Boden geht.
Pro Kampfrunde wird damit also nur ein Wurf benötigt¸ was recht cineastische Handlungsabläufe ermöglicht¸ ohne daß das Regelsystem allzusehr behindert.
Wer möchte kann auch Trefferzonen verwenden¸ dies wird über eine Mindest-Differenz gehandhabt¸ um die der Angreifer den Verteidiger überlegen sein muß. Schafft er das nicht¸ kann der Verteidiger entscheiden wohin der Treffer ging.
Insgesamt gibt es natürlich zahlreiche weitere Facetten zum Thema Kampf¸ zumal Fudge ja auch die Zukunft abdeckt¸ wo Kampf quasi nur noch per Fernkampf abläuft.
Charaktererschaffung
Jeder Charakter besteht aus Charakterzügen und natürlich reichlich Hintergrundgeschichte. Charakterzug ist so ziemlich alles was einen Wert hat¸ Attribute¸ Fertigkeiten¸ Gaben (original "Gifts"¸ meist übernatürliche Kräfte¸ Cybereware¸ Magie¸ etc.) usw. Eine Besonderheit sind Masse (Scale) und die Fudge-Punkte.
Scale kann man mit Masse oder Größenverhältnis übersetzen und ist ein Mittel zum Vergleich von absolut unterschiedlich gebauten Wesen¸ wenn es um körperliche Attribute¸ bzw. deren Vergleich geht. Die Gute Stärke eines Wals ist damit auch regeltechnisch größer als die Gute Stärke eines Menschen¸ weil der Scale-Wert des Wals größer ist.
Fudge-Punkte gehören schon ziemlich in die Ecke der optionalen Fudge-Regeln und sind in manchen Rollenspielen auch als Göttliche Gnade¸ etc. bekannt und bewirken eine maßgebliche Beeinflussung des Spielverlaufs¸ bzw. der Spielleiterentscheidung.
Die Festlegung erfolgt entweder frei (in Abstimmung mit dem SL) oder nach einem Punktesystem bei dem man von einem Durchschnittswert ausgehend Stufen anhebt oder neue Charakterzüge erwirbt. Die Charakterzüge¸ z.B. Fertigkeiten variieren je nach Genauigkeit der Anwendbarkeit im Preis¸ d.h. starke Spezialisierungen wie z.B. Pferdereiten ist günstiger zu haben als eine allgemeine Fertigkeit Reiten. Genauso sind übernatürliche Fertigkeiten teurer zu erwerben¸ um dem Nutzen gerecht zu werden. Es gibt dafür ein Tauschsystem¸ nach dem man sich frei entscheiden kann¸ ob man z.B. eine übernatürliche Gabe oder doch bessere Fertigkeiten haben möchte.
Erfahrung
Auch bei der Umsetzung von Erfahrung eines Charakters gibt Fudge verschiedene Konzepte vor. Ein recht freies¸ bei dem Spieler und SL entscheiden was gesteigert werden könnte und ein Erfahrungspunktesystem.
Durch eine große Menge Beispielcharaktere bekommt man einen guten Eindruck was man mit Fudge alles Realisieren kann (sogar der Hase¸ der auf dem Titelblatt angepriesen wird¸ ist beschrieben!). Auch eine Reihe typischer NSC und Kreaturen wurde mit den notwendigen Werten angegeben¸ damit ein SL sich nicht alles aus den Fingern ziehen braucht.
Obige Beschreibungen machen eigentlich das Grundsystem aus - und das ist alles ziemlich leicht zu durchschauen. Wer in 'seinem' Rollenspiel gerne ausgefallene Fertigkeiten einsetzen möchte findet im Anhang ein komplettes Magiersystem¸ ein Wundersystem (Priester¸ etc.)¸ ein Psi-System und eine Reihe alternativer Regeln¸ z.B. auch zum Thema Würfelloses Rollenspiel.
Five-Point-Fudge & Fantasy-Fudge
Um mal zu zeigen¸ wie nun ein abgestimmtes Fudge-System aussehen kann¸ wurde das Haussystem von Ann Dupuis beigelegt¸ das auf Fudge basiert. (Anmerkung: A.D. ist der Kopf von Grey Ghost Press)
Das System dient als Basis für das ebenfalls beiliegende Fantasy-Fudge.
Das besondere an diesem System ist die Einführung von Charakterpunkten anstelle der Stufen mit denen bei Fudge normalerweise gesteigert wird.
Fantasy-Fudge besteht im wesentlichen aus einer reichhaltigen Liste an Charakterzügen und deren Relationen und Erklärungen dazu¸ aber natürlich auch einer Festlegung wie bestimmte Mechanismen gehandhabt werden (wozu im Fudge-Grundregelwerk ja meist Alternativen oder bestenfalls Empfehlungen gegeben werden). Interessant ist auch die Vorgabe¸ daß jeder Charakter zwei Schwächen ("Faults") nehmen mu߸ was die Charaktere wirklich interessanter macht.
Kein Fantasy-System ohne Magie und so stellt die Autorin auch ihre Version vor¸ die sich in Anfänger-¸ Hecken- Gelehrtenmagie und klerikale Magie unterscheidet. Neben Beispielcharakteren und -kreaturen¸ gibt es auch ein kleines Abenteuer¸ bei dem die frischen Charaktere jemanden aus einer Mine retten müssen.
Technisches
Die Bindung und die Druckqualität sind ordentlich¸ keine Frage¸ allerdings erweckt das monochrome Papp-Cover (Recyclingpapier) eher den Eindruck einer technischen Anleitung oder eines besseren Hochschulprodukts. Mit färbenden oder fettenden Lebensmitteln¸ sollte man daher auch Vorsichtig sein¸ wenn man dem Band nicht einen "persönliches Touch" verleihen will.
Die Texte sind sehr flüssig zu lesen und ziemlich sauber überarbeitet. Die Illustrationen stammen von vielen verschiedenen Künstlern was für Abwechslung sorgt¸ sich aber noch nicht negativ bemerkbar macht. Die Qualität der Illustrationen ist gut und sie passen zum Text.
Fazit:
Der Band empfiehlt sich für alle¸ die bereits vom Fudge-Virus befallen sind. Dank des derzeit bescheidenen $-Kurses¸ wird man wohl 45.-DM oder sogar 50.-DM anlegen müssen¸ was angesichts des Covers schon recht viel ist. Da ist es gut¸ daß man sich schon vorher mal eine der freien Versionen im Internet anschauen kann.
Ich kann Fudge jedem anraten¸ der bislang glaubte SEIN Rollenspielsystem müsse erst noch erfunden werden... oder bislang nur Zeit für seinen Rollenspielhintergrund hatte. Mit Fudge macht man sich auch als Neuling mal eben sein eigenes System.
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de