Elyrion - Erbe der Titanen (1.5e)
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Das universelle Rollenspiel-Fanzine Greifenklaue wurde bereits 1997 von Mitgliedern der Pfadfindergruppe Mantikore als gedrucktes A4-Heft ins Leben gerufen und eroberte ab 2005 auch das Internet. Neben dem gedruckten Fanzine betrieb Ingo aka "Greifenklaue" vor allem einen Blog, einen Podcast und ein eigenes Forum. Zur großen Bestürzung der Rollenspiel-Szene verstarb Ingo Schulze am Freitag den 26.11.2021. |
Mit Elyrion liefert der Prometheus Verlag sein Erstlingswerk ab, ein Steamfantasy-Rollenspiel. Die Veröffentlichung folgte auf der Essener Messe Spiel 2007, schon ein halbes Jahr später war aufgrund von Ausverkauf eine Neuauflage nötig. Man entschied sich dabei zu leichten Änderungen und einen etwas geringeren Preis. Die Version 1.5, die wir hier betrachten, ist seit der RPC 2008 verfügbar, kostet 30 Euro, umfasst 316 Seiten im Hardcover mir edlem Lesebändchen und hat eine farbige A2-Karte des Kontinents als Beilage.
Kommen wir zuerst zum System, in dem man Kobolde, Orks oder Zwerge genauso spielen kann wie Illuriel (eine uralte albische Seele, die in einen Körper gefahren ist), Gro'Myr (Lavamenschen) oder Kogasha (Wolfsmenschen). Die acht Attribute (z.B. Intuition, Entschlossenheit, Vitalität) können frei gekauft werden, anschließend gibt es noch Volksmodifikatoren (in der Summe immer +3). Auch die Fertigkeiten, es gibt rund 90 unterteilt nach den Attributen, werden über Punkte gekauft. Für eine Probe wird von der Summe aus Attribut (bis 10) und Fertigkeiten (bis 15, zu Beginn 10) ein W20 abgezogen, ist das Ergebnis positiv, handelt es sich um einen Erfolg. Je größer der Restwert, desto besser die Erfolgsqualität (ab 5 z.B. ein guter Erfolg). Dieser Grundmechanismus wird beibehalten, eine Attributsprobe besteht dann z.B. aus dem verdoppelten Attributswert oder eine kombinierte Fertigkeitsprobe aus beiden Fertigkeitswerten. Ähnlich wie bei DnD gibt es eine "Regel der 10". Somit kann in unkritischen, wiederholbaren Situationen ein Spieler den Wert "10" nehmen anstatt zu würfeln. Auch Kämpfe funktionieren dann als vergleichende Proben, übrig gebliebene Erfolgspunkte sind dann direkt Schadenspunkte. Dazu kommt ein ganzer Batzen an Manövern und taktischen Kniffen, so dass es im Kampf eigentlich genug spannende Optionen gibt, die auch regeltechnisch erfasst sind.
Zusätzliche Individualisierungen erfolgen dann über Gaben und Schwächen sowie über Talente. Gaben und Schwächen sind klassische Vor- und Nachteile, wobei man sich zwei Gaben frei aussuchen darf und jede weitere dann über eine Schwäche gekauft wird. Talente hingegen sind außergewöhnliche Fähigkeiten, die nur den Helden sowie ihren ärgsten Widersachern zustehen. Während es keine Klassen im eigentlichen Sinne gibt, sind die Talente nach typischen Spezialisierungen unterteilt: Meister der Wildnis, Meister der Schatten oder Meister der Schlacht. Aber solange man die Vorraussetzungen erfüllt, kann man hier beliebig kombinieren.
Kommen wir zur Magie, bei der es gleich einige Arten gibt. Spruchmagie ist das Sprechen gelernter Zauberformeln, welche im Vergleich geringen Essenzschaden verursacht, Spontanmagie dem gegenüber ist flexibel und setzt sich aus der Domäne (sozusagen dem Ziel, z.B. Erde, Körper, Feuer) und der Weisung (die Art des Wirkens, z.B. Analysiere, Erschaffe, Zerstöre) zusammen. Auch Wirkungsdauer und Reichweite müssen bestimmt werden und dementsprechend groß kann dann auch der Essenzschaden beim Zaubernden werden. Beide Arten werden von Zirkelmagiern beherrscht, Animisten hingegen können nur Spruchmagie wirken und verfügen zusätzlich über die Möglichkeit Geister in ihren Körper fahren zu lassen und dadurch besondere Kräfte zu erhalten. In Ritualmagie, welche sich über Wochen hinziehen kann, können schlussendlich noch mächtigere Effekte hervorgerufen werden. Zu guter letzt gibt es noch den Mentalismus (quasi Psi-Kräfte) sowie klerikale Magie. Außerdem haben Priester als einzige die Möglichkeit, die so genannte Zwischenwelt zu bereisen.
Erfahrungspunkte heißen hier Ruhmpunkte und um das Machtniveau messen zu können, gibt es auch Stufen: Jedes Mal wenn man für 10 Ruhmpunkte "eingekauft" hat, steigt man eine Stufe. Zwei bis vier Ruhmpunkte sollen pro Abend vergeben werden, 10 Punkte reichen zur Attributssteigerung, fünf für Talente und einer für Fertigkeiten im unteren Stufenbereich.
Positiv fällt auf, dass die Regeln von Beispielen unterstützt werden und eigentlich keine Verständnisschwierigkeiten aufkommen. Auch gibt es gleich zwei Systeme für soziale Interaktion, der im komplexen System regeltechnisch ähnlich einem physischen Kampf abläuft. Des Weiteren wird der Charakterbogen erklärt. Auch an acht Einstiegscharaktere zum sofort losspielen hat man gedacht. Negativ fällt auf, dass teilweise übertrieben viele Probenarten aufgezählt werden, obwohl der Grundmechanismus ja identisch ist.
Die Welt Audakia selbst ist relativ kurz beschrieben. Man erhält einen sehr allgemeinen vierseitigen Abriss im zweiten Kapitel, einen recht ausführlichen Überblick über die Historie mit ihren sieben Zeitaltern und schlussendlich noch Beschreibungen der Reiche des Nordens. Die etwa einseitige Zusammenfassung eines Reiches ist dabei durchaus gelungen. Sie beschreibt kurz die markanten Züge des jeweiligen Landstrichs, führt typische Namen der Region auf und hat einen kurzen einstimmenden Ingame-Text sowie einige Anmerkungen zur "Darstellung im Spiel". So schafft man es auf wenigen Seiten, einen deutlichen Eindruck der Region zu vermitteln und gibt gleichzeitig dem SL viele Freiheiten, die Lücken aufzufüllen. Bemerkenswert ist allerdings, dass man nur so etwa ein Viertel der Karte beschrieben hat, die restlichen Länder müssen mit etwa zehn-, zwanzigzeiligen Kurzerwähnungen auskommen.
Was insgesamt auffällt ist, dass für ein Steamfantasy-Rollenspiel der Steam-Aspekt sehr kurz kommt. Im Text ist er nur selten wieder zu finden und die Bilder überraschen dann manchmal, wenn ein Zwerg mit Cybergliedern, ein Sonnenritter mit Schusswaffenholster oder ein Kampf mit einem mechanischen Apparat gezeigt wird. Eventuell mag das darin liegen, dass die Regeln mehr Platz einnehmen als der Hintergrund, welcher von daher oft recht kurz gehalten ist. Aber im Prinzip wäre es wünschenswert, wenn die Texte mindestens das an Steam vermitteln würden, was die Illustrationen durchaus hergeben.
Auch an den Alltag des Helden ist gedacht worden: Schaden und Heilung, Artfakte und Gifte, Waren und Dienste bilden jeweils eigene Unterkapitel. Um tatsächlich loslegen zu können, gibt es auch ein Bestarium. Zu guter letzt wird noch die Mark Asgothar detailliert beschrieben, in der auch das Kurzabenteuer "Im Schatten dunkler Tage" spielt. Dort begeben sich die Helden auf die Suche nach der Tochter des Lederhändlers, der die Aussicht auf eine Heirat mit dem viel älteren Schreinermeister nicht gefiel und stattdessen ihr Glück in der großen weiten Welt suchte. Als Kennenlern-Abenteuer durchaus erfolgreich, zumal es hier gelingt, einige Steamelemente zu integrieren.
Kommen wir zu den Äußerlichkeiten. Von Außen macht das dunkel gehaltene Hardcover einiges her, im Inneren ist es komplett graustufig. Die Bilder haben für ein Erstlingswerk fast durchgehend ein hohes Niveau und vermögen zu dem, die Steamatmosphäre besser einzufangen. Vorne und hinten ist eine A3-Farbkarte von Audakia enthalten, die zudem als A2-Karte beiliegt. Der Heldenbogen ist nur im Buch enthalten und kann kopiert oder gedownloadet werden. Der Preis ist auf 30 Euro gesunken und geht voll in Ordnung.
Fazit: Man erhält ein komplettes, recht freies, klassenloses Regelwerk, welches im Zweifelsfall auch so geschrieben ist, dass Einsteiger etwas damit anfangen können. Auch Beispielcharaktere und ein Einführungsabenteuer wurden nicht vergessen. Die Hintergrundwelt ist zwar inspirierend niedergeschrieben, aber kommt zum einen doch etwas kurz, zum anderen hätte ich deutlich mehr Steam erwartet. Aber ohne Frage, als Erstlingswerk eine sehr gelungene Arbeit und man darf gespannt sein, wie sich sowohl Elyrion als auch der Prometheus-Verlag weiter entwickelt.
Es folgen noch ein paar interessante Links zur Ergänzung. Interessierten sei insbesondere das Preview-Regelwerk empfohlen, um sich selbst einen Einblick zu verschaffen.
Eine Rezension von: Ingo 'Greifenklaue' Schulze https://greifenklaue.wordpress.com/