Tales of the Old Margreve (5e)
Umfang
Anthologie (9 Abenteuer à 6-10 Stunden Spielzeit)
Warum habe ich das AB gelesen?
Weil ich bereits die Abenteuer zum benachbarten Zobeck gelesen habe. Weil ich ein altes Faible für Zauberwälder habe. Und ja, auch weil ich wissen wollte, was an dem Rassismus-Geschrei dran ist.
Plot
Der Alte Margreve ist ein uralter Zauberwald - er war schon alt, als es die Götter der Menschen noch gar nicht gab, er hat ein Bewusstsein, und er spielt ein eigenes Spiel nach eigenen Regeln. Die Abenteuer sind eine lose Sammlung von Geschichten in diesem Zauberwald.
Eindruck
Die Kurzfassung vorweg: die Abenteuersammlung hat mir sehr gut gefallen. Das beginnt schon mit der 50-seitigen Beschreibung des Waldes selbst, die ich für ausgesprochen gelungen halte. Der Margreve ist eben nicht einfach nur "yet another magical forest", der Wald bekommt durch die Texte und Regeln im Einleitungsteil wirklich Charakter. Und ja, wenn die SC damit leben müssen, dass ihre Waffen im Nullkommanichts verrosten, dass der Wald bei jedem Zauber einen Teil ihrer magischen Energie abzweigt oder dass er ihre halbe Familiengeschichte kennt, sobald der erste Blutstropfen auf den Waldboden gefallen ist, dann ist das auch weit mehr als nur ein erzählerisches Element - dann geht es ums nackte Überleben.
Die Abenteuer sind allerdings nicht untrennbar mit dem Margreve verbunden, sondern können meist auch in anderen Zauberwäldern gespielt werden. Nach der großartigen Beschreibung des Waldes selbst ist das ein bisschen enttäuschend, aber es macht das Material hier natürlich vielseitiger verwendbar. Am Ende ist es also wahrscheinlich eine gute Sache. Alle Abenteuer gehen stark ins märchenhafte, wobei damit aber fast nie die kitschigen "alles wird gut"-Märchen à la Disney gemeint sind, sondern meist eine düstere Atmosphäre wie in den echten (vor allem deutschen und russischen) Volksmärchen erzeugt wird. Die Abenteuer der Reihe nach:
- Hollow: Eine Art Wicker Man macht Jagd auf Köpfe, um einen magischen Baum wieder zum Leben zu erwecken. Im Wesentlichen geht es hier darum, durch geschicktes Vorgehen (und vermutlich eine epische Schlacht am Ende) ein Walddorf zu retten. Ich bin ja eigentlich ein Fan von Richard Pett, aber dieses Abenteuer hat mich nicht so vom Sitz gerissen.
- The Honey Queen: Die SC werden angeworben, um den Riesenbienen ihren magischen Honig zu stehlen. Das Abenteuer spielt stark mit Märchenelementen und ist vermutlich sogar mit leichten Änderungen für Kinder geeignet. Nur im finalen Bienenstock gehen dem Autor ein wenig die Ideen aus - der dritte geschmolzene Wachsboden und die vierte Riesenbiene als Wächter sind dann eben irgendwann nicht mehr so aufregend.
- The Vengeful Heart: Ein eher fieses Abenteuer, bei dem es die SC mit einem Blutmagier zu tun bekommen. Da er ein ganzes Dorf quasi per Fingerschnippen töten kann, müssen die Helden tun, was er verlangt, und darauf hoffen, dass sie ihn am Ende doch irgendwie drankriegen. Dieses Abenteuer ist eher was für Leute, die Entscheidungen zwischen Pest und Cholera mögen und eher nichts für solche (wie mich), die am Ende gerne ein Happy End sehen.
- Challenge of the Fang: Diese radikale Neuinterpretation des klassischen Rotkäppchen-Stoffs hat mir sehr gut gefallen. Das Mädchen mit dem roten Mantel ist hier ein rituelles Opfer - ein Kind, das allein in den Wald geschickt wird. Entweder schaffen es die Vertreter der Zivilisation (= die Helden), sie zu retten, oder sie wird von den Vertretern der Wildnis (= den Wölfen) gefressen. Je nachdem, wer gewinnt, wird in den nächsten Jahren eher die ruhige oder eher die wilde Seite des Waldes dominieren. Auf geht's, es ist keine Zeit mehr zu verlieren...
- The Griffon Hatchling Heist: Das Abenteuer passt nicht so wirklich zur Stimmung des restlichen Buches. Es ist tatsächlich ein "Heist", ein Einbruch in einen Turm, der von einer Übermacht von Hobgoblins und Ogern bewacht wird. Solide, mit 1-2 netten Ideen, aber nichts, was einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen hätte.
- Gall of the Spider Crone: Die SC müssen in einer wahren Höllennacht den Wald durchqueren, um eine alte Hexe zu retten - nicht, weil jemand die Hexe mögen würde, sondern weil bei ihrem Tod auch sehr viele Unbeteiligte sterben müssten. Wer eine Mischung aus düsterem Märchen und Action mag, wird dieses Abenteuer und seine stimmungsvollen und einfallsreichen Herausforderungen vermutlich lieben.
- Blood and Thorns: Stellt euch einfach vor, es gibt Wesen, die sich "Children of the Briar" nennen und in wild wuchernden Brombeerhecken hausen. Und nun stellt euch vor, dass es unter ihnen einen Dornenkönig gibt, der die Weltherrschaft für die Pflanzen anstrebt. Klingt krass? Ist es auch. In diesem Abenteuer geht es darum, das Versteck der Brombeermonster zu finden und auszuräuchern - und Hexen, Feen und Vampiren begegnet man dabei auch noch.
- Grandmother's Fire: Erneut ein tragisches Märchen, in dem Baba Yaga, ein verdeckter Werwolf, seine ertrunkene Geliebte und ein boshafter Wassergeist die Hauptrollen spielen. Für meinen Geschmack ein etwas zu sehr "over the top" und etwas zu wenig Handlungsfreiheit, aber definitiv stimmungsvoll und soooo traurig...
- The Vengeful Dragon: Eine junge Diebin hat ein paar Juwelen aus dem Hort eines Drachens gestohlen, und nun legt dieser mit seiner Brut alles in Schutt und Asche, bis das Mädchen ausgeliefert wurde. Um aus der Nummer wieder rauszukommen, reicht es nicht, den Drachen zu töten - man muss es auf eine ganz bestimmte Art und Weise tun, damit sich nicht anschließend alle anderen Drachen des Waldes auf die Jagd machen...
Der einzige Haken ist, dass der Band in großem Stil auf das "Tome of Beasts" zurückgreift, so dass er für D&D-Spieler, die die enthaltenen Abenteuer "by the book" leiten wollen, ohne diese Monstersammlung fast nutzlos ist. Ansonsten aber bekommt man einen stimmungsvollen und abwechslungsreichen Quellen- und Abenteuerband in schicker Aufmachung - Bilder, Layout, Hardcover-Verarbeitung lassen keine Wünsche offen. Ein Jammer, dass dieser großartige Abenteuerband in Deutschland wieder vom Markt genommen wurde.
Was natürlich noch die Frage aufwirft, ob das wirklich erforderlich war. Was ist denn nun mit dem Z-Wort? Nun, ich habe hier die englische Variante, und ich gehöre sicherlich nicht zur übermäßig PC-sensiblen Fraktion, aber ich konnte da keine echten Probleme erkennen. Die Kariv (das sind die Fahrenden im Midgard-Setting) spielen überhaupt nur ganz am Rande eine Rolle (ich konnte nur drei Stellen finden, an denen sie erwähnt werden). Den Shitstorm ausgelöst hat vermutlich (abgesehen von der Verwendung des Z-Worts per se) vor allem das Abenteuer "Gall of the Spider Crone", wo die handelnden Kariv als rücksichtslos und habgierig beschrieben werden und nicht deutlich genug wird, dass es sich um eine Eigenschaft der hier anwesenden Individuen und nicht der Fahrenden insgesamt handelt. Schade, wirklich schade. Das hätte man mit einem aufmerksameren Lektor problemlos entschärfen können...
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Eine Rezension von: Blizzard https://www.tanelorn.net/index.php/topic,106891.0.html