Jahr des Greifen 1
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Das universelle Rollenspiel-Fanzine Greifenklaue wurde bereits 1997 von Mitgliedern der Pfadfindergruppe Mantikore als gedrucktes A4-Heft ins Leben gerufen und eroberte ab 2005 auch das Internet. Neben dem gedruckten Fanzine betrieb Ingo aka "Greifenklaue" vor allem einen Blog, einen Podcast und ein eigenes Forum. Zur großen Bestürzung der Rollenspiel-Szene verstarb Ingo Schulze am Freitag den 26.11.2021. |
Die "Jahr des Greifen"-Trilogie war eines der ersten Schwarze Auge-Romane und wurde 1993 von einem nicht unbekannten Duo geschrieben. Mit Wolfgang Hohlbein konnte man die auch heute noch bekannteste Größe der deutschen Phantatik-Szene dazu gewinnen, etwas zum bekanntesten deutschen Rollenspiel zu schreiben. Und als DSA-Experten bekam er mit Bernhard Hennen einen renommierten Abenteuerautoren zur Seite, von dem die Abenteuermodule "Rückkehr zum Schwarzen Keiler" und das Phileasson-Quartett stammen. Nach seinem ersten Roman "Der Sturm" verfasste er auch einige der besten DSA-Romane sowie zahlreiche unabhängige Romane, so dass man dieses Werk durchaus als Grundstein seiner Roman-Karriere ansehen kann. Außerdem arbeitete er die Buchtrilogie in ein über zwei Hefte verteiltes Abenteuer um, wobei er dies erstaunlich modular ließ.
Nun hat der Horchposten Verlag diesen DSA-Romanklassiker aufgegriffen und zu einem Hörbuch ‐ leicht gekürzt ‐ umgearbeitet. Der Umfang beträgt sechs CDs bei einer Gesamtdauer von 466 Minuten und ist der erste Teil der geplanten Hörbuch-Trilogie.
Darin geht es um die Belagerung der Stadt Greifenfurt durch die Orks im Jahr 19/20 nach Hal. Zu Anfang ist diese den Orks gar in die Hand gefallen, aber mit einem Handstreich schafft es der "verdeckte" Inquisitor Marcian, die Stadt zu befreien und als Feste gegen die Orks zu sichern. Dazu bedient er sich unwissentlich der Hilfe des Erzvampirs Zerwas, den die Orks versehentlich unter dem Praiostempel befreiten, wo sie selbst auf der Suche nach einer orkischen Waffe waren. Marcian zur Seite steht die Amazone Lysandra, eigentlich eine Freischärlerin, die in den Wäldern schon mehr als ein Jahr Widerstand geleistet hat, die er aber nur mit Tricks in der Stadt halten kann. Beispielsweise mischt er ihr einmal Gift unters Essen, damit sie wochenlang der Durchfall plagt und sie nicht abreisen kann. Lysandra liefert sich gerne Wortgefechte mit dem jungen Oberst Blautann, der als Kundschafter von Prinz Brin fungierte, aber nach einem Hinterhalt mit letzter Kraft in die Stadt floh. Zwar gelingt es Marcian, Greifenfurt mehr oder minder zu halten, jedoch muss er bald von der den Orks entflohenden Baronin Ira von Seewiesen, die zur Leibgarde des Prinzen gehört, erfahren, dass dieser gefallen ist. Mit dem Mut der Verzweiflung und da er eine Falle der Orks wittert, informiert er die Bürger über den möglichen Tod des Prinzen. Und richtig, schon bald erscheinen der Orkanführer Sharraz sowie sein menschlicher Berater Gamba unter Parlamentärsflagge, um die Neuigkeit den Bürgern unter die Nase zu reiben und ihren Willen endgültig zu brechen...
Dem Buch merkt man an, dass es Wolfgang Hohlbein einfach beherrscht spannungs- und wendungsreiche Plots zu schreiben. Manchmal sagt man ihm nach, dass diese nicht Hand und Fuß hätten, aber Bernhard Hennen verleiht ihm zielsicher eine aventurische Identität. Interessant sind die verschiedenen Konflikte zwischen Charakteren, die sich im Laufe der Besatzung weiterentwickeln und den Charakteren Tiefe verleihen, die um ähnliche Ziele ringen und auf völlig unterschiedliche Arten am gemeinsamen Strang ziehen. Ob es nun Marcian ist, der als Henker getarnte Streiter des Lichts ‐ mit durchaus unorthodoxen Methoden gegen den bösen Erzvampir, oder die erfahrende Lysandra gegen den Grünling Blautann. Dazu kommen die junge Dirne Cindira, die mit dem Inquisitor ein Verhätnis führt, sowie ihr ehemaliger Chef und Illusionsmagier Lancorian ‐ der Roman lebt von und mit seinen Charakteren, ihren kleinen und großen Erlebnissen und vor allen Dingen Konflikten und Beziehungen untereinander. Nebenbei erzählt er natürlich die Geschichte einer wichtigen Belagerung, die nicht nur mit ständigen Angriffen und Ausfällen geführt wird, sondern mit vielen Tricks und Kniffen, um sich gegenseitig zu schwächen.
Die Umsetzung als Hörbuch gelingt hier gut. Die Kürzungen merkt man dem Werk kaum an und der Käufer der CD kann für 10 Euro Aufpreis die ungekürzte Hörbuchfassung mit 680 Minuten downloaden. Der Komplettdownload der ungekürzten Version kostet übrigens 44,90 Euro gegenüber 39,90 Euro in der gekürzten CD-Version. Bedenkt man, dass man bei letzterer etwas in den Händen hält, was sich weiterverkaufen oder -schenken läßt, gehen die Preisrelationen so in Ordnung. Mit knapp 40 Euro für sechs CDs ist man am oberen Limit, was Hörbuchpreise betrifft. Andererseits kommt das Werk aus einem Kleinverlag mit kleiner Auflage und zeigt gute Produktionsqualität sowie ein ansprechendes Äußeres.
Sprecher Axel Ludwig hat bisher alle DSA-Hörbücher eingesprochen und macht auch hier einen ordentlichen Job. Nur an wenigen Stellen ist seine Stimme zu monoton oder emotionslos. Eine kritische Stelle ist beispielsweise die Passage, in der in einer Gottesentscheidung ein Pfeil in die Luft geschossen wird und einem Menschen den Schädel spaltet. Statt dies mit einem Knall oder einer lauter werdenden Stimme darzustellen, verschläft man das Ereignis fast. Aber im allgemeinen macht er einen guten Job, auch wenn diesmal Paraderollen wie die der Trolle aus "Das Greifenopfer" fehlen. Unterstützt wird er von Sabine Brandauer, die die weiblichen Parts übernimmt, was sie schon in "Das Greifenopfer" gemacht hat und ihr ähnlich gut gelingt. Dadurch ist innerhalb des Hörspiels Abwechslung garantiert, was auch mit einigen musischen Trennelementen unterstrichen wird. Allerdings sind diese deutlich lauter geworden als die Sprechpassagen, so dass ein Einschlummern bei der CD fast unmöglich ist...
Fazit: Erneut ist eine gute Hörbuchumsetzung einer spannenden DSA-Geschichte gelungen, die längst zu den Klassikern zählt. Der Preis geht für ein Qualitätsprodukt zwar in Ordnung, läßt den DSA-Fan aber vermutlich überlegen, ob ihm die wesentlich günstigeren Bücher nicht doch reichen.
Eine Rezension von: Ingo 'Greifenklaue' Schulze https://greifenklaue.wordpress.com/