Das Land Og Prähistorisches Rollenspiel
Das Land Og
Wer das hochwertige DIN-A5 Hardcover unbedarft zum ersten mal in Händen hält, wird kaum glauben, dass dieses Rollenspiel ursprünglich als ein Haufen getackerte Blätter für ein paar US-Dollar verkauft wurde.
Bereits 1994 veröffentlichte Wingnut Games "Og" im Fanzine Look als kleines günstiges Spiel, dass man dann herausholt, wenn für eine ernsthafte Runde Rollenspiel entweder die Zeit fehlt oder die Nüchternheit. In Übersee sind solche Spiele auch als "Beer&Pretzel Game" bekannt - simple Regeln, schnell zu lernen und mit Spaßgarantie.
Aus einer ursprünglichen handvoll Seiten, wurden in der zweiten englischen Heft-Ausgabe "Land of Og" bereits 64 Seiten und mit der vorliegenden deutschen "Edel"-Ausgabe hat man den Inhalt sogar noch einmal auf 96 Seiten aufgepumpt.
Aber erst einmal zur Idee
Bei "Das Land Og*" verkörpert man Höhlenmenschen, die sich in einer "Fantasy-Frühkultur" mit "Höhlenmenschendingen" rumschlagen dürfen. Den Begriff "Fantasy-Frühkultur" habe ich gewählt, denn obwohl unsere Vorfahren nicht zeitgleich mit Dinosauriern gelebt haben, stellen sie bei "Das Land Og" eine reale Bedrohung dar. Sozusagen die Endboss-Monsterklasse.
(* "Og" leitet sich von "Ug" ab, das - zum Beispiel in Filmen - lautmalerisch als Universalwort für Höhlenmenschen mit wenig Sprachvermögen verwendet wird.)
Als Höhlenmenschen verfügen die Spieler nicht nur über eine sehr begrenzte Auswahl von nutzbaren Alltagsgegenständen und Waffen, sondern zusätzlich über einen sehr bodenständigen Verstand - und einen dazu passenden Wortschatz. Und hier kommt auch schon ein Großteil des Spaßes ins Spiel: die Spieler sind ebenfalls auf den schmalen Wortschatz ihres Höhlenmenschen reduziert. Allgemein stehen 20 Begriffe zur Auswahl und der Gehirn-Wert des Höhlenmenschen bestimmt, wie viele sich der Spieler davon zum Sprechen aussuchen darf. Der Höhlenmensch-Einstein darf sich zu Beginn 11 aussuchen. Die Meisten werden aber wohl eher mit 5 Worten oder weniger starten.
Statt wortreichen Erklärungen, müssen den Spielern am Spieltisch eine handvoll Worte, Grunzern, Mimik und Gestik ausreichen. Allein der Spielleiter darf ein wenig mehr ausholen, soll sich aber so weit wie möglich auf schlichte und nebulöse Beschreibungen beschränken - denn die Wahrnehmung der Höhlenmenschen ist ja kaum weiter entwickelt als die Sprachfähigkeit. Aus einem Baum wird zum Beispiel "Braunes Ding mit oben Grün" und aus einem Bär "Haarig Höhle Stinkig"... Ja, Bier und was zum Knabbern hilft hier eindeutig, in die richtige Stimmung zu kommen.
Es ist ein wesentliches Element des Spiels, dass die Höhlenmenschen vieles zum ersten Mal sehen und nicht wissen, ob es essbar ist - oder etwas ist das einen essen will. Damit bekommt das Erkunden einer Situation einen völlig neuen Reiz und selbst bei einfachsten Dingen, dürfen sich die Spieler abmühen, ein gemeinsames Vorgehen abzusprechen.
System
Die 6 Attribute Stärke, Gehirn, Geschwindigkeit, Kloppen, Gesundheit und Grunzen werden mit 1W6 ermittelt und passen auf einen Bierdeckel.
Je nach persönlicher Vorliebe darf man ein Attribut zum Primär-Attribut machen und mit 2W6 ermitteln. Das Primär-Attribut steht bei "Land of Og" im Zusammenhang mit einer Art "Klasse" und darf als Anregung verstanden werden, wie sich sein Höhlenmensch etwas aus der Masse abhebt. Beispielsweise sollte der "Schlaue Höhlenmensch" eher mit Köpfchen voran gespielt werden, wogegen der "Kloppende Höhlenmensch" jedes Problem erst mal mit der Keule angeht.
Zu jedem Attribute gibt es abgeleitete Werte. Dabei sind neben praktischen Dingen, wie Modifikatoren für zusätzliche Kampfwürfeln, auch lustige Dinge wie oder Prozentwerte auf "Kapieren", "Vergessen", "Ohnmachtwurf" und mehr.
"Kapieren" wäre zum Beispiel hilfreich, wenn man mit einer unbekannten Situation konfrontiert wird und aus den Beschreibungen des Erzählers nicht schlau wird. Mit "Vergessen" kann hingegen bei bekannten Situationen geprüft werden, ob das Gedächtnis gerade schlapp macht (z.B. Vergessen wie man schwimmt).
Würfe werden entweder als Prozentwurf W% gemacht (man würfelt möglichst niedrig um unter dem Zielwert zu bleiben) oder als Probe mit einer Anzahl W6 entsprechend dem Attribut (inkl. ggf. vorhandener Modifikatoren) gegen den Wert 1 (jede 1 ist ein Erfolg). Drei Sechser hingegen gelten bei Höhlenmenschen als Patzer.
Waffen erhöhen die Angriffswürfel, Rüstung die Verteidigungswürfel. Rüstung hat eigene Gesundheitspunkte und wird bei Treffern beschädigt.
Sollte ein Höhlenmensch überleben und sich weiter entwickeln dürfen, steigen mit den Attributen die Vorzüge wie zum Beispiel
- ein größerer Wortschatz
- mehr Probenwürfel
- höhere Erfolgschance (statt 1 auch 2 (oder 3) als Erfolgswert)
- höherer Prozentwert
Kampf
Die Geschwindigkeit bestimmt die Initative-Reihenfolge, je kleiner je besser. Bei einem Angriff nimmt man so viele W6 wie Stärke, Kloppen und die Waffe zusammen hergeben und würfelt gegen 1 (bzw. je nach Stufe auch 2 oder 3). Jeder Erfolg ist ein Schadenspunkt der zuerst von eventuell vorhandener Rüstung und dann vom Gesundheitskonto des Gegners abgezogen wird.
Sonderfall Defensive: sofern der Gegner in der Defensive ist, werden entsprechend seinem Verteidigungswert Würfel des Angreifers abgezogen.
Ogtional
Ich vermute mal die erste Version von Og atmete den Geist von Bierdunst und vermittelte die spaßige Grundidee mit einfachen Regeln, die auf einen Bierdeckel passten und W6 die man aus dem Kniffel-Set entwendete. Eine leichtgewichtige Angelegenheit für einen "lockeres Zusammensitzen nach der Party / Rollenspielrunde"-Spaß.
Mit "Land of Og" wurde das erfolgreiche Spiel - dem damaligen Trend folgend - erweitert und bekam Aspekte, um daraus ein ernsthafteres Spiel zu machen, das sich ggf. sogar für eine Kampagne eignet. Allerdings wurde durch die steigende Komplexität daraus nicht unbedingt ein besseres Spiel. Manch durchaus gute Anregung für den Spielleiter wurde zu Tabellenballast und Einstiegshürde.
Die Autoren der deutschen Ausgabe haben das erkannt und versucht mit einigen "Ogitonalen Regeln" (sic) wieder etwas Komplexität raus zu nehmen. Ich vermute mal - wenn es sich hierbei nicht um eine Lizenz/Übersetzung gehandelt hätte - wäre so mancher Ballst gleich komplett weggefallen.
Fluff
Die wesentliche Rechtfertigung für die 96 Seiten in diesem Buch sind die lustigen Beschreibungen der Regeln, des Hintergrundes, des anvisierten Spielgefühls und einiger Abenteuerideen. Nicht selten wird der Leser selbst direkt angesprochen und dabei meist auf die Schippe genommen.
Technisches
Der Band zeigt deutlich wie man mit einem (zu?) erfolgreichen Kickstarter über das Ziel hinausschießen kann. Geprägtes Hardcover mit "Holzlook-Lederimitat"-Cover und Lesebändchen. 96 farbige Seiten mit reichlich schicken und meist lustigen Illustrationen, schön in einem durchgehenden Stil.
In einigen Illustrationen wurden die (Mit-) Autoren porträtiert, was natürlich nur ein Bonus ist, wenn man deren Gesichter kennt und weiss, wer gemeint sein soll.
Fazit
Für den unterhaltsamen Kern des Rollenspiels "Das Land Og" hätte meiner Meinung nach auch ein Pixie-Buch (oder PDF) als Format gereicht.
Dieser völlig übertriebene Band wendet sich aber nicht an den Zufallskunden, sondern an den eingefleischten Rollenspieler und Sammler, der etwas Schmuckes in Händen halten will. Ein Band, der an einen real gewordenen Aprilscherz erinnert - so wie es dank Kickstarter und anderer Plattformen zur Vorfinanzierung von Projekten - mittlerweile einige gibt.
Aber genau diese Zielgruppe wird auch gut bedient und bekommt für ihr Geld was sie bestellt hat. Einen unterhaltsamen Band voller Blödsinn, voller spaßiger Spielideen und einem Satz Regeln, die vermutlich auch noch zu später Stunde auf einer Party funktionieren - sofern man sich auf die Basics reduziert, die einst zu Bier und Brezeln passten. Wer jedoch im entscheidenden Moment dieses Buch aus dem Regal kramen muss, um die Regeln oder eine Tabelle raus zu suchen, hat schon verloren.
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de