Cyberpunk RED Grundregelwerk
Hinweis: Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das mir netterweise kostenlos vom Truant-Verlag bereitgestellt wurde. Darum erfolgt hier eine Kennzeichnung als Werbung. Ihr dürft Euch aber natürlich dennoch auf eine kritische Besprechung verlassen.
Cyberpunk
Bereits in den 80er Jahren schuf der Autor William Gibson mit seiner Neuromancer-Trilogie (1984 ff.) die Grundpfeiler des bis heute sehr beliebten Cyberpunk-Genre. Cyberpunk handelt von allmächtigen und skrupellosen Konzernen, einem extremen Technik-Körperkult ("Cyber") und dem Aufbegehren kleiner rebellischer Gruppen ("Punks") gegen das System. Mit dem Cyberpunk Rollenspiel veröffentlichte Mike Pondsmith dann 1988 passend dazu seine Vorstellung einer dunklen Zukunft.
Die bislang erfolgreichste Ausgabe des Rollenspiels ist Cyberpunk 2020, wo die alternative Zeitlinie in den 90ern beginnt und in den namensgebenden 2020ern eine Bühne für die Spieler bietet. Mit Cybergeneration wurde die Geschichte bis in das Jahr 2027 und darüber hinaus entwickelt und als Veränderung hat man es mit einer nanotechnischen Seuche zu tun, die Menschen über 20 Jahren umbringt und viele Kinder mutiert.
Das vorliegende Cyberpunk RED, spinnt diesen Handlungsfaden bis ins Jahr 2045 weiter und stellt somit eine Brücke zum Computerspiel Cyberpunk 2077 her, das Ende letzten Jahres (Dezember 2020) in Kooperation zwischen CD Projekt RED und Mike Pondsmith veröffentlicht wurde.
Da wir in unserer "echten" Welt derzeit das Jahr 2021 schreiben, darf man sich vor allem als Spielleiter erst einmal in diese alternative "historisch gewachsene" Zeitlinie einlesen. Für die Cyberpunk RED Spieler stellt das aber vermutlich kein Problem dar. Der Sprung von mehr als 20 Jahren in die Zukunft (nach 2045) bietet gedanklich reichlich Raum für all die Veränderungen (zu unserer "echten" Welt), in denen sich die Spieler - bzw. deren Charaktere wiederfinden werden.
Cyberpunk RED
Wo fange ich an, wie geht es weiter und wo höre ich auf. Bei einem so umfangreichen und vielseitigen Buch ist das keine leicht zu beantwortende Frage. Vielleicht erzähle ich Euch einfach, wie ich das Buch selbst erlebt habe.
Nachdem die Folie entfernt war, liegt das 450 Seiten schwere Hardcover in ganzer Pracht vor mir. Das Coverbild ist seit langem bekannt und doch verliert man sich leicht im Detailreichtum. Okay, heutzutage ist man diese Qualität der Illustrationen von vielen Rollenspielen gewohnt - aber es kann ja nicht schaden, dass Cyberpunk RED hier ebenfalls eine sehr gute Figur macht.
Das Farbenspiel geht nahtlos im Band weiter, die 4 Innenseiten des Covers (vorne und hinten) zeigen die wunderschöne Neon-Skyline von Night City. Und den Band füllen beim Überfliegen viele detailreiche Farbillustrationen.
Nach den obligatorischen Mitwirkenden, einem Inhaltsverzeichnis und Mike Pondsmith's Vorwort gibt es erst mal eine erste Kurzgeschichte zur Einstimmung. Was hier als "leichte Kost" getarnt daherkommt, ist ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte von Night City, in der John Silverhand und Altiera Cunningham die zentrale Rolle spielen. Sauber in Stimmung versetzt, angefixt und neugierig überflog ich die nächsten 4 Seiten, auf denen kurz und knapp erklärt wird, was ein Cyberpunk überhaupt ist und eine stark verdichtete Zeitlinie präsentiert wird. Hübsch begleitet von Illustrationen und Querverweisen ins Buch. Ganz im Stil von Starship Troopers, wird der Leser unter jedem Themenbild gefragt: "Willst Du mehr über ... wissen? Weiter auf Seite ...".
Und ja, ich wollte mehr über die Vergangenheit wissen. Das führte mich zunächst auf Seite 233, in die zweite Hälfte des Buchs. Die Kapitel "Willkommen in der dunklen Zukunft", "Die rote Ära" und "Willkommen in Night City" behandeln auf knapp 100 Seiten die globale Geschichte von Cyberpunk zwischen 1994 und 2045.
Bis ins Jahr 2045...
Wie von einer "dunklen Zukunft" zu erwarten - die man nur durch Drogen, virtuelle Realitäten und "Schönen Schein" ertragen kann - geht es vor allem um Unterdrückung durch die Mächtigen, Kriege, Verlust der Menschenrechte, Atombomben und Massenbeschleuniger, Zerstörung der Umwelt, Seuchen... und immer, wenn die Menschen wieder anfangen sich ein wenig aufzurappeln, kommt ein neuer Tritt in die Weichteile, der die Geschichte noch tiefer in den Abgrund reißt.
Da Cyberpunk RED wie seine Vorgänger üblicherweise in Night City spielt, konzentriert sich ein Großteil des Hintergrundes auf die Entwicklungen in (Nord-) Amerika. Andere Mächte werden vor allem dann erwähnt, wenn es um ihre direkte oder indirekte Wirkung auf die Stadt geht.
Ich muss gestehen, dass mich die Neugierde getrieben hat, auch noch meine alten Bände von Cyberpunk 2020 und Cybergeneration wieder raus zu kramen.
Ob man die alten Bände braucht? Nein. Die Zusammenfassung reicht völlig aus, um sich auf das Jahr 2045 einzustimmen. Aber wer sich tief in die Geschichte eingraben will, findet in den alten Bänden mehr Details.
Aber nüchtern betrachtet, hätten es im Grundregelwerk beim geschichtlichen Rückblick ein paar Jahre weniger auch getan. Denn wie Mike es in seinem Vorwort bereits schreibt, geht es bei Cyberpunk RED um eine von Ballast befreite neue Episode der Geschichte. Denn die spannenden Geschichten sollen die Spieler ja schließlich in ihren Abenteuern selbst schreiben.
Alles zurück auf Start?
Die "Rote Ära" beschreibt die Zeit zwischen 2023 und 2045. Der 4. Konzernkrieg brachte nicht nur den namensgebenden roten Staub in die globale Atmosphäre, sondern führte auch zu einer besseren Balance zwischen den nun global geschwächten Konzernen und den wieder erstarkenden Lokalregierungen. Letztere sind im Jahr 2045 vor allem mit dem eigenen Wiederaufbau beschäftigt.
Das geeinte Europa schlägt sich trotz herber Verluste auf der Weltbühne ganz gut, das zukünftige Russland ist die Bühne der Oligarchen und der nahe Osten wurde durch radioaktive Intervention auf wenige Parteien reduziert.
Der große Gewinner - wenn man in diesem Szenario überhaupt davon sprechen kann - ist das aufstrebende Afrika, dass durch einen Handstreich die Vorherrschaft im Orbit errungen hat und dank orbitaler Waffen dafür sorgen konnte, dass der große Krieg weitestgehend an ihnen vorbeizog.
Nordamerika ist 2045 größtenteils in kleine Territorien zersplittert, die mit sich selbst oder ihren Nachbarn beschäftigt sind - an globale Kriegszüge oder Supermacht denkt hier im Augenblick kaum jemand. Die derzeit aktive Regierung der "neuen Vereinigten Staaten" ist vorwiegend an der Ostküste aktiv. An der Westküste, rund um Night City, bestimmt die Pacifica-Konföderation die politische Bühne.
Night City
Ein Grund mehr sich als Spieler auf den Hauptschauplatz Night City zu konzentrieren. Ein von Wolkenkratzern und kaltem Neonlicht geprägte fiktive Metropole, die in der Geschichte des Cyberpunk Rollenspiels schon einiges durchmachen musste.
Angesiedelt ist die Night City im heutigen Gebiet "Morro Bay", an der Westküste südlich von San Francisco.
Die Stadt ist 2045 ein Freistaat der lange unter der Kontrolle von Mafia, Konzernen und Banden stand, bevor schließlich im Jahr 2023 eine Atombombe nicht nur einen Konzernkomplex, sondern gleich das Zentrum in eine verstrahlte Ruine verwandelte.
Seit dem anschließenden Rauswurf der Konzern-Streitkräfte durch die Lokalregierung wird daran gearbeitet, die Stadt wieder aufzubauen. Dabei helfen benachbarte, am Pazifik gelegene Territorien mit denen die Stadt seitdem ein Bündnis eingegangen ist. Auch die lokale Szene wird an ihre Schulden erinnert und der ein oder andere Gefallen eingefordert. Ein gelungener Tummelplatz für Auftraggeber aller Fraktionen, die ihre Macht zurückgewinnen oder weiter festigen wollen.
Hier ist positiv anzumerken, dass der Schauplatz Night City mit vielen Details beschrieben wird. Wichtige Gruppen und Personen, Dinge des Alltags, Orte, Karten und mögliche Beschäftigung. Grob überschlagen findet man hier schon einen knapp 100-seitigen Quellenband ins Grundregelwerk integriert.
Und was ist mit dem NET(z)?
Es ist ein uraltes Merkmal von Cyberpunk-Systemen, dass es immer hakelig wird, wenn man Spieler Operationen in der virtuellen Welt durchführen lässt, während parallel der Rest des Teams in der realen Welt rumläuft. Wer sich aus der sicheren Deckung eines Bunkers heraus in beliebige Systeme hacken kann, wird sich wohl kaum freiwillig mit realen Wachleuten und Geschütztürmen anlegen wollen - die Folge: die Gruppe agiert nicht gemeinsam und das Risiko ist ungleich verteilt.
Zudem sind Aktionen in der virtuellen Welt so schnell, dass jede Runde in der realen Welt genug Zeit für eine Vielzahl an virtuellen Aktionen lässt. Während also der virtuell agierende Charakter sein Soloabenteuer im Net erlebt, dürfen die Mitspieler Däumchen drehen.
Cyberpunk RED geht dieses Problem an: das bequeme "Couch-Einklinken ins Net und weltweit aktiv sein" gibt es nicht mehr. Das Net ist tot - lang leben die lokalen Subnets. Wer 2045 in die Reste des globalen Net geht, riskiert das Ausbrennen seines Hirns. Wahnsinnige Killer-KIs greifen alles an, was ihnen über den Weg läuft. Und einmal davon abgesehen, sind die meisten globalen Verbindungen mittlerweile ohnehin außer Betrieb.
Die Alternative sieht so aus: Der Netrunner ist weiterhin auf sein Cyberdeck und darauf befindliche Programme angewiesen - aber statt sich Einzustöpseln, verwendet der Netrunner im Jahr 2045 eine Virtuality-Brille, die die virtuelle Welt über die reale Welt legt (Stichwort: Augmented Reality). Der Netrunner kann so lokale Login-Knoten ausfindig machen und sich "hautnah" in die lokale Infrastruktur einklinken - zum Beispiel um Sicherheitssysteme auszuschalten oder in Datensysteme einzudringen und ICE (Abwehrprogramme) zu bekämpfen. Man kann weiterhin auch ohne Virtuality-Brille im Net unterwegs sein - schaltet dann aber wie gehabt für die Zeit im VR seine körperlichen Sinne aus.
Auch bei den virtuellen Streifzügen hat Cyberpunk RED die beiden Welten etwas harmonisiert, so dass ehemals langatmige Alleingänge des Netrunners besser in den Flow des Team integriert werden.
Eine schöne Erweiterung des klassischen ICE*-Themas (* Wächterprogramme im virtuellen Raum) sind die "Dämonen" (die englische Version "Demon" steht übrigens für ein Server-Dienstprogramm, das autonom auf vordefinierte Ereignisse reagiert). In Cyberpunk RED werden Dämonen zum Schutz eines Ortes installiert und sind über die installierten Sicherheitseinrichtungen (Sensoren, Verteidigungsanlagen) in der Lage mit der Realen Welt zu interagieren. Ein Dämon kann sich aber auch wie schwarzes ICE gegen eindringende Hacker wehren - vom unangenehmen Netzwerk-Kick bis zum Hirnrösten. Dämonen eignen sich also gut als Herausforderung für das ganze Team - ein Kampf an allen Fronten.
Die Protagonisten
Kommen wir mal zum Eingemachten. Auch Cyberpunk RED bietet die bereits aus Cyberpunk 2020 bekannten, durchaus speziellen Stereotypen. Natürlich können all diese Rollen von Vertretern jedes Geschlechts ausgefüllt werden. Zur einfacheren Einordnung, habe ich versucht vergleichbare Klassen aus Fantasy-Rollenspielen zu finden und in Klammern dazugeschrieben.
- Solos (Krieger-Klasse) sind die Frontschweine in Cyberpunk. Wahnsinnige, die sich bis zum Anschlag mit Cyberware verbessern lassen, um den entscheidenden Tick schneller und härter zu sein, als der Gegner. Hier ist man mit dicken Wummen und Körperpanzerung genau richtig. Die Bandbreite reicht vom Auftragskiller bis zur Eskorte.
- Nahe am Solo, aber mit einem deutlich anderen Schwerpunkt, rüsten sich Gesetzeshüter (Paladin-Klasse) für den Strasseneinsatz. Im Jahr 2045 gleichen "Cops" im Alltag oft idealistischen Einzelkämpfern - aber wenn es brenzlig wird, kann der Gesetzeshüter Kollegen zur Hilfe rufen.
- Netrunner (virtueller Waldläufer-Klasse) können sich dank Datenbuchse und Cyberdeck im Net bewegen und beschäftigen sich dort vor allem mit dem Abschalten von Sicherheitssystemen bzw. der Extraktion oder Manipulation von Daten. Neben dem Infiltrieren von Computersystemen, müssen Netrunner sich oft mit ICE rumschlagen, dem Wachpersonal in der virtuellen Welt. Dank dem größtenteils zerstörten globalen Netzwerk, begeben sich Netrunner oft mit ihrem Team an die Front, um dort in einer überlagerten Version von realer und virtueller Welt, Seite an Seite mit ihren Teamkollegen zu kämpfen.
- Vielleicht ganz ähnlich wie der Netrunner, würde der sicherheitsbewusste Tech(niker) (Handwerker-Klasse) vermutlich lieber in seiner Werkstatt sitzen und über der Hardware der Team-Kollegen brüten, als im Kreuzfeuer zu kauern. An der Front wird der Techniker wohl eher in der zweiten Reihe bleiben. Vielleicht könnte man die Rolle noch durch tragbare Geschütze oder Drohnen interessanter machen, aber dazu habe ich nichts spezielles gefunden.
- MediTechs (Heiler-Klasse) sind neben dem Tech ebenfalls klassische Team-Unterstützer. Einmal abgesehen von der unbestreitbaren Nützlichkeit in oder nach jedem Kampf, lässt sich die Spielgruppe rund um den MediTech elegant als Trauma-Team aufbauen, das über Noteinsätze in spannende Handlungsfäden verwickelt wird. Ansonsten kann man auch als Leichenfledderer gutes Geld machen - es gibt schließlich einen Markt für gebrauchte Cyberware, die professionell entnommen wurde.
- Ein Rockster (Barde-Klasse) steht stellvertretend für Künstler mit der charismatischen Wirkung - und dem Wunsch - die Massen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ihr Charisma sammelt die Fans und diese können in geeigneten Momenten instrumentalisiert werden. Musiker wären typische Rockster-Vertreter, aber z.B. auch Sektenanführer.
- Ein Media ist ein komplettes Nachrichtenteam in Personalunion. Mir fällt dazu als Vergleich spontan das Wort "Paparazzi" ein, auch wenn der Media in Cyberpunk RED eher den "großen Verschwörungen" auf der Spur ist, als dem Popstar in Unterwäsche. Spannend ist, dass die Währung eines Media "Glaubwürdigkeit" ist - nicht die charismatische Wirkung wie beim Rockster. Ein "Influencer" wäre also eher ein Rockster.
- Konzerner sind eine extrem Karriere-orientierte Form des Managers, der sich in den Strukturen eines Konzerns ein persönliches Macht-Gefüge aufbaut. Manager sammeln ein Team um sich und nutzen ihre wachsenden Ressourcen, um ihre (Konzern-) Ziele zu erreichen.
- Schieber sind die Art von Organisatoren, die durch gute Kontakte alle Arten von Waren - egal ob legal oder illegal - beschaffen können. Erfolgreiche Schieber können auch Nachtmärkte (aka Schwarzmärkte) organisieren, um Zugriff auf den wirklich heißen Kram zu bekommen und sich als Organisator am Gewinn beteiligen zu lassen.
- Die andere Art von Organisatoren sind die Nomaden. Wer (oder auch was) im Jahr 2045 verreisen will oder muss, lebt auf den Transitrouten gefährlich. Hier trumpfen die Nomaden auf, deren hochgerüstete Fahrzeuge und Fahrkünste die bestmögliche Versicherung auf dem Weg sind - zu Lande oder auf dem Wasser.
Es lebt!
Ich würde sagen, dass Cyberpunk RED (wie auch schon Cyberpunk 2020 davor) kein System ist, in dem man sich einen ordentlichen Charakter in 5 Minuten zusammenwedeln sollte. Aber manchmal will man das.
Anmerkung: Wer hier als Neuling zu viel Respekt vor den knapp 200 Seiten hat, die man sich als Spielleiter zur Charaktererschaffung anschauen darf, sollte vielleicht ein Auge auf das Cyberpunk RED Starterset werfen. Hier wird man noch behutsamer an die Hand genommen und mit vorgefertigten Charakteren, Einstiegsabenteuern und Bodenplänen samt Pappaufstellern versorgt.
Neben der feingranularen, maximal individuellen Charaktererschaffung gibt es die beiden Optionen bereits fertig ausgewürfelte Werte zu verwenden ("Strassenkind-Stil") oder sich etwas aus verschiedenen Paketen zusammenzustellen und selbst auszuwürfeln ("Edgerunner-Stil").
Auf knapp 100 Seiten sind die verschiedenen Erschaffungswege ineinander verschachtelt, was auch die einleitenden Flussdiagramme samt Seitenangaben erklärt. Weite Teile der Charaktererschaffung bestehen aus Texten und Tabellen, aber es finden sich auch eine handvoll exzellente Illustrationen - und die Tabellen sind zumindest farbig abgesetzt.
Bis zum fertigen Charakter passiert man viele Stationen: Rolle wählen, bisheriger Lebensweg, Ausprägung, Umfeld, bevorzugte Örtlichkeiten, Erzfeinde, Attribute, Fertigkeiten, Ausrüstung.
Es gibt übrigens für jede Profession eigene Tabellen und Flussdiagramme. Ob man die Zufallstabellen als solche benutzen will, ist Geschmackssache - aber sie sind unbestreitbar ein guter Ideengeber für Neulinge.
Ich finde den gewählten Aufbau der Kapitel nicht unbedingt optimal zum später Nachschlagen, aber ich kann erkennen, das ein Einsteiger so gut an die Themen herangeführt wird.
Attribute
Cyberpunk RED verwendet die 10 Attribute: Kraft, Geschicklichkeit, Bewegung, Reflexe, Intelligenz, Wille, Empathie, Technik, Coolness und Glück.
Die meisten dürfte man bereits aus anderen Rollenspielen kennen und Technik ist selbsterklärend.
Glück definiert einen flexiblen Punktepool zum Verbessern von Würfen, der sich zwischen den Spielsitzungen auflädt.
Coolness ist klar dem Cyberpunk-Genre geschuldet - oder der Vorstellung des Autors vom Genre...
Wenn Du mal scheiterst, dann lass es so aussehen als wäre es Absicht und scheitere mit einem lauten Rums und bleib dabei cool. Alles andere wäre grob fahrlässig. Keiner will mit einem Verlierer zusammenarbeiten - oder mit jemandem, um den entsprechende Gerüchte Ranken.
Der (gute) Ruf des Charakters kann einem in der passenden Szene Türen öffnen und so manchem Konflikt vorbeugen. Ruf ist ein zusätzliches Attribut mit einem Wert zwischen 0 (unbekannt) und 10 (weltweiter Ruf).
Erwähnen möchte ich an dieser Stelle - passend zum Attribut Coolness - die Fertigkeiten Garderobe, Körperpflege und Schauspiel... den passenden Auftritt hinzulegen ist wichtig. Und zur angemessenen Kleidung kommen wir auch noch... Cyberpunk ist "Style over Substance"!
Wie die 10 (Basis-) Attribute ermittelt werden, hängt vom Verfahren ab. Der einfachste Weg ist den Zufall in Form eines W10 entscheiden zu lassen und dann verwendet man die entsprechende Wertereihe für seine Rolle.
Bei der Edgerunner Methode würfelt man jeden Wert einzeln mit W10 aus, was eine höhere Glückskomponente hat. Für beide Methoden gilt: nicht das W10 Ergebnis wird eingetragen, sondern ein zugehöriger Tabellenwert (stets passend zur Rolle), der immer zwischen 2 und 8 liegt.
Die Methode bei der der Spieler die meiste Kontrolle hat ist das Kaufsystem. Hier arbeitet man mit einem Pool von 62 Punkten - was auch dem Zeilenergebnis der oben genannten Tabellen entspricht. Diese Punkte darf man im Korridor von 2-8 auf die Attribute verteilen. Wer als Spielleiter mit erfahreneren Charakteren starten will kann bis auf 80 Punkte hochgehen.
Zahlen bitte?
Was bringt mir ein Anfänger-Spitzenwert von 8 in einem Attribut? Zum einen berechnet man damit die abgeleiteten Attribute Trefferpunkte und Menschlichkeit (wichtig für den Einbau von Cyberware).
Bei jedem Einsatz einer Fertigkeit (Anfangswert 6 oder weniger), wird das passende Attribut hinzugerechnet und ergibt so den Fertigkeitenbasis-Wert zu dem der Zufall in Form eines W10 addiert wird.
Bei einem Anfangscharakter ergibt sich also ein Wert zwischen 3 (2+0+1) und 24 (8+6+10) ). Mit diesem tritt man bei einer Fertigkeitsprobe gegen den Schwierigkeitsgrad an.
In der Regel wird der Schwierigkeitsgrad (zwischen 9 und 29) durch den Spielleiter festgelegt. Falls es gegen einen Charakter (o.ä. Lebewesen) geht, wird der Schwierigkeitsgrad hingegen analog durch die Kombination einer passenden Verteidigung-Fertigkeit samt Attribut plus W10 ermittelt (analog zum Angriff).
Alle Fertigkeiten im Detail aufzulisten und zu Beschreiben (wie es das Buch tut) würde den Rahmen der Rezension sprengen. Je nach Rolle, macht einem das Buch entsprechende Vorschläge. Bei den meisten Cyberpunk-Runden stehen natürlich die im Kampf relevanten Fertigkeiten im Vordergrund - aber jede Rolle hat typische Spezialfertigkeiten, die man mitnehmen sollte. Manche Fertigkeiten sind aufgrund ihres Anspruchs doppelt so teuer - das trifft zum Beispiel zu, wenn Gelegenheiten zum Üben eher selten, langwierig oder risikoreich sind (z.B. Sprengstoffkunde).
Ausrüstung & Cyberware
Natürlich gibt es einen ganzen Haufen Ausrüstung die man mit sich herumtragen kann. Also zum Beispiel verschiedenste Waffen für den Fernkampf und Nahkampf, verschiedenste Munition und entsprechende Abwehrmaßnahmen (Panzerungen und Schilde). Es gibt auch Werkzeuge, die man zum Einsatz verschiedener Fertigkeiten benötigt. Bestimmte Dinge sind anderweitig nützlich z.B. indem sie einen Fertigkeitsbonus verleihen (gilt auch für Drogen ... und deren Nebenwirkungen) oder anderweitg unterstützen.
Natürlich darf bei Cyberpunk - passend zur Coolness - das andernorts oft übersehene Thema Kleidung nicht fehlen, anhand einer Tabelle lässt sich ermitteln, wie viel Geld einem der gewünschte Look aus der Tasche zieht - und ob man überhaupt drankommt.
Leuchtende Augen bekommt der Cyberpunk - auch buchstäblich - spätestens beim Thema Cyberware... passend dazu das Kapitelmotto: "Pack den Cyber in den Punk".
Wie schon bei den Attributen erwähnt kennt Cyberpunk RED das Attribut Menschlichkeit - es steht für zwischenmenschliches Verhalten - das eine enge Verbindung zum Empathie-Attribut hat und behält (Menschlichkeit entspricht Empathie x 10).
Leider, leider führt jeder freiwillige Austausch von Körperteilen, zu Menschlichkeitsverlust. Wer es übertreibt, verliert parallel zur Menschlichkeit seine Empathie und steuert zwangsläufig auf eine Cyberpsychose zu - der Mensch wird zur kalten Killermaschine.
Das gilt netterweise nicht für "medizinische Implantate" die bei Unfällen oder im Kampf verlorene Gliedmaßen ersetzen, also nur das echte Körperteil nachbilden. Wer aber einen Arm mit ausfahrbaren Dolchen oder eine gepanzerte Haut bevorzugt, legt sich unweigerlich mit seinem gesunden Menschenverstand an...
Da Menschlichkeit leider auch noch durch Traumata (zum Beispiel Folter) gesenkt werden, sollte man sich gut überlegen mit Cyberware ans Limit zu gehen.
Die meisten Berufsgruppen profitieren extrem von Cyberware. Reporter können sich Kameraugen und Mikros für geheime Observationen einbauen lassen. Im Kampf nützen gesteigerte Reflexe, eine erhöhte Zielsicherheit und Körperpanzerung. Rockster und Konzerner profitieren von modischen Modifikationen und der MediTech hat den Bioscanner zur Erfassung von Vitalwerten immer dabei.
Einen besonderen Eingriff muss auch jeder Netrunner über sich ergehen lassen: ein Interface als direkte Datenautobahn ins Gehirn (Neuralverbindung). Ob man dieses Interface dann für eine Direktverbindung ins Net nutzt oder die Alternative Virtuality-Brille verwendet ist situationsbedingt.
Natürlich bietet einem das Buch auch hier - vorbildlich - passend zu den Rollen eine Auswahl passender Ausrüstung und Cyberware an.
Rollenfähigkeiten
Vielleicht machen wir an dieser Stelle nochmal einen Ausflug zu den Rollenfähigkeiten. Wie bereits bei der Vorstellung der Rollen (aka Klassen) angedeutet, verfügt jede Rolle über eine spezielle Fähigkeit. Da steckt aber im Detail weitaus mehr dahinter als bei ähnlich klingenden Attributen oder Fertigkeiten.
- Die Charismatische Wirkung des Rocksters bestimmt mögliche Auftrittsorte und die Wirkung auf einen oder mehrere Fans. Das geht bis zur absoluten Hörigkeit und Selbstopferung.
- Kampfsinn erlaubt einem Solo Punkte in der gleichen Höhe auf Sonderfertigkeiten zu verteilen, wie z.B. den Angriffswert oder die Schadensresistenz zu steigern, Fehlschläge zu ignorieren, schneller zu reagieren, Schwachpunkte zu finden oder Gefahren zu erkennen.
- Die Interface-Fähigkeit erlaubt dem Netrunner im NET besondere Aktionen auszuführen, die das Infiltrieren von geschützten Bereichen und den Kampf mit ICE oder anderen Netrunnern ermöglichen.
- Mit Bastler kann ein Tech grundsätzlich schon mal das tun was man von einem Tech erwartet: (Zusammen-)Bauen, Reparieren oder Erschaffen. Darüber hinaus kann er sich in verschiedenen Kompetenzen spezialisieren, die ihm entweder an der Front oder in der Werkstatt helfen - und sei es nur um zwischen den Einsätzen an Geld zu kommen.
- Der MediTech kann die Fähigkeit Medizin grundsätzlich verwenden um schwer Verletzte zu stabilisieren und vor dem Tod zu bewahren. Darüber hinaus gibt es Spezialisierungen - zum Beispiel um kritische Eingriffe vorzunehmen (beinhaltet das Handling von Cyberware) oder hochkomplexe medizinische Apparaturen zu bedienen.
- Als Media ist man ohne Glaubwürdigkeit nichts. Die Fähigkeit bestimmt, wie Gerüchte den Weg zum Media finden oder wie leicht es ihm fällt seine Story mit hoher Reichweite und Wirkung zu veröffentlichen.
- Teamfähigkeit ist kein alternatives Empathie-Attribut, sondern verschafft dem Konzerner Ressourcen: Kleidung, Wohnung, Trauma-Team-Versicherung uuuund Team-Mitglieder. Damit sind nicht unbedingt die Mitspieler gemeint, sondern vom Konzern angeheuerte Aktivposten die dem Konzerner zugeteilt werden (max. drei). Der Spieler kann die Zusammensetzung beeinflussen - ggf. mit Bestechungsgeld an die Personalabteilung. Die Teammitglieder lassen sich beauftragen, haben aber einen Loyalitätswert gegen den getestet wird. Loyalität geht bei der Arbeit verloren, kann aber durch geeignetes Verhalten oder Zuwendungen wieder gesteigert werden. Ja, da hat man echt was zu verwalten.
- Gesetzeshüter können sich in Notfällen Verstärkung herbeirufen - je nach Rang der Fähigkeit steigt auch die Erfahrung und Ausrüstung der Verstärkung. Das reicht von leicht gepanzerten Mietbullen bis zum knallharten Spezialagenten-Duett mit dem Auftrag den aktuellen Vorfall aus der Welt zu schaffen.
- Die Fähigkeit Beschaffung steht beim Schieber für seine Vernetzung in der Szene. Das betrifft die Qualität der Kontakte, die Verfügbarkeit von Waren, den möglichen Rabatt und die Fähigkeit des Schiebers sich ohne anzuecken in anderen Kulturen, Gruppen oder Schichten zu bewegen.
- Über Moto kommt der Nomade an einen besser ausgestatteten und größeren Fuhrpark und lernt auch die Fahrzeuge besser zu beherrschen.
Der Kampf
Nach den Grundlagen kommen wir endlich zur Action. Cyberpunk RED läuft in Runden von ca. 3 Sekunden ab. Wer wann dran ist wird durch (Reflexe + W10) in absteigender Reihenfolge bestimmt. Während des Zugs hat der Charakter eine Aktion und eine Bewegung ( (Bewegung x 2) in Metern, also max. 16m sofern man bereits steht, ansonsten kann man aufstehen). Die Bewegungsweite lässt sich beliebig um die Aktion herum aufteilen.
Wer will kann seine Aktion auch in Absprache mit dem Spielleiter hinauszögern, um zum Beispiel später auf ein Ereignis zu reagieren ("Gegner zieht eine Waffe.").
Wer in seiner Aktion eine Fertigkeit einsetzen will, muss mit dem Spielleiter absprechen, ob sich das in den 3 Sekunden umsetzen oder nur beginnen lässt.
Wer angreift verwendet Reflexe (Fernkampf) oder Geschicklichkeit (Nahkampf) plus die passende Waffenfertigkeit plus W10. Mit sehr hohen Reflexen kann man sogar einem Fernangriff ausweichen - ansonsten wird pauschal gegen einen Waffen&Reichweite-abhängigen Schwierigkeitsgrad gewürfelt.
Beim Nahkampf entscheidet ( Geschicklichkeit + Ausweichen + W10 ) des Verteidigers über die Schwierigkeit.
Hat man getroffen wird mit einer zur Waffe passenden Menge W6 der maximal mögliche Schaden ermittelt. Zum Beispiel richtet eine Schwere Pistole mit 3W6 zwischen 3 und 18 Punkte an. Sollte der Angriffswurf doppelt oder dreifach so hoch wie die Schwierigkeit sein, vervielfacht sich der Schaden entsprechend.
Wir schauen kurz nach: die Trefferpunkte eines Startcharakters liegen zwischen 20 und 50 Punkten ( 10 + ((Kraft + Wille)/2) x 5 ). Ein Treffer mit einer Schweren Pistole bringt einen ungepanzerten Charakter also nur in Ausnahmefällen um.
Dieser Grundschaden trifft dann auf eine eventuell vorhandene Panzerung - getrennt für Kopf und Körper (den Kopf trifft man nur mit gezielten d.h. erschwerten Angriffen). Liegt der Schaden unterhalb des Schutzwerts der Panzerung, passiert nichts. Ist der Schaden höher, wird die Differenz von den Trefferpunkten abgezogen und der Schutzwert der Panzerung sinkt durch die Abnutzung um 1.
Darüber hinaus gibt noch kritische Treffer für die allerdings mindestens ein Sechser-Pasch mit den Schadenswürfeln erforderlich ist. Ich würde das mal als "selten" einstufen (3% bei 2W6 bis 20% bei 5W6). Die zufällig ermittelten kritischen Treffer sind durchaus übel, aber kein Ergebnis auf der Tabelle ist sofort tödlich.
Netrun
Ein zugleich faszinierendes wie auch heikles Thema in Cyberpunk-Rollenspielen ist das Abenteuer im virtuellen Raum. Da virtuelle Aktionen nicht an träge Körperlichkeit gebunden sind, kann ein Netrunner in einem 3 Sekunden-Fenster seine normale Aktion benutzen um - entsprechend seinen Fähigkeiten - eine Vielzahl von Net-Handlungen durchführen (max. 5) und sich beliebig weit frei im Net zu bewegen. Hinzu kommt, dass ein Teil der Arbeit vom Cyberdeck des Netrunners bzw. seinen darauf laufenden Programmen übernommen wird.
Spannend wird es immer dann, wenn es einen Schutzmechanismus zu überwinden gilt. Im einfachsten Fall, schafft man es nicht irgendwo einzudringen - im schlimmsten Fall wird schwarzes ICE aktiviert, dessen vorrangiges Ziel es ist, das Hirn des Runners zu rösten.
Sofern man sich mit seinem Team vor Ort befindet, kann ein ausgelöster Alarm auch in der realen Welt für Ärger sorgen, indem z.B. Geschütztürme oder Kampfdrohnen aktiviert werden. Der Netrunner muss sich dann sowohl im Net als auch in der realen Welt verteidigen, wobei er in letzterer seine Mitstreiter angreifen lassen kann. Allerdings kann er den Spieß auch umdrehen und solche Knoten übernehmen und die Schutzmaßnahmen kontrollieren. Gelingt das, kann z.B. ein Geschützturm vom Netrunner auf Kameras, Drohnen oder verschanzte Wachleute angesetzt werden.
Der Kampf im Net verläuft zum Glück von den Regeln her analog zum realen Gefecht, d.h. (Interface-Wert ("Attribut/Fertigkeit") + Programm-Angriff ("Waffe") + W10) gegen (Interface ("Attribut/Fertigkeit") + Programm-Verteidigung ("Panzerung") + W10) als Schwierigkeit. Geht der Angriff durch, hängt der ausgeteilte virtuelle Schaden und eventuelle Effekte vom Programm ab und wird von der Integrität des getroffenen Programms so lange abgezogen, bis es sich bei 0 Punkten auflöst.
Bei Angriffen von schwarzem ICE, ebenso wie beim Kampf Netrunner gegen Netrunner, kommen spezielle Programme zum Einsatz die das Cyberdeck selbst oder auch das Gehirn des Netrunners überlasten und weltlichen Schaden anrichten. Droht ein Netrunner den Kampf zu verlieren, tut er gut daran sich schnellstmöglich - aber bitte ordentlich - auszuloggen. Denn ein ungeordneter Rückzug löst ein letztes mal alle Wirkungen gerade anwesender Schadprogramme aus.
Bei Runs vor Ort kann solch ein ungeordneter Rückzug auch aus der realen Welt erzwungen werden, zum Beispiel indem sich der Körper des Netrunners zu weit vom Ort des Logins entfernt. Das kann durch eigene Bewegung des Netrunners geschehen - dank Virtuality-Brille kann sich ein Eingeloggter ja weiterhin bewegen - oder indem einen die Teamkollegen aus dem Kugelhagel zerren... oder vielleicht auch durch Zerstörung der Hardware.
Ein Klassiker
Vom Regelsystem kann man halten, was einem der eigene Geschmack diktiert. Es handelt sich um eine deutliche Hommage an das Cyberpunk 2020-System aus den 90ern, ebenso wie vieles Andere in diesem "Grundregelwerk".
Nun hat das Hobby Rollenspiel in den letzten 30 Jahren einige Trends durchgemacht. Über eine Zeit in den 2000ern in denen alles bis ins Kleinste reglementiert und simuliert sein musste. Bis dann in den 2010ern mit FUDGE und FATE plötzlich schlanke Alternativen und Spieler-Empowerment modern wurden. Cyberpunk RED bewegt sich irgendwo dazwischen.
Was ich gut finde, ist die recht homogene Art Proben durchzuführen - das haben auch Anfänger schnell verstanden. Ebenso ist die klare Trennung in Probenwürfel (W10) und Schadenswürfel (W6) eingängig.
Der dreiseitige Charakterbogen spiegelt auf einen Blick die Vielfalt im Charakterbau von Cyberpunk RED wider. Und damit nicht genug: auch der Spielleiter muss eine Reihe von Tabellen bereit halten - entweder als Cheat-Sheets, als Spielleiterschirm oder - ganz hart - auswendig lernen.
Ich habe oben das Wort "Grundregelwerk" oben bewusst in Anführungszeichen gesetzt, weil sich der Großteil des Bandes mit dem Genre, dem Hintergrund und der Spielwelt beschäftigt. Nur ein recht kleiner Teil handelt von Regeln.
Dadurch steckt unheimlich viel "Cyberpunk" in diesem Buch - und für alle die ihr Lieblingssystem bereits anderweitig gefunden haben, wird das eine gute Nachricht sein: spielt Cyberpunk RED einfach mit euren Lieblingsregeln.
Technisches
Wie eingangs erwähnt macht das vorliegende Grundregelwerk durchgängig einen sehr soliden Eindruck. Gute Hardcover-Bindung, die einiges aushalten dürfte. Schwarzes Lesebändchen. 450 Seiten, vollfarbig gedruckt. Erstklassige Illustrationen die aus einem Guss wirken, obwohl mehr als 20 Künstler am Buch mitgewirkt haben. Und sehr stimmungsvolle Texte, die den Charme von Cyberpunk gut vermitteln.
Aber es gibt natürlich auch ein paar Schwachpunkte.
Der erste Schwachpunkt, der dem Leser auffallen dürfte, ist der Geruch. Nach dem Entfernen der Folie und Aufklappen des Bandes schlägt einem ein ziemlich intensiver Geruch entgegen, der sich durch alle Seiten zieht. Zum Glück hilft Lüften bei geöffneten Buch, den Geruch abzumildern.
Für empfindliche Nasen ist hier vielleicht ein Hinweis auf die bald erscheinende PDF-Version gut platziert.
Als weiteren Schwachpunkt empfinde ich die gefühlt hohe Menge an Sprüngen im Buch. Man hat versucht die - zugegeben große Menge an Informationen - strategisch günstig über den Band zu verteilen, so dass gerade Cyberpunk-Neulinge sanft in das Genre und Cyberpunk RED eingeführt werden.
Das führt allerdings dazu, dass man die Informationen z.B. zu der Netrunner-Rolle quer über 200 Seiten verteilt findet.
Was beim gradlinigen Durchlesen des Buches Sinn macht, kann sich später rächen wenn man "mal eben" einen neuen Charakter einer bestimmten Rolle erstellen will. Da darf man erneut durch die 200 Seiten hopsen.
Zum Glück finden sich bereits beim Schreiben dieser Rezension erste Hilfsprogramme im Netz, mit denen man einen Charakter mit wenigen Mausklicks zusammenstellt.
Ich habe einen Kommentar im Netz gelesen, dass es Rechtschreibfehler gibt. Zu diesem Zeitpunkt war ich gerade in die Eingangsgeschichte vertieft und konnte das überhaupt nicht nachvollziehen. Als ich dann in den hinteren Teil des Buches gesprungen bin, fiel mir natürlich direkt ein Rechtschreibfehler auf. Und dann ab und zu noch einer. Okay, da sind Rechtschreibfehler dabei, die jedes Korrekturprogramm gefunden hätte - aber nicht annähernd in einem Ausmaß, das es mir den Lesespaß verdirbt. Ganz im Gegenteil bin ich überrascht, dass man auf 450 Seiten nicht deutlich mehr verbockt hat - bei der Masse an Text, gespickt mit haufenweise exotischen Begriffen (die kein Lexikon kennt). Also von mir gibt es hierzu eine klare Entwarnung.
Fazit:
Whow, diese Rezension ist schon recht lang geworden, aber man könnte hier noch vieles Besprechen: die Ausführungen zu den Regierungen und Konzernen, das Design von Cyberdecks, seitenlange Beschreibungen zu Sicherheitstechniken in Gebäuden und im Net, die illustrierte historische Entwicklung von Night City, das globale Gefüge, das Kapitel zum Spielleiten (inkl. Abenteuerideen), Erfahrung und Aufstieg und und und... der Band hat nicht umsonst 450 Seiten.
Ich bin total überwältigt von den vielen Informationen die mit diesem Grundregelwerk geliefert werden, weil sich scheinbar zu jedem Begriff irgendwo im Buch eine ausführliche Erklärung findet und darüber hinaus die gesamte Geschichte seit Cyberpunk 2013 zusammengefasst wurde.
Dazu kommt das tolle Artwork, das mich von der ersten Sekunde an eingefangen hat (Stichwort "Gänsehaut als Ersteindruck"). Die Texte sind stimmungsvoll geschrieben, das gilt natürlich auch für die Kurzgeschichten. Und immer wieder wurden unterstützende Illustrationen und kleine Gimmicks wie Werbeanzeigen, Randtexte und Referenzen eingebaut.
Fans des Cyberpunk-Genres - vielleicht darunter auch Gamer die durch das Computerspiel Cyberpunk 2077 oder Filme wie Bladerunner auf den Geschmack gekommen sind - finden mit Cyberpunk RED eine gelungene Neuauflage des Originals.
Mit Hinweis auf den olfaktorischen Sinn, eine klare Kaufempfehlung!
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de