Babylon 5 d20 Roleplaying Game and Fact Book (d20)
J. Michael Straczynski ist ein Name¸ der vielen Science Fiction Fans geläufig ist. Seine TV-Serie Babylon 5 konnte sich nach anfänglicher Zurückhaltung (vielleicht wegen des nüchternen und teilweise spröden Charmes einer vom menschlichen Militär erschaffenen Weltraumstation) bald eine gigantische Fangemeinde aufbauen¸ die schließlich den Dreh aller fünf Staffeln ermöglichte und einige zusätzliche Filme (Spinoffs) zuließ.
Babylon 5 ist in erster Linie ein Ort der Diplomatie¸ und der Zuschauer lernt in den fünf Staffeln nicht nur die Geschichte der Raumstation kennen¸ sondern darf auch nach und nach hinter die Kulissen der einzelnen Diplomaten schauen - und obwohl sich dieser Umstand anfangs kaum abzeichnet - werden diese Diplomaten bald Entscheidungen treffen müssen¸ die entscheidend für die Zukunft aller Humanoiden sind.
Anlaß für den Bau der Station war ein Krieg zwischen den technisch hoch überlegenen Minbari und den Frischlingen im Weltall¸ den Menschen. Dieser Krieg hätte beinahe zur Auslöschung der kompletten Menschheit geführt. Durch den Bau der Babylon-Station sollte es allen Völkern des Weltalls ermöglicht werden¸ ihre Probleme auf friedliche Art und Weise zu regeln.
Doch nicht nur Menschen und Minbari hatten einen guten Grund einen Diplomaten zur Station zu entsenden¸ auch die echsenhaften Narn und das stolze Centauri Imperium tragen hier ihre Konflikte auf diplomatischem Weg aus. Als eine einst von den Centauri versklavte Rasse¸ haben die Narn nun ihre Fesseln abgeschüttelt - und sinnen auf Rache für Generationen in Gefangenschaft.
Neben einer Vielzahl weiterer Alien-Völker die entweder nur als Händler oder Urlauber auf der Station verweilen¸ gibt es auch noch die Liga freier Welten¸ der viele kleinere Völker angehören und die mit einer Stimme im diplomatischen Rat von Babylon 5 sprechen.
Last but not Least haben auch die geheimnisvollen Vorlonen einen Vertreter zur Station entsand¸ der wie eine Graue Eminenz im Hintergrund weilt und nur zu den wichtigsten Gelegenheiten als Ratgeber einschreitet. Erst im späteren Verlauf der Handlung wird klar¸ daß die extrem hochentwickelten (in Biotechnologie) und darüber hinaus extrem psibegabten Vorlonen¸ einen ebenbürtigen Gegner haben: die Schatten¸ die sich schließlich als Bedrohung aller Völker herausstellen werden.
Trotz¸ aber vielleicht auch gerade wegen der abgeschlossenen Handlung der TV-Serie¸ eignet sich Babylon 5 wunderbar als Schauplatz für ein Rollenspiel. Das hat nicht erst der US-Verlag Mongoose Publishing erkannt¸ als sie sich die Rollenspiel-Lizenz für das D20-System sicherten - schon zuvor gab es ein Rollenspiel namens "Babylon Project" (Agents of Gaming¸ 1997-2002) und ein passendes Tabletop "Babylon 5 Wars".
Da es sich mittlerweile um ein Rollenspiel (bzw. Setting) für das D20-System handelt¸ benötigt man zum Spielen mindestens noch das D&D 3rd Edition Players Handbook... oder man besorgt sich die Kenntnis der Grundregeln auf anderem Wege.
Denn einmal abgesehen von den Grundmechanismen modifiziert Babylon 5 d20 naturgemäß - immerhin handelt es sich um ein SciFi-Setting und nicht um Fantasy - das ursprüngliche System recht stark: eigene Rassen¸ eigene Klassen¸ Psi und Elektronik statt Magie. Wer also die D&D 3rd Ed. Regeln im Kopf hat¸ kann auf den Players Guide auch verzichten.
Ziel weiterer Modifikationen ist es zum einen¸ Mechanismen für moderne Schußwaffen und Weltraumkämpfe einzubauen¸ aber - und¸ was noch viel wichtiger ist - Kämpfe ungleich tödlicher zu gestalten. Diese gesteigerte Tödlichkeit vermittelt den Spielern auch regeltechnisch¸ daß es auf Babylon 5 nicht in erster Linie um Kämpfe geht¸ die man nicht mit Fäusten oder Waffen austrägt. Ein unglücklicher Schusswechsel und ein Charakterleben ist vorbei...
Auf Babylon 5 zeigt sich wahre Macht vielmehr darin¸ daß jemand Konflikte durch Worte¸ Manipulation und Intrigen austragen und gewinnen kann.
Damit wird dem Setting¸ nicht nur vom Hintergrund sondern auch von den Regeln her¸ meines Erachtens sehr gut Rechnung getragen. Übrigens tritt damit auch die Frage "D&D 3.0 oder 3.5" ziemlich in den Hintergrund.
Spielbar sind alle humanoiden Völker¸ allen voran natürlich Menschen¸ Minbari¸ Centauri und Narn. Die Drazi wurden als eines der bedeutenderen "kleineren Völker" ebenfalls beschrieben. Weitere Völker findet man wohl in den zusätzlich erschienenen Quellenbänden - oder man bastelt sie sich kurzerhand selbst zusammen.
Wie für D&D üblich verbindet man eine Rasse mit einer Klasse. Beschrieben sind Agent¸ Diplomat¸ Lurker ("Tagedieb")¸ Offizier¸ Wissenschaftler¸ Soldat¸ Telepath und Arbeiter. Im Laufe des Spiels kann man auch Multiklassen-Charaktere kombinieren¸ um so eine bessere Anpassung an die Aufgaben auf der Raumstation - oder einen Raumschiff - zu erzielen.
Zentraler Schauplatz jeder B5-Spielrunde wird natürlich die Station Babylon 5 sein¸ weshalb diese auch recht gut im Grundregelwerk beschrieben ist - inkl. vieler Bodenpläne - und in den meisten Beschreibungen mit einbezogen wird. Der Leser bekommt einen recht guten Überblick über den Aufbau und die Technologien der Station¸ sowie das Alltagsleben.
Doch das Weltall ist groß und B5 nur ein winziger Punkt darin. Wem die Station zu eng wird¸ der darf sich ggf. an Bord einer der im Grundregelwerk beschriebenen Raumschiffe begeben. Die kurzen Beschreibungen decken alle populären Typen ab (z.B. Starfury).
Für den Kampf im Weltraum bzw. auch für die äußere Verteidigung der Station¸ gibt es extra Raumschiff-Kampfregeln.
Die typische D&D-Magie wird bei B5 durch Psi ersetzt. Für einen menschlichen Telepathen bedeutet jegliches PSI-Talent zwangsweise die Mitgliedschaft im Psi-Corps oder die zwangsweise Einnahme von Drogen¸ die sein Talent außer Gefecht setzen bzw. die permanente Flucht vor dem System. Das Psi-Corps wird als wichtiger Faktor des Settings spieltechnisch ausreichend¸ wenn auch sicherlich nicht erschöpfend¸ beschrieben. Für die Telepathen anderer Völker gelten andere gesellschaftliche Verpflichtungen bzw. Freiheiten.
Auch wenn man zu den innigen Fans der Serie gehört¸ kann der B5-Metaplot-Guide im Kapitel "Signs and Portents" (fast 100 Seiten) eine wertvolle Hilfe sein¸ um einen geeigneten Einstiegspunkt für seine Kampagne zu finden¸ wozu auch die eingestreuten Scenarios and Campaign Hooks einladen. Darüber hinaus findet man Werte für dort auftauchende Gerätschaften oder Personen.
Wem das noch nicht genügt¸ der findet im letzten Kapitel Campaigns weitere 30 Seiten Hinweise zur Ausgestaltung einer typischen B5-Kampagne.
Technisches
Das Babylon 5 Roleplaying Game and Fact Book ist ein schönes Beispiel dafür¸ was herauskommen kann¸ wenn ein Verlag eine solch berühmte Lizenz ernst nimmt und das zugrunde liegende Material auch voll einsetzen kann. Hier fließen auf hervorragende Weise sehr atmosphärische Texte¸ Zitate¸ Bilder aus dem Film¸ Photographien¸ einige Handzeichnungen (Raumschiffe) und Lagepläne zusammen zu einem Buch¸ das jeden B5-Rollenspieler glücklich machen wird - und anderweitige B5-Fans zumindest noch gut unterhalten könnte.
Gerade die Auswahl des Bildmaterials und die sehr gelungene Zusammenstellung des Inhalts bringen die Atmosphäre der TV-Serie sehr gut an den Rollenspieltisch. Bevor ich es vergesse: natürlich ist der Band komplett in Farbe¸ wodurch auch die Photos besonders gut zur Geltung kommen.
Die Benutzung des Buches wird durch eine ordentliche Strukturierung¸ einen ordentlichen Glossar und Index sowie Charakterblatt-Kopiervorlagen erleichtert.
Fazit:
Babylon 5 war bzw. ist eine geniale SciFi-Serie und das Rollenspiel steht dem in keinem Fall nach. Allein die Wahl des D20-Systems als Basisregeln kann in Zweifel gezogen werden¸ denn die vielen Anpassungen um "Babylon 5 d20" das B5-Feeling beizubringen¸ zeigen wie künstlich diese Partnerschaft zwischen Mittelalter-Fantasy (D&D) und Weltraum-SciFi (B5) eigentlich ist.
Wer sich davon nicht abschrecken läßt¸ oder B5 kurzerhand mit einem alternativen System (z.B. D20-Modern) verwendet¸ wird aber kaum ein besseres SciFi-Rollenspiel finden¸ um den Charme von Babylon 5 auszuschöpfen.
Ein sehr gelungener Band zu einem fairen Preis.
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de