Artemis Fowl 1
Meisterdieb - was nach einem äußerst ungewöhnlichen Berufswunsch für einen 12jährigen Jungen klingt¸ ist für Artemis Fowl die Fortsetzung einer langen Familientradition. Nachdem sein Vater vor der russischen Küste mitsamt seinem Frachtschiff versenkt wurde und seine Mutter sich vor Kummer immer mehr in sich zurückzieht¸ gibt es für den zierlichen Knaben kein größeres Ziel.
Artemis ist ein kleines Genie und in technischen Dingen absolut auf dem neuesten Stand. Dabei hilft ihm sein Händchen für Computer ebenso¸ wie das Familienvermögen und der Zugang zu allerlei militärischen Errungenschaften. Sein sportlich eher vernachlässigter Körper wird durch seinen Leibwächter "Butler" beschützt¸ der in allen Kampfmethoden versiert zu sein scheint.
Auf seinen Recherchen nach einem wirklich verlockenden Diebesgut¸ stößt der jugendliche Antiheld immer wieder auf Informations-Fragmente über ein mystisches¸ unterirdisch lebendes Volk¸ das von den Menschen rund um den Erdball als Kobolde¸ Gnome¸ Zwerge¸ Feen uvm. in Märchen und Sagen beschrieben wird. Seine kindliche Neugierde hilft Artemis¸ hier am Ball zu bleiben und die Sache nicht einfach als Spinnerei wegzuwischen.
Eine Internet-Suchanzeige bringt den erhofften Erfolg: er trifft auf einen Vertreter des Erdvolkes¸ den das Schicksal an die Oberfläche getrieben hat und sein Genius entlockt ihm den Schlüssel zum Gold dieser Wesen: das geheime Buch der Elfen. Von da an hat Artemis nur noch ein Ziel und schmiedet an seinem gefährlichen Plan.
Doch er hat die Rechnung ohne das Erdvolk gemacht¸ das weitaus weniger den Vorstellungen entspricht¸ die man aus den Märchen über sie gewinnen kann.
Wer die Geschichte von Artemis Fowl liest¸ wird sich im Anschluß wundern¸ warum man ihn so gerne als "böses Ebenbild von Harry Potter" anpreist. Artemis hat nichts von einem Zauberer - außer man bezeichnet ihn als "Technik-Magier"¸ der die Technologien der Menschheit optimal für seine düsteren Pläne einsetzt. Artemis und Magie? Kein Spur.
Und auch die Ideale¸ die ein Harry Potter zu vermitteln versucht¸ wollen sich bei Artemis Fowl nicht so recht wiederfinden lassen. Wer gar das stets friedliche Vorgehen in den Potter-Romanen wertschätzt¸ wird mit der eher militanten Handlung seine Schwierigkeiten haben (Beschreibung kriegerischer Taktiken¸ verschiedenste militärische Ausrüstung¸ Prügeleien und tödliche Verletzungen).
Aber es gibt sie doch¸ die Parallelen zwischen den beiden Romanreihen. Auf den Punkt gebracht ist es nicht nur die kindliche Hauptfigur¸ sondern vor allem das Zusammenprallen zweier Welten¸ die kaum unterschiedlicher sein könnten und dem Leser ein Stück Phantasie in seine Welt zurückbringen. Doch Artemis ist nie Teil dieser anderen Welt¸ sondern liefert dem Leser nur den Schlüssel zu dessen Portal.
Der Autor arbeitet mit verschiedenen Erzähl-Perspektiven¸ so daß der Leser abwechselnd zwischen dem Team von Artemis Fowl und verschiedenen Vertretern des Erdvolks hin und her geschaltet wird. Dieser Wechsel fällt einem nicht immer ganz leicht¸ aber der Leser wird für diese Mühen belohnt¸ da er mehr als einen Blick in die faszinierende Welt des Erdvolks werfen darf.
Technisches
Der Roman ist als Hardcover mit farbigem Schutzumschlag realisiert worden und verfügt idealerweise über ein Lesebändchen. Der Text ist flüssig geschrieben und sehr gut lektoriert. Auf jeder Romanseite findet man einen Passus in der geheimen Elfensprache¸ den man mit Hilfe eines Decoders auf der Webseite entziffern kann. Nette Idee¸ auch wenn der damit verbundene Wettbewerb mittlerweile natürlich längst vorbei ist.
Fazit:
Der Autor Eoin Colfer hat mit Artemis Fowl ein Buch für Heranwachsende und erwachsende Leser geschrieben¸ aber kein Kinderbuch. Leser¸ die die Vermischung zweier Welten in den HP-Romanen faszinierend¸ aber den ewig guten und furchtbar naiven Helden zu langweilig fanden¸ werden sich bestimmt für das Team Artemis & Butler erwärmen können.
Bei mir ist der Funken¸ nach anfänglichem Zögern¸ schließlich doch noch übergesprungen¸ aber weniger zur Hauptfigur¸ dem abgehobenen Artemis Fowl¸ sondern vielmehr zu den Vertretern des Erdvolkes¸ allen voran der elfischen Agentin Holly Short.
Ganz im Gegenteil¸ ist Artemis vermutlich der einzige Charakter¸ mit dem sich der Leser überhaupt nicht identifizieren kann - oder will!? Es fällt mir schwer zu glauben¸ daß ein Kind auf die Idee käme¸ sich an Karneval als "Artemis Fowl" zu verkleiden.
Ein Schelm wer vermutet¸ daß der Autor - seines Zeichens Lehrer - genau diese Entwicklung geplant hat und den Leser mit Absicht kritisch auf das heranwachsende Verbrechergenie blicken läßt. Vielleicht ist Artemis Fowl¸ trotz aller Gewaltdarstellungen¸ am Ende ja sogar ein pädagogisch wertvolles Buch.
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de