Kompendium
Nach einem leicht verpatzten Auftritt zur Spielemesse 2003 konnten Nackter Stahl zur nachfolgenden Spielemesse endlich ihr zweites Produkt präsentieren: das Arcane Codex Kompendium. Wofür ursprünglich nur etwa 200 Seiten geplant waren¸ wuchs in den zusätzlichen 12 Monaten auf sage und schreibe 600 DIN A4-Seiten Seiten. Eine unglaubliche Seitenzahl - selbst für ein Rollenspiel-Grundregelwerk... und beim Kompendium handelt es sich "nur" um eine optionale Regelerweiterung.
Während einige Neugierige den schweren Band am Messestand in den Händen wogen und neckisch mit "Telefonbuch" titulierten¸ wollten viele Arcane Codex-Fans wohl kaum ihren Augen trauen: immerhin handelt es sich um 600 mit Text und Illustrationen gut gefüllte Seiten. Es wurde nirgends Platz "verschenkt"¸ wie man es vielleicht erwartet hätte.
Wie bereits erwähnt handelt es sich bei dem Kompendium um eine Sammlung optionaler Regeln¸ was man auch wörtlich nehmen sollte.
Nicht jedes Kapitel oder gar jeder Satz¸ nicht jede Erweiterung oder jede einzelne Regel des Kompendiums sollte ohne Prüfung in die eigene Spielrunde übernommen werden. Das ist eine Regel¸ die die meisten alten Recken aus langer Erfahrung heraus beherzigen. Mancher Neuling hingegen könnte sich hier leicht von den 600 Seiten - aber auch von so manchem Inhalt - überfordert fühlen.
Dies voraus¸ will ich langsam zum eigentlichen Inhalt des Kompendiums kommen.
In Kurzform läßt sich dieser mit Vorzüge und Schwächen (32 Seiten)¸ Kampfschulen (34 Seiten)¸ Lektionen (80 Seiten)¸ Kriegswerkzeug (48 Seiten)¸ Gifte & Co (20 Seiten)¸ Kampfoptionen (20 Seiten)¸ NSCs (10 Seiten)¸ Fertigkeiten (30 Seiten)¸ Magie (70 Seiten)¸ neue Zauber und Regeln¸ Kreaturen (25 Seiten)¸ Vorzüge und Schwächen für Tiere (20 Seiten)¸ Erschaffung eigener Kreaturen (50 Seiten)¸ Armeen und Schlachten (30 Seiten) und Anhang (60 Seiten).
Natürlich könnte (vielleicht "müßte") man diese beachtliche Liste noch einmal im Detail durchgehen¸ doch das möchte ich mir und Euch ersparen. Statt dessen picke ich mir lieber ein paar Sachen heraus¸ die mir beim Stöbern besonders aufgefallen sind.
Ich möchte mit einer Sache beginnen¸ die bei einigen AC-Spielern auf Widerstand gestoßen ist. Es handelt sich um Kritik an einem Thema¸ das sich quer durch den Band zieht: Krieg und Schlachtfelder.
Ich weiß nicht¸ welche idealisierte und heroische Vorstellung manche Rollenspieler von einem mittelalterlichen Schlachtfeld haben¸ aber diese wird im Kompendium sicherlich nicht bedient. Arcane Codex kam mir auch nie als ein Rollenspiel vor¸ in dem besonderer Wert auf geschminkte High-Fantasy gelegt wird. Ganz in diesem Sinne¸ wühlt auch das Kompendium eine ganze Menge Dreck auf und macht ihn spielbar - sofern man sich dafür entscheidet¸ diese Optionen ins Spiel zu übernehmen. Wer den Reiz verspürt¸ vermag die Eigenschaften "Sadist" mit der neuen Schule der "Kriegshunde" verbinden und seine Erfüllung fortan im Brandschatzen¸ Plündern und Schänden suchen.
Allerdings bezweifle ich¸ daß solch ein Spieler - es sei denn in einer "Evil"-Kampagne - auf besonderes Verständnis seiner Mitspieler stoßen wird. Ich sehe solche Dinge eher als Optionen für Oberbösewichte und deren Schergen¸ die es zu bekämpfen gilt. Denn wo Schatten ist¸ strahlt das Licht von Heldentaten um so heller. Allerdings dürfte es auch nicht sonderlich schwerfallen¸ diese ca. 30 Seiten komplett zu ignorieren und sich am Rest zu bedienen¸ falls einem das Thema Schlachtfeld überhaupt nicht zusagt.
Und der Band bietet weitaus mehr als das. Ob man die Erweiterungen der Kampfschulen wirklich braucht¸ sei dahingestellt¸ aber die neuen und abwechslungsreichen Kampfstile und Lektionen dürften für viele ihren Reiz haben.
Eine wahre Fundgrube für den Spielleiter sind die etwa 100 Seiten Gegenstände (Artefakte¸ Waffen¸ Kriegsgerät¸ Gifte usw.)¸ vor allem¸ weil fast jeder Gegenstand illustriert wurde! Dazu gibt es sinnvolle Tips¸ wie zum Beispiel zum Thema "Schlafen in Rüstung" etc. Hier wurde zusammen gebracht¸ was zusammen gehört.
Wie schon gesagt¸ gibt es noch viel mehr zu entdecken und auch wenn man einiges davon vermutlich nicht für seine eigene Kampagne verwenden wird - sei es aus Zeitgründen oder schlicht weil man es inhaltlich ablehnt¸ so bleibt das Kompendium doch eine gigantische Ideensammlung für jeden AC-Spielleiter.
Technisches
Das Kompendium kommt als haltbares Hardcover mit einer ordentlichen Bindung daher¸ was bei der Seitenzahl auch sinnvoll war.
Ich habe die Grafiken nicht gezählt¸ aber es sind sehr viele. Dies ist vor allem deswegen bemerkenswert¸ weil der Großteil der Illustrationen mir gut bis sehr gut gefallen hat - und meiner Meinung nach gut zum düsteren Stil von Arcane Codex paßt. Da Geschmäcker aber verschieden sind¸ muß ich erwähnen¸ daß viele Darstellungen¸ gerade die weiblicher Wesen¸ sehr freizügig bzw. offenherzig sind - einige tendieren zum Geschmacklosen. Trotz aller Kritik jedoch nicht wirklich etwas¸ daß jemanden¸ der bis 22 Uhr unbetreut Fernsehen darf¸ noch schocken könnte.
Zur Qualität des Textes läßt sich anmerken¸ daß dem Band das eine Jahr unfreiwillige Verzögerung bei der Veröffentlichung gut getan hat. Die Zahl der Fehler hält sich in angenehmen Grenzen - was vor allem wegen der schieren Menge des Textes erstaunlich ist.
Erwähnenswert sind auch die eingestreuten Kurzgeschichten¸ die den Band auflockern und einen Einblick in die Spielwelt geben.
Der beiliegende Spielleiterschirm stellt gewissermaßen die Krönung im Preis-/Leistungsverhältnis dar. Der vierseitige und vorne farbig bedruckte Schirm bringt viel Atmosphäre auf den Spieltisch - allein die grauschattierten Tabellen auf der dem Spielleiter zugewandten Seite erfordern eine gute Lichtquelle.
Fazit:
Das Kompendium mag die Arcane Codex-Fangemeinde spalten - in jene Spieler¸ die jede optionale Erweiterung für ein in Stein gemeißeltes Gesetz halten und solche¸ die sich mit Bedacht die Perlen aus den 600 Seiten herauspicken und in die eigene Spielrunde übernehmen.
Wer den Band als Ideenquelle und unverbindliche Ergänzung zum Grundregelwerk versteht¸ kann meines Erachtens beim Kauf gar keinen Fehler machen. Angesichts des Preises von 35 Euro für 600 Seiten plus Spielleiterschirm muß man sogar von einem Schnäppchen reden. Vor allem angesichts der ordentlichen Qualität.
Selbst wenn man 300 Seiten des Inhalts - und das wäre die Hälfte des Bandes - als "ungeeignet" für den Einbau in die eigene Spielrunde erachten würde¸ würde der Rest immer noch ein angemessenes Preis-/Leistungsverhältnis bieten
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de