nicht das Ziel
1999-11
Spielercharaktere: Der Weg! - nicht das Ziel
Hiya! Dirks 'Earthdawn'-Traktat (Usenet) hat mich etwas inspiriert¸ über das Thema Weg im Sinne des japanischen -do nachzudenken. Ist es so schwer nachvollziehbar¸ daß als zentraler Charakterplot wirklich ein philosophisches Konzept¸ daß einen prozeßorientierten Reifungsprozeß beinhaltet¸ den SC trägt?
Der Weg des Schwertes¸ der Weg des Kriegers¸ der Weg des Diebes sind im Grunde doch alles nur Chiffren für das¸ was wir in manchen Systemen mit der Bio(graphie) des SC andeuten.
Wenn ich jetzt mal so ein klassisches Werk wie Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre heranziehe¸ und den dort geschilderten Reifungsprozeß des Charakters als archtypisch annehme¸ ist RPG doch oft nur ein "Versuch in Charakterstudie"¸ wenn man mal den munchkinism außen vor läßt. Das Experimentieren mit alternativen Handlungssträngen¸ Reaktionen und bestimmte Entwicklungsmustern gibt uns doch erst die Chance¸ für den jeweiligen SC einen Weg zu finden. Und das ist erst der Anfang.
Ich will jetzt gar nicht großartig irgendwelche Koryphäen (Asimov¸ Stackpole¸ etc.) heranziehen¸ aber das RPG greift IMHO auch ins RL über. David Gemmell (brit. High-Fantasy Autor) erzählte in einem Interview¸ daß er einen Brief eines Fans gekriegt habe¸ der ihm en detail erzählte¸ daß er bei einer Prügelei auf einem S-Bahnhof dazwischengegangen sei. Und zwar motiviert durch folgenden Gedanken: "Was würde denn wohl <Charakter XY> jetzt tun? Bestimmt nicht danebenstehen." Da die Sache auch noch gut ausging¸ war der Fan Gemmell zutiefst dankbar. Und beschloß weiterhin für das Gute zu streiten. Und Gemmell gab zu¸ daß dieser Brief IHM immer dann weiterhelfe¸ wenn ER demotiviert zum Schreiben sei.
Wenn ich das aufs RPG und den oben geschilderten philosophischen Ansatz des Wegs übertrage¸ dann bürde ich zwar dem SL eine ganz hübsche Verantwortung auf¸ gebe dem RPG aber auch ganz neue Perspektiven. Wenn es denn dazu beitragen kann¸ daß Entwicklungen im fiktiven¸ schmerzfreieren Raum vollzogen werden¸ und wenn denn diese ins RL übernommen werden¸ dann ist das doch das beste Argument für RPG¸ trotz aller Kritik (aus den USA oder von RTL Für die individuelle Entwicklung kann ein Abschnitt auf dem Weg des Vampirs oder auch dem Weg des Assassinen genauso wichtig sein¸ wie für jemand anderen die Erfahrungen¸ die er in der Gruppe mit gruppenspezifischer Kommunikation unter Streß macht. Worauf ich nun eigentlich hinauswill: wenn ich mir¸ als jemand¸ der insgesamt schon ein gutes Jahrzehnt am RPG hängt (Früher Vogel fängt den Wurm! g)¸ einige SC¸ die ich lange Zeit geführt habe¸ oder auch SC aus der Anfangszeit (DSA¸ alte Edition) betrachte¸ dazu die biographischen Notizen¸ (so sie noch vorhanden sind) wird mir einiges klarer. Da&ß ich mich z.B. lange vergeblich auf dem Weg des Magiers versucht habe. Daß ich eine Zeitlang fast zelotenhaft dem Weg des Klerikers folgte. Und daß alle meine Dieb-SCs früher oder später in andere Charakterklassen abwanderten. Also schaut Euch doch ruhig mal Eure ältesten SCs an¸ die ihr noch greifbar habt. Und denkt zurück. Und vielleicht... lächelt dabei. Über Euren persönlichen Weg. Gruß Alexandre W.-Ribeiro