Eindeutig zweideutig ist manchmal dreideutig
1999-11
Eindeutig zweideutig ist manchmal dreideutig
Gelächter erfüllt den kleinen Raum als Schwarzmann die Geschichte beendet. Mittlerweile haben sich auch die letzten drei Reisenden unserer kleinen Runde angeschlossen. Manch einer witzelt noch über das Mißgeschick der Brahmanin, aber immer vorsichtig ‐ wissen doch alle hier, wozu sie fähig ist.
Da meldet sich ein Shoapan zu Wort, der selbst für shoapanitische Verhältnisse zu klein geraten ist. Dennoch hören ihm alle aufmerksam zu:
"Mit dem Wahnsinn ist das so eine Sache. Auch ich dachte schon einmal ich würde ihm verfallen. Doch glücklicher Weise kam die Rettung mal wieder in letzter Sekunde."
Eine Stimme ertönt aus dem Hintergrund: "Woher weißt du, daß es die letzte war?"
"Weil ich heute hier bin." Antwortet TrauSchau ohne sich umzusehen, dann berichtet er unaufgefordert:
"Ich war damals mit meinen beiden Reisebegleitern, einem Samurai und einem chryseischen Gelehrten, aus Gründen die jetzt nicht wichtig sind, in einen im Sand versunkenen Tempel nahe Tura geraten. Nach unzähligen Fallen und Geheimtüren erreichten wir den Hauptraum, wo wir bei einem wilden Kampf die unter einem Bann stehenden Wächter überwältigten. Doch da uns der Rückweg durch die Fallgitter verwehrt war, mußten wir hier nach einem Ausweg suchen.
Also suchten wir den Raum gründlich ab, und siehe da ‐ nach einiger Zeit hatten wir einen Weg gefunden. Doch dem Gelehrten behagte der Gang nicht recht, so gingen wir erst einmal zu dritt weiter und ließen nur die Gefangenen gefesselt zurück. Schon nach wenigen Minuten standen wir vor einer Tür, hinter der es erbärmlich zu riechen schien.
Nach kurzer Diskussion öffneten wir auch diese Tür. Doch was unsere Augen dort erblicken und unsere Nasen riechen mußten, ließ unsere Mägen rebellieren.
Angefressene, verwesende Körperteile in der einen Ecke, schimmelndes Stroh in einer anderen. Und dann sahen wir ihn, den Dämon. Er mußte aus der finstersten Finsternis der Urzeit stammen. So groß wie ein Vykinger, aber doppelt so breit. Mit schmutzigem Pelz am ganzen Körper. Die Augen blickten uns dumpf an, als er sehr langsam auf uns zu kam.
Ich sah noch aus dem Augenwinkel, daß der Samurai einige Probleme mit seinem Magen bekam. Er war wirklich ein herzensguter Kerl, zwar noch etwas jung und nur mit mäßigen geistigen Fähigkeiten ausgestattet, aber ein guter Kämpfer mit seinen beiden Kathanas.
Dann griff ich das Ungetüm an. Hier und dort konnte ich es treffen und seinen wuchtigen aber langsamen Hieben mit seinem Knüppel ausweichen. Dann traf er mich in einem unachtsamen Moment ‐ der Samurai hatte sich endlich eingeschaltet ‐ direkt auf den Kopf.
Es wurde Nacht um mich. Später erfuhr ich, das der Samurai die Bestie schließlich besiegt und der Gelehrte meine Wunde versorgte hatte. Nach einigem Suchen fanden sie in einer der Säulen in der Haupthalle einen weiteren Geheimgang, der noch tiefer in die Erde führte, dem folgten sie.
Doch von all dem bekam ich nichts mit. Ich befand mich im Nichts. Ich konnte nichts sehen, weil es dort nichts gab. Ich konnte nichts fühlen ‐ ich hatte keinen Körper, ja eigentlich dachte ich nicht einmal. Ich hatte einfach keine Gedanken.
Da es dort auch keine Zeit gab, weiß ich auch nicht wie lang ich dort war. Dennoch erfaßte mich nach und nach eine Art Unruhe.
Das Nichts verschwand. Zuerst sah ich nur Dunkelheit, doch ganz allmählich erwuchsen Schatten daraus. Die Schatten wurden zu Priestern, die sich in einem Raum befanden. Alles wurde immer deutlicher, als würde ich direkt zwischen ihnen stehen, doch noch immer hatte ich keinen Körper. Aber denken konnte ich wieder.
Die Priester ‐ fünf an der Zahl in verschiedenfarbigen Gewändern ‐ standen im Kreis um etwas herum, daß ich noch nicht erkennen konnte. Es erklangen seltsame Gesänge, in einer Sprache die ich nie wieder gehört habe. Dazu tanzten sie auf der Stelle. Ich fragte mich gerade, wo ich nun wieder hineingeraten wäre, als sich etwas monströses in deren Mitte bildete.
Ein Dröhnen und Heulen erfaßte den Raum, daß sogar der Kalk von der Decke rieselte. Eine Art Wolf mit übergroßem Kopf erschien. Die Priester hielten vor Schreck in ihrem Gesang inne und das war wohl ihr Todesurteil. Dieses Wesen knurrte und hieb gleichzeitig mit unzähligen Armen auf die Priester ein. Keiner konnte entkommen.
Es war eine entsetzliche Szene. Hier trennte er einen Kopf vom Rumpf, dort ein Bein. Einen anderen teilte er der Länge nach in zwei Hälften. Überall spritzte das Blut. Dabei dauerten alle Bewegungen mehrere Lid-schläge.
Sicher, in jedem Kampf fließt Blut. Doch dieses Vieh hatte eindeutig Freude daran. Als er alle getötet hatte, ließ er sein gellendes Gelächter erschallen und ver-schwand.
Als das Bild vor meinen Augen verschwand, atmete ich erleichtert auf. Von mir hatte es keine Notiz genommen. Glücklich immer noch denken zu können und nicht wieder in dieses Nichts zu fallen, wollte ich mich schon daran machen, einen Fluchtplan zu schmieden, als die Dunkelheit wiederkam.
Alles begann von vorn, die Priester mit ihrem Gesang, das Heulen der Bestie und die Todesschreie der Ermordeten. Doch dieses Mal nicht mehr ganz so deutlich.
Fünfmal mußte ich diesen Tanz des Todes mit ansehen, bis er endlich ganz erlosch. Dann wurde es finster um mich. Doch den Göttern sei gedankt, behielt ich noch immer meinen Verstand. Allerdings schien es um diesen nicht mehr so gut bestanden zu sein, hörte ich doch plötzlich eine leise Melodie. Mal kam sie von vorn, mal von hinten. Eigentlich kam sie von überall her. Das Schwarz wurde zu Rosenrot, dann zu Himmelblau und schließlich zu einem wabernden Blassrosa.
Endlich hatte ich auch wieder einen Körper, auch wenn an ihm nicht ein Stück Stoff war ‐ mir war nicht kalt. Doch leider konnte ich ihn nicht bewegen. Nicht einmal die Augen konnte ich schließen ‐ doch ich hatte meinen Körper zurück.
Immer wieder gab mein Verstand die Befehle an Hände und Füße, doch nichts regte sich. Dann bemerkte ich, daß ich gar nicht wußte, ob ich stand, lag oder gar kopfüber hing. Wollte dieser Irrsinn denn niemals enden? So beschloß ich erst einmal ruhig zu bleiben, meine Kräfte zu sparen und auf das zu warten, was da aus der wabernden Masse auf mich zu kam. Schlimmer als die Bestie konnte es eh nicht sein. Dachte ich zumindest!
Das Wabern zog sich zusammen, die Melodie wurde deutlicher. Sie schien jetzt von dem Schimmer auszugehen. Immer enger zog es sich zusammen, bis eine Frauengestalt sichtbar wurde.
Oh, aber keine gewöhnliche. Ihr Körper war vollkommen, ihre Haut alabastern und ihr Haar glänzte wie Seide. Doch erst ihre Augen. Sie versprachen einfach alles, was ihr Mund da von sich zu geben schien. Und diese Lippen ‐ Rosenblütenblättern gleich.
Sieben Schleier trug sie am Körper, die sie während ihres Tanzes, den sie neben mir, über mir, unter mir, um mich herum vollführte, langsam fallen ließ. So edel wie ihr Aussehen, so erfahren waren ihre Bewegungen. Kein Mann hätte ihr widerstanden! Sie hätte sogar einem Eunuchen seine Manneskraft zurückgegeben!
Doch noch immer konnte ich nicht einen Muskel rühren. Verzeiht meine Dame, aber nur ein Mann kann verstehen, wie ich mich fühlte.
Als sie den letzten Schleier fallen ließ, saß sie schwebend auf mir. Und so wie der Schleier fiel, fiel auch die Lähmung von mir. Endlich! Endlich konnte ich mich wieder bewegen! An Flucht dachte ich nicht gerade. Doch ich hätte es tun sollen.
Und wie ich mich bewegte! Doch gerade als wir am schönsten Moment angelangt zu sein schienen, veränderte sie sich blitzartig. Ich hielt nicht mehr die Schönheit in Armen, sondern ein ekelerregendes Wesen mit eitrigen Stellen am Körper. Ich roch fauligen Atem aus einem Maul, das vor nadelspitzen Zähnen blitzte.
Panik ergriff mich! Mein Verstand wollte schon wieder ohne mich das Weite suchen. Wie von Sinnen schlug ich um mich, versuchte aus dieser tödlichen Umarmung zu entkommen. Denn töten wollte mich dieses Wesen!
Ein Kampf auf Leben und Tod war entbrannt, den ich nur verlieren konnte, hatte ich doch keine einzige Waffe bei mir. Ich konnte mich aus der Umklammerung nicht befreien, meine Kräfte begannen schon zu schwinden ‐ hatte ich mich doch vorher schon arg verausgabt. Das Maul kam langsam auf meinen Hals zu, als wolle es zum Todesbiß ausholen. Mit letzter Kraft stemmte ich beide Hände gegen seine Brust, dabei berührte ich das Amulett, das von dem kurzen Hals herabhing. Die Bestie hielt inne. Hatte es gerade noch siegessicher geblickt, blitzte jetzt Unsicherheit in seinen Augen. Ohne weiter darüber nachzudenken ergriff ich das Medaillon und riß es ihm vom Hals.
Schon begann ich zu fallen. Tiefer und immer tiefer, dabei konnte ich noch lang das enttäuschte Geschrei der Bestie hören. Doch das war mir egal. Ich war frei! Wo immer mich das Schicksal auch landen ließ ‐ nur weg von diesem Wesen.
Dann wurde es finster um mich. Und aus der Finsternis wurde wieder dieses Nichts. Auch meine Gedanken verschwanden wieder, doch dieses Mal war ich nicht traurig darüber. Dieses Nichts war besser, als das was ich erlebt hatte.
Plötzlich bekam ich einen Schlag auf meine Rechte und als ich die Augen aufschlug, sah ich in das ängstliche Gesicht des Samurai. Da ich all zu arg um mich geschlagen hatte, wollte er mich auf diese Weise wieder beruhigen. Ich hatte nach dem Schlag auf den Kopf das Bewußtsein für längere Zeit verloren. Und sie hatten mich auf dem weiteren Weg von zwei Gefangenen tragen lassen.
Sicher, ihr glaubt, es war ein Traum ‐ doch ich habe etwas später den Raum mit den Überresten der toten Priester gesehen. Genauso wie der Dämon sie in meiner Vision verlassen hatte. Wenn auch vom Staub der Jahrhunderte bedeckt, das war wirklich passiert!"
Kassaia