In Nomine / Magna Veritas
1999-07
Skandale
Kaum ein Rollenspiel hat so hohe Wellen der öffentlichen Entrüstung abbekommen und wird immer noch (erfolgreich) frei verkauft. IN NOMINE (das anfangs (1994) noch als IN NOMINE SATANIS verkauft wurde) entsprach in seiner Form genau dem flachen und medienwirksamen Bild¸ daß die Journalisten zu seiner Zeit von der Thematik Rollenspiel hatten: Rollenspiel = Satanismus. Dabei übersah man nur allzu gerne die satirischen Elemente und den schwarzen Humor der an allen Enden aus den Seiten des Regelwerks quillt - wichtig war nicht der wirkliche Inhalt - nur das Wort "Satan". Daran änderte auch das Erscheinen des Regelwerkes für die 'andere Seite' sprich das engelhafte MAGNA VERITAS nichts mehr.
Nun gut¸ die Zeiten ändern sich (die Presse leider nicht) und zumindest die Macher von IN NOMINE haben hinzugelernt und verkauften ihr Regelwerk (zumindest in Deutschland) zum Selbstschutz vor schlagzeilengeilen Journalisten nur noch in einer neutraleren Box¸ auf der das Wort 'Satanis' verschwand und durch den Aufdruck 'Vorsicht Satire' ersetzt wurde. Anstelle eines Pentagramms prangen nun eine Lady in sündigem Outfit und ein Highlander-Verschnitt auf der Front und laden zum niemals enden wollenden Reigen zwischen Himmel und Hölle.
Die stabile Box enthält
- die zwei Grundregelwerke IN NOMINE SATANIS: Bittersüß und Rabenschwarz und MAGNA VERITAS¸ die als Softcover jeweils 82 A4-Seiten umfassen. Beide Ausgaben verfügen über zweifarbige Seiten¸ wobei vor allem der Goldrahmen bei IN NOMINE SATANIS sehr edel wirkt.
- In einer Tüte gebündelt fallen einem 3 sechsseitige Würfel entgegen¸ außerdem
- insgesamt 16 Charakterblätter (je 8 pro System¸ mit Verzierungen in Goldfarbe) im Bundle
- ein vierseitiger Spielleiterschirm dessen farbige Spielerfront ein irres Panorama mit dem Motiv einer Art Opferung zeigt und ein
- Pocketheft (etwa halbes längliches A4-Format) mit zwei Kurzszenarien.
Beginnen wir mit IN NOMINE SATANIS¸ daß meines Wissens auch als erstes auf den Markt kam. Der schlichte zweifarbige Einband (Softcover) macht einen guten Eindruck. Die Verwendung der Goldakzente setzen sich auf den inneren Seiten als Umrandung über alle Seiten fort. Bevor man mit dem eigentlichen Inhalt beginnen kann¸ wird man als kontinuierlicher Leser bereits über mehrere Warnungen über den Inhalt gestolpert sein. Ich kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken¸ auch wenn mir bewußt ist¸ aus welcher Intention ein Verlag solche Wege beschreitet - es ist die schlechte Erfahrung mit der Regenbogenpresse. IN NOMINE empfiehlt sich selbst ab einem Alter von 16 Jahren. Religiöser Einstiegsschock |
Die Regeln von IN NOMINE mögen fremdartig sein - allzu kompliziert sind sie nicht. Alles baut auf den drei verschiedenfarbigen sechsseitigen Würfeln auf¸ mit denen sich allerlei Kombinationen erreichen lassen (1W6¸ 2W6¸ 3W6¸ 1W6+3¸ usw.). Mit dem Die Besonderheiten bei IN NOMINE stellen der W66 und der W666 dar. Damit lassen sich zwei- oder dreistellige (!) Zahlen ermitteln. Man legt dazu die farbliche Reihenfolge fest und ließt Einer-¸ Zehner- und Hunderterstelle ab. Der Clou beim W666: die ersten beiden Würfeln ergeben eine zweistellige Zahl und der Dritte eine einstellige. Mit einem Ergebnis von z.B. "562" läßt sich die Universaltabelle benutzen¸ die z.B. Angriffserfolg/-effekt (56) und Schadenspunkte (2) mit einem Wurf ermittelt.
Jeder Diener Satans singt übrigens ein Freudenlied¸ wenn einmal die "666" - also die Zahl des Tieres - fällt. Satan persönlich mischt sich dann ins Geschehen ein und das tut er i.d.R. zugunsten seiner Jungs...
Ein Charakter setzt sich aus sechs Eigenschaften (Stärke¸ Gewandtheit¸ Präzision¸ Wahrnehmung¸ Ego und Erscheinung) und einer Reihe von Fertigkeiten und Kräfte zusammen.
Die Einstufung der Eigenschaften erinnert dabei an die von Storyteller: ein Wert von 1 ist seh schwach und die 6 ist sogar für Dämonen beachtlich.
Verschiedenste Fertigkeiten können bis zu einem Bonus von maximal +3 gesteigert werden. Will man eine unbekannte Fertigkeit anwenden¸ so sind entsprechende negative Werte angegeben¸ die von -1 bis -8 reichen können. Die übernatürlichen Kräfte werden wie normale Fertigkeiten behandelt - sind jedoch nur Dämonen zugänglich.
Die Universaltabelle
Der Clou des Regelsystems ist die Tabelle für alle Fälle¸ die auch auf jedem Charakterblatt vorhanden ist. Zielwerte lassen sich hier über die Höhe der Eigenschaft (Spalte) und Stufe von Eigenschaft oder Schwierigkeit (Zeile) zu einer zweistelligen Zahl (11 schwer - 66 gelingt automatisch) ermitteln. Bei einer Aktion wird ein W666 gewürfelt und die ersten beiden Stellen mit dem Tabellenwert verglichen. Für eine erfolgreiche Aktion muß der Tabellenwert unterschritten werden. Die bislang ungenutzte Einserstelle gibt dann die Qualität der erfolgreichen Aktion an.
Konflikte
Werden zwei W666 im direkten Konflikt gewürfelt¸ so kann es vorkommen das beide Aktionen laut Universaltabelle gelingen. In solchen Fällen bestimmt die höhere Einserstelle den Gewinner. Ggf. wird ein Effekt anschließend durch die Differenz vermittelt.
Natürlich kann der Spielleiter jederzeit Modifikationen (positive wie negative) bestimmen¸ um so die Erfolgsaussichten für eine Aktion zu verändern.
Insgesamt ein interessantes System¸ wie ich meine - allerdings doch schade¸ daß man nicht irgendwie ganz auf die (kleine) Tabelle verzichten konnte.
Charaktererschaffung
Kommen wir zum interessantesten Teil: der Charaktererschaffung. Die Einteilung erfolgt grob in Menschen¸ Untote¸ Vertraute (niedere¸ bereits einmal gestorbene Dämonen) und Dämonen. Spieler übernehmen idR die Rolle der letzten Gruppe¸ denn Dämonen sind die machtvollsten Wesen in dieser Rangfolge und erhalten dementsprechend auch die meisten Entwicklungspunkte und geringsten Einschränkungen. Sie gelangen auf die Erde¸ indem sie den Körper frisch verstorbener Übernehmen.
Ein wesentliches Element sind natürlich die übernatürlichen Kräfte¸ die u.a. von der Gunst eines der zehn Dämonenprinzen abhängen. Die bereitgestellte Tabelle kann mit mehr oder weniger Zufallscharakter benutzt werden um passende Kräfte für seinen Charakter zu finden. Alle Kräfte (reichen von Hörnern über Zeitsprung bis zum Mafioso als Kontaktperson) werden auf den Folgeseiten ausführlich erklärt. Besonders heikel ist die sechste Spalte¸ die nämlich nur fiese Nachteile enthält.
Die Kräfte können übrigens nicht unbegrenzt eingesetzt werden (oh¸ ich habe vergessen den Feuerodem zu deaktivieren - jetzt sind alle tot...) sondern müssen durch Kraftpunkte aktiviert werden¸ deren Zahl gleich Ego (siehe Eigenschaften) plus Summe der Kräfte entspricht.
Die weiteren Regelbeschreibungen beschäftigen sich mit Fortbewegung¸ physischen und mentalem Kampf die im wesentlichen durch passende Eigenschaften beeinflußt werden. IN NOMINE ist rundenbasiert und auch sehr splatterlastig (d.h. schnell und tödlich). Eine genauere Ermittlung von Trefferzonen und Schadenswirkung gibt es übrigens nur im Todesfall¸ was den Ablauf noch mehr beschleunigt - aber Tode in angemnessener Ausführlichkeit behandelt. Insgesamt läßt sich auch dieser Regelpart schnell erlesen und umsetzen.
Dämonen
Satan hat seine Untergebenen in eine strenge Hierarchie gepreßt¸ an deren untersten Stufe die untoten stehen. Als Spieler eines Dämonen ist man nur noch seinem Prinzen und Satan persönlich Rede und Antwort schuldig. Der Band klärt den Leser über die Kommunikation der 'Bösen' untereinander auf¸ beschreibt die Vergabe von Einsätzen und deren Belohnung. Steigt ein Dämon in der Gunst seines Prinzen¸ so kann dieser ihm zusätzliche Gaben verleihen. Ansonsten erhält ein Charakter natürlich im Laufe seines Lebens Erfahrungspunkte¸ die er zum Kauf neuer Fertigkeiten und Kräfte nutzen kann.
Mit der Erfahrung steigen bei entsprechendem Verhalten auch die sog. Sündenpunkte an. Sind diese erst einmal in ausreichender Zahl vorhanden¸ beginnen die Mächte des Guten mit ihrer Observation¸ bzw. Jagd. Das kann so weit gehen¸ das einem plötzlich eine Horde Engel auf die Schulter klopft - für einen Dämonen sicherlich keine angenehme Situation...
Auf der anderen Seite erwarten die eigenen Vorgesetzten natürlich möglichst effektive Erfolge. Sieben Dämonen-Regeln weisen dem Spieler den Weg (z.B. "4) Zerstörung aller himmlischen Wesen").
Vielleicht die interessantesten Seiten des Bandes liefern die detaillierten Beschreibungen der Dämonenprinzen. Neben originell abartigen Kurzgeschichten folgt jeweils ein Schwall von Werten und Spielleiterhinweisen.
Den Abschluß des Bandes bilden ein vierseitiges Abenteuer 'Ein kleines trauriges Mädchen' und ein Charakterblattvordruck.
MAGNA VERITAS
Der zweite Band¸ stellt die 'andere'¸ also die himmlische Seite vor. Rein Regeltechnisch tut sich natürlich nichts¸ weshalb ich hier auch nur auf die himmlischen Eigenarten eingehen möchte.
Anstelle reinen Schwarz¸ überwiegt ein himmlischer Blauton sowohl Cover wie auch die Randgestaltung der Innenseiten. Anstelle von Drudenfüßen beherrschen hier Kreuze das Bild - dennoch findet man auch hier allerhand Warnungen. Im Prinzip ist dieser Band genauso aufgebaut wie IN NOMINE SATANIS. Statt eines Dämonen spielt man einen Engel und anstelle der satanischen Kräfte stehen einem göttliche Gaben zur Verfügung. Insgesamt tut sich jedoch auch bei den Gaben keine allzu große Kluft zum bekannten Schema auf - allein Feinheiten wie Weihwasser oder humanitäre Vereine als Kontakte machen den Unterschied. Auch die Übernahme von 'Wirtskörpern' verläuft bei Engeln etwas anders als bei Dämonen. Es werden nur Körper übernommen¸ deren Besitzer damit einverstanden sind. Die Seelen können sich in der Zeit des himmlischen Austausches von allen Sünden reinigen. Spätestens zum Zeitpunkt des natürlichen Todes¸ gibt der Engel den menschlichen Körper wieder frei - die Seele des Verstorbenen kann daraufhin ebenfalls zu einem Engel oder minderen Streiter Gottes aufsteigen. Etwas lästig ist de Umstand¸ das die Seele während der Übernahme jederzeit ihren Körper zurückfordern kann. An die Stelle von Dämonenprinzen treten Erzengel die ebenfalls ausführlich beschrieben werden. Wer glaubt das die Kurzgeschichten hier langweiliger ausfallen als im anderen Band irrt sich allerdings gewaltig - auch Engel können ganz schön teuflisch sein. Ein sechsseitiges Abenteuer und das Charakterblatt beschließen den Band. |
Sonstiges
Der vierteilige Schirm enthält alle wichtigen Tabellen und Wurfmodifikationen. Das Panoramabild auf der Front erscheint mir ein wenig konfus und schwer zu deuten¸ aber es paßt zur Atmosphäre von IN NOMINE. Die Charakterblätter lassen sich gut Kopieren oder Scannen - verlieren dabei aber in der Regel ihren 'goldigen' Charme. Die drei Würfel eignen sich zum Würfeln sind aber ansonsten nicht der Rede wert. Der Pocket-Szenario-Doppelband liefert zusätzlichen Stoff für zwei weitere Abende¸ auch wenn mir eines der beiden eher als Werbung für den Band Berserker erschien.
Fazit
« i » Anfangs wurden die Bände noch einzeln für je 28.-DM verkauft. Ich bin mir derzeit noch ein wenig unsicher ob die 13.-DM Differenz sich durch Box¸ 6er Würfel¸ Charakterblätter und Spielleiterschirm in meinen Augen rechtfertigen.
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« i » Das Layout ist ansprechend und die guten Texte sind - passend zum Thema - entsprechend satirisch ausgefallen. Allein das Lesen bereitet schon eine Menge Freude - ich denke das Spielen genauso¸ wobei die Auswahl der richtigen Leute für den Spielspaß wesentlich ist.
Ob das Spiel auch auf längere Zeit motiviert kann ich nicht sagen¸ da mir bisher keine 'Dauer-IN NOMINE-Spieler' über den Weg gelaufen sind. Wahrscheinlich (nachdem was man hört und sieht) handelt es sich hierbei eher um ein typisches Alternativsystem¸ das man gerne mal zur Abwechslung für zwei Abende einschiebt oder auf einer Convention mit wechselnden Gruppen genießt.
Dogio the Witch |