Computer und Rollenspiel
1999-02
Computer und Rollenspiel
Seit kurzem liegt die Version 2.0 des Charakter-Generators MidGen unter
bereit. Das soll für mich Anlaß sein¸ einmal den Versuch einer Anleitung¸ oder besser: einen Vorschlag zum Gebrauch dieses Programms im Speziellen¸ und informatischer Hilfsmittel beim Rollenspiel im Allgemeinen¸ zu machen.
Dazu muß ich sagen¸ dass ich die Entwicklung des Generators (damals noch auf dem Amiga) zunächst ohne konkrete Intention begonnen habe. Die Programmierung war eher eine Art Ersatzhandlung für Rollenspiel in Zeiten¸ wo sich meine Gruppe nicht so häufig treffen konnte. Dass sich das Ganze zu einem Zigtausend-Zeilen-Code- und Mehrpersonen-Projekt ausgewachsen hat¸ stellt mich vor die Frage nach dem Sinn der Aktion. Mein Vorschlag ist deshalb durchaus als nachträgliche "Rationalisierung" zu verstehen.
These: Charakter-Generatoren sind lediglich für zwei Gelegenheiten gut:
- bei Situationen¸ wo es nötig ist "schnell mal eben" eine Figur zu erschaffen - etwa bei Instant-Abenteuern oder für GastspielerInnen¸ die nur einen Abend mitspielen.
- als Hilfe für SpielleiterInnen¸ die auf diese Weise wichtige Nichtspieler-Figuren einfach und Zeitsparend verwalten können.
Nun weiß ich aber von verschiedenen Spielern¸ die offensichtlich ihre Spieler(!)-Charaktere mit Hilfe des Computers verwalten wollen :-] - ja¸ ich hatte sogar Anfragen von Spielern¸ die ihre langjährig gespielten¸ lebendigen Figuren in das digitale Schema des Computers zwängen wollten (sorry Leute). Ich halte diesen Ansatz für falsch. Computer-Schemata oder Regelwerke können nur den Ausgangspunkt bilden für Phantasie und Kreativität - sie sind lediglich Werkzeuge. Kein Computerprogramm wird je in der Lage sein¸ den gesamten Reichtum der menschlichen Phantasiewelt adäquat wiederzugeben (z.B. selbst ausgedachte Charaktertypen). Wer die Phantasie den begrenzten Computer-Möglichkeiten unterordnet negiert das Potential des Rollenspiels. Es geht ja nicht um juristisch richtig angewandte und unveränderbar vorgegebene Regeln¸ sondern um bewußte Projektionen der eigenen Schöpfungskraft. Also: Transzendiert die Regeln¸ zementiert sie nicht!
Unsere Phantasiewelten haben notgedrungen eine Repräsentanz in der sog. Wirklichkeit - sie sind beides: gedankliche Konstruktion und Wirklichkeit¸ weil es wirkliche Menschen sind¸ die sich kollektiv und bewußt in Phantasiewelten 'zurückziehen'. Durch die Wahl der Details dieser Wirklichkeiten¸ dieser Repräsentationen meiner Gedankenwelt beeinflusse ich natürlich die Fruchtbarkeit meiner Phantasie. Phantasiegebilde (Spielfiguren etwa) und ihre Repräsentation¸ ihr Verdinglichung¸ (z.B. ein Charakterbogen) stehen in Wechselverhältnis zueinander. Meine lange gespielte Spielfigur hat genau soviele Narben wie ihr Charakterblatt Risse und Knicke hat. Der Grad einer Spielfigur entspricht ihrer Erfahrung¸ ihrer Macht¸ was sich auch an der Erscheiinung des Charakterbogens bemerkbar macht: Ein Bogen¸ der in der Mitte mit Tesa zusammengeklebt ist¸ vergilbt von der Zeit¸ dünn durch das Radiergummi¸ braun von Teeflecken und an den Rändern ausgefranst - solch ein Bogen entwickelt einfach eine Aura¸ eine Seele. Deshalb ist für mich die Vorstellung¸ nach jedem Lernen (am Computer) den Bogen neu auszudrucken¸ einfach gräßlich! Das Neu-Ausdrucken mag andererseits für den Spielleiter¸ der eine gewisse Distanz zu seinen Nichtspieler-Figuren wahren sollte¸ ganz heilsam sein und kommt wohl (ökologisch gedacht wegen des Papierverbrauchs) auch nicht so häufig vor.
Es geht mir also in erster Linie um Stimmung. Herumwühlen in Haufen von Computerausdrucken und vielleicht gar das ständige Rauschen des Computerlüfters im Hintergrund zerstören die Phantasie¸ sind schädliche Methoden ihrer Verdinglichung. Wer die direkte sinnliche Erfahrung allein des Würfelns durch den Pseudo-Zufallsgenerator des Computers ersetzt nimmt sich etwas. Die 'richtige Verdinglichung' sind immer noch Würfel¸ Bleistift¸ Radiergummi und ein einziges Charakterblatt¸ dass die gesamte Lebensgeschichte des Charakters dasselbe bleibt. Vielleicht noch passende Musik¸ Kerzenlicht und Tee - aber mehr braucht SpielerIn wirklich nicht. Anders herum: Wer auf der gedanklichen Abstraktionsebene des Computerbildschirms gefangen ist braucht nicht Midgard zu spielen¸ braucht auch keine Mitspieler¸ sondern spielt am besten gleich 'Baldurs Gate'.
Nun ja¸ das ist vielleich doch ein bißchen krass ausgedrückt. Es ist nur meine subjektive Meinung¸ die sich nicht mit der anderer decken muß. Aber ich wollte das mal gesagt haben¸ weil ja jedeR verantwortlich ist für die Geister die er/sie rief. Ich bin vielleicht auch ein wenig konservativ und technikfeindlich in dieser Beziehung¸ aber ich sehe eben Gefahren in der Cyberisierung des Rollenspiels und meinem eingenen Beitrag zu dieser Entwicklung.
Thomas Mielke |