Diarmuid und der Waechter der Quelle
1996-11
Diarmuid und der Wächter der Quelle
Vor längerer Zeit sprach ich in dem Artikel Grailing eine Sage über keltische Helden an¸ die auf einer fremden Insel den Eingang in ein unterirdisches Reich finden - zu Eurer Unterhaltung also nun herausgesucht (aus dem von der Redaktion der Time-Life Bücher in der Verzauberte Welten-Reihe erschienen Buch Verwunschene Reiche)...
Was im Folgenden hier berichtet wird¸ kann auch getrost nach MIDGARD übernommen werden¸ denn auch dort existieren Coraniaid und Emhain Abhlach¸ das Land der Jungen¸ das keinen Tod kennt¸ ebenso wie es einst die heldenhaften Fianna gab (vgl. An Stair To'thal Nathrach¸ Die Geschichte des mächtigen Volkes der Schlange (Teil 1) von Ainamh ay'crionn¸ GB 29):
Eine offene Stelle im Meer oder an Land - ein Wasserstrudel¸ ein See¸ eine Höhle¸ eine Quelle - konnte ein Zeichen sein¸ daß hier die Grenze zu einem Zauberreich verlief. Diarmuid fand eine solche Stelle. Er forderte den Wächter des Wassers heraus und tauchte ins Abenteuer.
Vor Jahrhunderten wagten sich einst die Fianna¸ die glorreiche Bruderschaft¸ die unter ihrem Häuptling Fionn Wächter der Könige von Erainn waren¸ in das Feenland vor.
Es begab sich einmal¸ daß vierzehn dieser Fianna dazu verleitet wurden¸ ein Feenroß zu besteigen. Das Pferd wuchs zu gigantischer Größe heran¸ so daß es sie alle tragen konnte¸ und verlie߸ von Zauberkräften beflügelt¸ die Weiden der Fianna¸ um in das Meer zu galoppieren¸ in dessen schimmernden Wogen es mit den Männern verschwand.
Wie ihr Eid ihnen gebot¸ schickten die Fianna eine Schar von Kriegern hinter den Männern her. In einem Coracle¸ einem von Häuten bezogenen Boot¸ das Fionn steuerte¸ fuhren sie in die Richtung¸ in der das Pferd davongaloppiert war. Sie reisten tagelang¸ bis schließlich ein ihnen unbekanntes Land in Sicht kam. Es war eine von schäumender Brandung umrauschte Insel¸ mit hohen¸ schrundigen¸ von kreischenden Seevögeln umflogenen Kliffs. Fionn steuerte das Boot in eine schützende Felsenhöhle¸ und Diarmuid¸ Donns Sohn¸ der tapferste und unternehmungslustigste von ihnen¸ stieg aus¸ um die Insel zu erkunden.
Diarmuid kletterte an den glitschigen¸ von Gischt überschäumten Felshängen hoch und wehrte die ihre Nester verteidigenden Seevögel ab. Als er oben angelangt war¸ schaute er nieder. Einer Nußschale gleich dümpelte weit unter ihm in der Brandung das Boot; von seinen Gefährten sah er nichts als die kleinen blassen¸ ihm zugewendeten Gesichter. Er winkte ihnen zu¸ um ihnen zu bedeuten¸ daß er in Sicherheit sei¸ und machte sich landeinwärts auf den Weg.
Vor ihm breitete sich ein flaches¸ grünes¸ von Waldflecken bewachsenes Land aus. Inmitten der Wiesen stand ein einzelner Baum¸ ein mächtiger¸ ausladender Baum mit schweren Ästen¸ auf den Diarmuid zuging. Zwischen seinen gewundenen Wurzeln erhoben sich aufrecht stehende Steine¸ zu deren Füßen sich das leuchtende Wasser eines Brunnens ergoß. Neben dem Brunnen hing ein goldenes TTrinkgefäß. Diarmuid nahm es¸ tauchte es in das Wasser der Quelle und hob es an die Lippen.
Bevor er trinken konnte¸ wurde ihm das Gefäß aus der Hand geschlagen. Er fuhr herum und sah vor sich einen stämmigen¸ weißbärtigen Mann mit einem goldenen Helm¸ der sein Schwert zog und es gegen ihn erhob. Blitzschnell zog auch Diarmuid sein Schwert¸ und verbissen kämpften sie den ganzen Nachmittag gegeneinander¸ während die Luft kühler und die Baumschatten länger wurden. Als die Dämmerung hereinbrach¸ verschwand der Mann mit dem goldenen Helm¸ Diarmuid blieb allein.
Der Kampf wurde am nächsten Tag wieder aufgenommen: Sein Gegner erschien und drang wütend auf ihn ein¸ um¸ als die Nacht hereinbrach¸ ebenso schnell zu verschwinden¸ wie er gekommen war. Am dritten Abend jedoch kam Diarmuid ihm zuvor; als der erste Stern sich am Himmel zeigte¸ warf er sein Schwert fort und stürzte sich auf den Feind. Er umschlang mit den Armen die Hüfte des weißbärtigen Mannes¸ der nun¸ vereint mit ihm¸ tief in die andere Welt hinabtauchte. Er sprang mit ihm in den Brunnen¸ und einen Augenblick lang sah Diarmuid nichts als den schwarz gerandeten¸ dämmrigen Himmel. Dann schlug das Wasser über ihm zusammen. Tiefer und tiefer sanken die beiden hinein in die Schwärze¸ in der dem Erainner die Welt verging.
Als er erwachte¸ war er allein. Er lag auf einer ausgedehnten Lichtung am Rand des Waldes; in der Ferne erhoben sich die Türme einer goldenen Stadt in den sonnigen Himmel. Sein Gegner war nirgends zu sehen.
Aber andere Feinde lagen schon auf der Lauer. Kriegsgeschrei ausstoßend¸ stürmte¸ Mordgier in den Augen¸ eine Schar von Männern zwischen den Bäumen hervor. Diarmuid hatte nichts als sein Jagdmesser¸ um ihnen entgegenzutreten¸ aber mit diesem Messer war er ein gefährlicher Gegner. Er war wendig wie eine Katze; ein Mann brach zusammen¸ dann ein zweiter und ein dritter. Kampflustig sprang Diarmuid zwischen ihnen umher. Schließlich stürzte der letzte von ihnen zu Boden¸ noch im Fallen schlug er Diarmuid nieder. Wieder wurde dem Recken schwarz vor Augen.
Eine leise Stimme weckte ihn. Ein in Seide gekleideter Mann beugte sich zu ihm hinab. Erhebe dich¸ Sterblicher¸ und komm mit mir¸ sagte er. Ich will dich mitnehmen zu einem Ort¸ wo du von deinen Wunden geheilt wirst¸ denn Großes hast du an diesem Tag für mein Volk geleistet.
Dann führte er Diarmuid in die schimmernde Stadt¸ wo er die Männer fand¸ mit denen er hergesegelt war¸ und auch diejenigen¸ die auf dem Zauberroß im Meer verschwunden waren. Sie alle¸ sagte der weißbärtige Mann¸ seien an diesen Ort Unter-den-Wogen gebracht worden¸ um den Coraniaid gegen ihre Feinde in einer Zeit beizustehen¸ in der die Coraniaid nur mit menschlicher Hilfe siegen konnten. Alle hatten sie ebenso tapfer wie Diarmuid gekämpft.
Aber wer waren die Feinde¸ und worum ging es in diesem Krieg? Die Geschichte gibt keine Antwort darauf. Sie berichtet nur¸ daß Diarmuid und die Fianna aus ihrer Welt zu Hilfe gerufen worden waren¸ um den Kriegern einer anderen¸ schwächeren Welt beizustehen. Den sterblichen Männern war¸ wie schon vielen vor und nach ihnen¸ nur ein flüchtiger Einblick in das verborgene Leben unter der Erde und der See gewährt worden. Als Diarmuids Wunden geheilt waren¸ fanden die Fianna sich zurückversetzt auf ihre Weiden und an ihre Küsten¸ und niemand wußte zu sagen¸ wie sie dorthin gekommen waren. Auch fanden sie den Brunnen¸ den Wächter und das Land Unter-den-Wogen niemals wieder.
Übrigens das Wächter des Brunnens-Motiv taucht auch in der arthurischen Sage von Der Herrin des Brunnens auf¸ in der Owein¸ der Sohn Uriens¸ in der Tiefe eines im Grenzland liegenden Waldes¸ zunächst den Wächter¸ einen schwarzen Ritter¸ im Kampf tödlich verwundet¸ und dann zu einer von Türmen überragten Stadt verfolgt. Bevor das Volk sich gegen Owein wendet¸ gibt ihm eine junge Frau¸ Luned¸ einen Ring¸ dessen Stein er nach innen wenden mu߸ um unsichtbar zu werden. Sie bringt ihn dann vor der ausschwärmenden Menge in Sicherheit¸ denn Luned wei߸ da߸ wer den Wächter besiegt¸ wird der neue Wächter werden. Die Fürstin vom Brunnen trauert noch um den toten Ritter¸ dann¸ zwei Tage und Nächte später¸ bringt Luned Owein vor ihre Herrin¸ und Owein wird schließlich als neuer Beschützer willkommen geheißen. Drei Jahre lang verteidigt er die Sicherheit des Brunnens und damit des Volkes der Fürstin¸ bis er dabei eines Tages auf seinen Vetter Gawain von Orkney trifft. Mit ihm kehrt Owein an den Hof König Arthurs zurück und vergißt dabei das fremde Land und seine Herrin. Nach drei Jahren erst erinnert er sich und macht sich dann wieder auf die Suche nach der Fürstin und ihrem Palast. Unterwegs rettet Owein einen weißen Löwen vor einer Giftschlange und erhält in ihm ein treuen Wegbegleiter. Eines Nachts findet er Luned in einer Höhle festgekettet¸ sie soll verbrannt werden¸ da für schuldig am Verlust des Wächters befunden. Sie werden von Kriegern der Fürstin angegriffen¸ und mit Hilfe des Löwen kann Owein den Kampf gewinnen. Er befreit Luned und kehrt zurück zur Fürstin. Und in manchen Versionen verlassen Wochen später nun beide das fremdartige Feenland¸ um in der Welt der Sterblichen gemeinsam glücklich zu werden.
Bei Interesse¸ vielleicht bei Gelegenheit mehr zu Fionn und den Fianna...!?
So good¸ so far!
cu
Robert Eibl |