Mayliss
2002-01
[start] Mayliss
Mayliss war ein Mensch mit tausend Eigenheiten. Eine davon war¸ daß sie mitunter von jemandem sprach¸ der definitiv nicht anwesend war. Anders hatte sich längst aufgehört¸ zu fragen¸ von wem die Rede war. Er hielt es durchaus für möglich¸ daß Mayliss unter dem unheilvollen Einfluß der Sterne schlicht und einfach dem Wahnsinn anheim gefallen war- ein Schicksal¸ das schon die scheinbar gelassensten und gefestigten Personen ereilt hatte. Für ihn war es unbegreiflich¸ was die eher furchtsame Mayliss den verderblichen Kräften überhaupt entgegenzusetzen hatte. Sie war keine Abenteurerin¸ schon allein ihr zierlicher Körperbau¸ ihre Abneigung gegen dieses und jenes¸ das Bestreben¸ nicht den winzigsten Schritt zu tun¸ ohne vorher jede mögliche Konsequenz bis zum Ende gedacht hatte¸ zeugten davon.Von Anfang an hatte er gedacht¸ daß Mayliss die Erste sein würde¸ die den psychischen Zusammenbruch erleiden würde¸ aber nun war er es¸ der vor dem Abgrund stand.
Nie hätte er sich träumen lassen¸ daß ihn der Weltraum von innen her aushöhlte¸ daß er langsam unter den bösartigen Blicken der Sterne zunächst unruhig und kraftlos und nach und nach in abgrundtiefe Verzweiflung versinken würde¸ bis er glaubte¸ unter der Belastung in zwei Teile zerbrechen zu müssen. Er hörte über sich in der Wand etwas poltern¸ begleitet von einem leisen Murmeln. Der Gedanke daran¸ daß die zu Beginn so fröhlich wirkende Angelique sich zunächst in sich selbst zurückgezogen hatte und dann ohne Vorwarnung einfach die Verkleidung der Belüftung aufgeschraubt hatte und jetzt seit Tagen in den engen Schächten herumkletterte¸ machte ihn zwar krank¸ aber er konnte einfach nichts tun. Alle Versuche¸ sie zum Herauskommen zu überreden¸ hatten sich als zwecklos erwiesen und selbst als er selbst hineingekrochen war¸ mit dem festen Vorsatz¸ sie notfalls mit Gewalt herauszuholen¸ hatten nichts genutzt. Sie hatte sich nur immer tiefer in das Labyrinth zurückgezogen¸ bis die Gänge so schmal wurden¸ daß er nicht mehr hindurchpaßte. Er hatte zwar den Verdacht¸ daß sie hin und wieder kurz herauskam¸ um sich etwas Nahrung zu holen- denn wie sonst hätte sie es tagelang da drinnen ausgehalten?- hatte sie aber noch nie dabei zu Gesicht bekommen. Fast ebensolche Sorgen machten ihm Ulrich¸ der sich in einem der Räume verschanzt hielt. Er hatte zu ihm hineingerufen und anfangs auch hin und wieder eine Antwort erhalten¸ mit der er aber nicht so recht etwas anzufangen wußte. Fest stand nur¸ daß er sich durch irgend jemand oder irgend etwas bedroht fühlte. Und da war auch noch dieser andere gewesen¸ seltsam¸ daß er dessen Namen nicht mehr wußte. Aber der war auch von Anfang an eigenartig gewesen¸ ein introvertierter Typ¸ der sich zwar auf technische Geräte verstand wie kein anderer¸ der es aber nicht ein einziges Mal geschafft hatte¸ einen vollständigen Satz zu sagen. Als er sich in den Müllschacht gezwängt hatte und sich selbst in den Weltraum gestürzt hatte¸ war im Grunde genommenn niemand wirklich erstaunt gewesen.
Eine schlanke¸ anmutig-katzenähnliche Gestalt wieselte durch den Raum. Ihm waren diese Tiere¸ die über eine beschränkte Art von Intelligenz verfügten¸ unheimlich. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken¸ wenn er daran dachte¸ daß man den Tieren sogar telepathische Fähigkeiten nachsagte¸ ein Gerücht¸ über das er auf der Erde noch gelacht hatte¸ das ihm aber jetzt immer glaubwürdiger erschien.
Mayliss war da ganz anders¸ sie schien sich über die Gesellschaft der Tiere zu freuen. Zuerst hatte diese Tatsache damit abgetan¸ daß sie wie alle Frauen geradezu versessen auf die kuscheligen Wesen sein mußte¸ aber mit der Zeit war ihm klar geworden¸ daß sie sie weder wie Spielzeug¸ noch wie einen Kinderersatz behandelte¸ ihnen keine Kosenamen gab oder Schleifen umband¸ wie es zu erwarten gewesen wäre. Es schien fast so¸ als stünde sie mit ihnen in einer geheimen Verbindung¸ vielleicht waren sie es¸ mit denen sie sprach- wer konnte das schon wissen?
Mayliss kam gerade aus der Steuerungszentrale¸ der Zentralcomputer war hängengeblieben und sie hatte ihn mit Hilfe des Purpurdenkmoduls wieder zum Laufen gebracht¸ indem sie die verhedderten Aktionen der Maschine entwirrt und nach der Reihe abgebrochen hatte. Das Purpurdenkmodul funktionierte allein mit der Kraft der Gedanken¸ es empfing durch Elektroden auf der Kopfhaut Gehirnwellen und übersetzte sie mit komplizierten Rechenprozessen in die Sprache der künstlichen Wesen- aber natürlich nicht jeden Impuls¸ denn es gibt viel zu viele unbewußte und unkontrollierbare Gedanken gleichzeitig im Gehirn¸ sondern nur die jenigen Wellenlängen¸ die entsandt wurden¸ wenn man die Gedanken bewußt mit Purpurrot versah.
Mayliss war vollkommen erschöpft davon¸ ohne ein Wort zu verlieren¸ ließ sie sich auf einen der Sessel fallen und nickte einige Augenblicke später im Sitzen ein. Im Weltraum wurde es schnell nebensächlich¸ wann und wo und wie lange man schlief: Es war vielleicht die einzige Freiheit¸ die sie hier hatten. Ein Tierchen schlich näher¸ beschnupperte sie¸ kuschelte sich an den auf den Tisch gesunkenen Kopf und legte eine samtige Pfote um sie. Anders behielt es mißtrauisch im Auge¸ wollte es schon verscheuchen¸ aber Mayliss sah so zufrieden und entspannt aus¸ daß er Angst hatte¸ er könnte sie aus dem wohlverdienten Schlummer reißen. Die zu Tode erschöpfte Mayliss schien die katzenhaften Wesen magisch anzuziehen¸ schon kuschelte sich ein weiteres Kätzchen schnurrend an sie.
Als sie erwachte¸ wirkte Mayliss ein wenig verwirrt¸ aber echt fröhlich¸ sie trank einen Becher Kaffee¸ das einzige Genußmittel an Bord¸ wenn es auch höchst zweifelhaft war¸ ob es diesen Ausdruck überhaupt verdiente: Schließlich schmeckte es nicht nach Kaffee¸ roch nicht danach und wies bestenfalls äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem beliebten Getränk auf¸ was man aber von jeder bräunlichen Flüssigkeit behaupten konnte¸ aber das schien sie nicht weiter zu stören.
Anders hingegen fand keine Ruhe¸ er merkte schnell¸ daß sich seine Gedanken im Kreis drehten und als er die ruhig dasitzende Mayliss sah¸ mit einem der Tierchen auf dem Schoß und immer noch nahezu unberührt vom aufkeimenden Wahnsinn¸ da war er vollkommen davon überzeugt¸ zu wissen¸ wer dafür verantwortlich war¸ daß allesamt dem Irrsinn anheim gefallen waren. Und er spürte¸ daß ihn etwas zwang¸ seine Hand gegen sich selbst zu erhaben. Er hatte gedacht¸ daß er gegen derartige Einflüsse immun sein würde und daß es ihn höchstens treffen würde¸ wenn einer der anderen vollkommen ausflippte. Aber das genaue Gegenteil war der Fall gewesen:
Der Wahnsinn hatte ihn bereits fest in seine Klauen¸ während ihn das Schicksal der anderen¸ die in seiner Erinnerung seltsam verblaßt waren¸ ziemlich kalt ließ. Man hätte denken können¸ daß die Einsamkeit hier sie enger aneinandergeschweißt hätte¸ aber es schien so¸ als würden sie sich nicht nur von der Erde entfernen¸ sondern sich auch gleichzeitig von einander wegbewegen. Je mehr er selbst innerlich zerrissen wurde¸ desto gleichgültiger wurde ihm¸ was mit den anderen geschah.
Er versuchte¸ sich von dem Schmerz von seiner Seele abzulenken¸ aber da war nichts. Die gesamten Unterarme waren schon mit Kratzern übersät¸ er hatte bisher nicht gewußt¸ wie scheußlich man sich mit bloßen Händen verunstalten konnte. Er schlug gegen einen der Monitore¸ es war zwar kein Glas¸ dennoch zerbrach es. Er hob einen großen¸ scharfkantigen Plastiksplitter auf¸ wurde seines Irrsinns bewußt und ihm war klar¸ daß er nur einen Millimeter vor dem Abgrund stand. Kalt und spitz spürte er die Kante des Splitters über seinen Pulsadern¸ aber dann hielt er inne. Im zerbrochenen Monitor konnte er um die Ecke sehen¸ wie Mayliss unberührt von den Qualen dasa߸ entspannt wie einer der normalen Menschen¸ die nie im Weltraum gewesen waren¸ doch mit den träumerisch glänzenden Augen einer Purpurdenkerin.
Eines der Tierchen saß auf ihrer Schulter¸ das typische Gelb erhob sich strahlend gegen die dunklen Haare und er fragte sich¸ ob sie sich ebenso weich anfühlten wie der Pelz des Tieres.
Wie konnte sie¸ umgeben von unfaßbarem Schrecken¸ so unbeschwert sein¸ wie konnte sie sogar lachen¸ als sie das Tierchen beschnupperte¸ wie konnte sie unter den grausamen Sternen wie das blühende Leben selbst aussehen? Anders wußte die Antwort: Mayliss selbst mußte der Quell des Übels sein. Er trat zu ihr und er wußte¸ wenn er zulie߸ daß sie sich umdrehte¸ vielleicht noch die Züge umspielt von einem Lächeln¸ würde er es nicht mehr fertigbringen.
Eine schnelle Bewegung¸ ein einziger¸ sauber geführter Schnitt die Kehle entlang- und er mußte ihr dabei nicht einmal in die Augen sehen.
Nina Horvath
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