Ruinen von Myth Drannor
2002-01
Lang¸ lang ist es her¸ daß ich mit meinem Brotkasten (Spitzname des einst beliebtesten Spielecomputers C64) vor dem großen Farbfernseher hockte und mit meiner virtuellen AD&D-Heldentruppe der Softwareschmiede SSI nächtelang durch die finsteren Dungeons joggte.
Die AD&D-Computerspiele¸ wie auch Pool of Radiance unterschieden sich¸ in der Art wie Kämpfe abgewickelt wurden¸ auf sehr angenehme weise von anderen Rollenspielen. Durch eine isometrische Aufsicht und kleine grobpixellige Sprites¸ die sowohl Charaktere wie auch Monster darstellten¸ ließen sich Tabletop-ähnliche Schlachten austragen - mit dem gleichen Maß an strategischer Raffinesse.
Drehen wir die Uhr wieder in die Gegenwart vor. Heute bestimmen Titel wie Ultima und Diablo den Markt der PC-Rollenspiele mit isometrischen Aufsicht. Die hervorragende Grafik-Qualität moderner Computer hat aus den ehemals pixeligen Helden und Dungeons wahre Kunstwerke gemacht. Und doch erinnern sich viele PC-Rollenspieler wehmütig an die alten Zeiten und installieren sich vielleicht sogar entsprechende Emulatoren - um ihrer Nostalgie nachzugeben.
Das gerade erschienene "Ruins of Myth Drannor" macht dies überflüssig. Hier finden Fans der alten AD&D-PC-Spieleklassiker eine moderne Version des alten Spielprinzips: D&D-Charaktere¸ isometrische Strategie-Ansicht (schräg von oben)¸ rundenbasierte Kämpfe und das alles mit modernster Grafik und bester Soundqualität. Für die deutsche Fassung zeigt sich UBI-Soft verantwortlich - und die ist wahrlich gut gelungen - gute Synchronstimmen für Zwischenfilme und NSCs und auch die deutschen Bildschirmtexte geben keinen Grund zur Beanstandung.
Charaktererschaffung
Bei Spielbeginn lassen sich vier Charaktere in die "Party" aufnehmen¸ mit denen man das Spiel beginnen will. Weitere zwei NSC lassen sich im späteren Spielverlauf anwerben¸ so daß man mit maximal sechs Helden durch die Dungeons rennt.
Der Einfachheit halber kann man sich die vier Charaktere aus einer kleinen Auswahl vorgefertigter Figuren aussuchen¸ oder sich auch selbst seine Wunschcharaktere zusammenbauen. Dabei orientiert sich die Erschaffung am neuen Dungeons & Dragons 3rd Edition Regelwerk.
Aber der fundamentalistische D&D3-Fan darf auch nicht zuviel erwarten - natürlich wurden die Fertigkeiten und Zaubersprüche dem Niveau eines Computerspiels angepaßt. Darüber hinaus darf man als Spieler nicht selbst entscheiden welche Fertigkeiten der Charakter steigert - das passiert automatisch beim Stufenanstieg. Nur ein Attribut¸ das sich bei manchen Stufenanstiegen steigert darf der Spieler aussuchen¸ ebenso wie die die neuen Zaubersprüche bei arkan Begabten (z.B. Hexenmeister) - Priester bekommen ja immer automatisch das komplette Sortiment zu Verfügung gestellt.
Aber das "automatische Lernen" sollte wirklich nur für den Hardcore-D&D3-Spieler und vielleicht Regelfanatiker ein Problem darstellen¸ da sich die Charaktere eigentlich ganz brauchbar entwickeln - gröbere Fehler¸ wie das nicht-Erlernen wichtiger Fertigkeiten (Wie¸ hier kann keiner Schlösser Öffnen?) kommen so natürlich seltener vor¸ wenn erst mal die richtige Party zusammengestellt wurde (Oh¸ jetzt habe ich mich selbst ertappt - man sollte vielleicht nichht ohne Schurken oder Waldläufer losziehen...).
Was ist nun die 'richtige' Gruppe? Hmm¸ ich zumindest bin da beim alten Konzept geblieben: Krieger (Paladin)¸ Dieb (Schurke)¸ Magier (Hexenmeister)¸ Priester (Kleriker) - funktioniert eigentlich immer. Entsprechend den D&D3-Regeln kann man natürlich auch Mönch¸ Waldläufer und Barbar wählen.
Außerdem darf man sich natürlich - und diese Verführung ist wahrlich groß - im Laufe des Spiels verschiedenste Misch-Charaktere zusammenstellen¸ d.h. z.B. einen Paladin-Schurke-Hexenmeister-Kleriker oder ähnliches. Alles möglich¸ aber unter uns gesagt: sehr uneffektiv. Gerade Hexenmeister und Priester leben davon¸ möglichst schnell eine hohe Stufe zu erreichen¸ um Zugriff auf die wirklich wichtigen Zaubersprüche und Gebete zu erlangen¸ wer da zuviel rummixt¸ bleibt auf der Strecke. Auch sind manche Mischungen eher nicht zu empfehlen. Krieger leben von einer fetten Rüstung - und genau diese sorgt beim Magier für Probleme¸ so daß am Ende lebenswichtige Zauber fehlschlagen!
Wenn man seine Helden zum ersten mal im Spiel hat¸ kann man an einer "Einführung" teilnehmen¸ wo der "SL"¸ also der Computer-Spielleiter¸ einem mit Texten und leichten Beispielen die Grundzüge des Spiels nahe bringt. Ein intensives Studium der Anleitung ist also sinnvoll¸ aber nicht unbedingt erforderlich.
Dann landet die Spielgruppe in einem kleinen Tal¸ wo sie erst mal ein paar recht unangenehme Kämpfe überleben muß - eine Phase¸ in der ich diverse Male neu laden durfte - ich bin simpel überwältigt worden. Aber man beißt sich so durch und wieder einmal bewährt sich das Motto: Save often¸ save early! - Speichern und ggf. neu Laden geht eigentlich relativ fix¸ solange man nicht zwischendurch die Lokalität komplett gewechselt hat (anderes Level des Dungeons¸ andere Landschaft).
Konflikte und Konversation
Wie schon erwähnt arbeitet POR2 mit einer isometrischen Ansicht - und das durch das ganze Spiel hindurch. Man blickt also immer von schräg-oben auf die sehr malerische Landschaft¸ und hat so einen recht guten Überblick über die Räumlichkeiten¸ Türen und ggf. auch Kreaturen in der näheren Umgebung. Eine Kreatur sehen zu können¸ heißt noch lange nicht¸ daß dies umgekehrt ebenso ist. Gerade auf höheren Stufen¸ passiert es häufig¸ daß einen die Monster nicht bemerken und daß das Überraschungsmoment auf der eigenen Seite ist - man darf dann vor dem Gegner eine "halbe" Runde durchführen¸ d.h. sich Bewegen ODER Zaubern.
Dem Angriff geht dann ein Initiativewurf voraus¸ bei dem die Reihenfolge der Figuren (Eigene¸ wie Gegner) festgelegt wird. Später findet man Artefakte¸ die die eigene Initiative erhöhen - sowas unbedingt an den Hexenmeister verteilen¸ da seine Flächensprüche oft ganz zu Beginn den größten Effekt haben.
Danach kommen die Figuren entsprechend der Reihenfolge ran und dürfen sich bewegen und/oder eine Aktion ausführen (Angreifen¸ Trank einnehmen¸ Zaubern). Wenn man sich nicht zu weit bewegt¸ darf man mit dieser Figur noch eine Aktion ausführen. Sehr weite Bewegungen erlauben keine Aktion mehr - manchmal ist es da besser abzuwarten¸ den Gegner antraben zu lassen und erst zum Ende der Runde zuzuschlagen. Aber Vorsicht - manche Aktionen wie die Einnahme eines Tranks¸ Fernkampf oder Zauber ermöglichen jedem Gegner in Reichweite einmal "kostenlos" zuzuschlagen - so mancher Magier ist da zu Boden gegangen bevor der Zauber über seine Lippen kam...
Frische Helden¸ dürfen maximal einmal zuschlagen - später¸ mit wachsender Stufe¸ erhöht sich diese Zahl kräftig. Dann kann man einen oder mehrere Gegner mit einer Aktion fällen. Frische Hexenmeister sollten übrigens bloß nicht auf das Magische Geschoß verzichten - trifft praktisch immer und selbst bei den fiesesten Kreaturen... naja fast.
Zurück zur "Runde". POR2 erlaubt eine Runde zeitlich zu variieren. Während man im Einzelspielermodus "unbegrenzte Zeit" einstellen sollte¸ sind begrenzte Rundenzeiten vor allem beim Multiplayer sinnvoll¸ damit keiner die eigene Aktion für eine Zigarettenpause nutzt.
Durch die isometrische Aufsicht behält man auch bei heftigeren Kämpfen eine gute Übersicht. Sehr sinnvoll sind auch die "Positionsringe"¸ die zwischen 1-3 variieren und neben der genauen Position der Figuren auch grob dessen Körperzustand anzeigen. Die Positionsringe markieren die aktuell aktiven bzw. ausgewählten Figuren¸ es gibt aber auch eine Ansicht wo immer alle Positionsringe sichtbar sind. Das kann stark ablenken aber auch viel Übersicht schaffen.
Bewegen kann man seine Charaktere¸ indem man auf ein erreichbares Stück Boden oder einen Gegner klickt. Der Mauszaigen gibt dabei Auskunft¸ ob der Charakter nach der Bewegung noch handeln darf oder ob er die Stelle überhaupt in einer Runde erreichen kann - viel Belastung durch Ausrüstung wirkt da stark bremsend.
Kämpfe sind übrigens erst zuende¸ wenn der letzte feindliche Gegner besiegt wurde. Es reicht also nicht Gegner per "Freundschaft" oder "Beherrschung" umworben zu haben - auch diese Kameraden-im-Kampf müssen vor einem Sieg gekillt werden - leider¸ wie ich finde.
Wo wir gerade bei den Schattenseiten sind - es nervt später ungemein¸ daß die Gegnerischen Züge stets ausgespielt werden müssen. Wer schon mal einen Zombie schleichen sah¸ weiß was ich meine. Sowas muß man doch abschaltbar einbauen - was interessiert mich welchen Weg der einzelne Zombie geht¸ wenn mir 20 gegenüberstehen und deren Zug 2 Minuten dauert¸ bevor mein Kleriker 18 mit "Untote vertreiben" wegfegt?
Aber ich will gar nicht sagen¸ daß sich die feindliche Bewegung generell nicht anzuschauen lohnt. Wer gegen eine Horde von 30 (?) Dunkelelfen antritt¸ fiebert bei jeder Bewegung des Gegners mit und bangt um das Leben seiner Party... sowas DARF dann auch schon mal ne halbe Stunde dauern¸ wenn es denn notwendig ist. Aber für die öfter vorkommenden Zufallsbegegnungen müßten sich Kämpfe kompakter gestalten lassen.
Aber man kämpft ja nicht nur¸ wenn auch oft. Den Rest der Zeit sucht man sich seinen Weg durch die Dungeons. Hierbei hilft einem die recht komfortable Karte die zuerst Schwarz ist und nach und nach immer mehr von der durchsuchten Landschaft anzeigt. Bemerkenswerte Stellen im Dungeon - oder an der Oberfläche - lassen sich durch Schilder¸ die mit einem beliebigen Text füllen lassen¸ auf der Karte markieren¸ sehr sinnvoll!
Aber die Karte hat auch einen Nachteil: Es ist nicht möglich einen *bekannten* Punkt anzuklicken und die Party im Zeitraffer dort hin wandern zu lassen. Nein¸ man muß jeden - manchmal bescheiden weiten Weg manuell durch das Dungeon laufen - und das kann manchmal wirklich lästig sein¸ wenn man z.B. eine Ecke vergessen hat oder den passenden Schlüssel noch nicht hatte (und der Dieb noch nicht fähig genug war...).
Wo bleibt die Konversation?
Ach ja¸ nicht jedes gemein aussehende Wesen ist bei POR2 auch gleich auf Kampf aus - von den spärlichen guten Kreaturen einmal ganz zu schweigen. Diese Begegnungen sind zwar eher selten¸ aber sie kommen durchaus vor (Verhältnis ca. 20:1). Immer wenn eine Kreatur zu Verhandlungen bereit ist¸ beginnt sie statt einem Kampf eine Diskussion im "Multiple Choice"-Stil. Grundsätzlich hat der Spieler in jeder dieser Konversationen die Möglichkeit sich diese Begegnung komplett zu versauen - und der Trick ist¸ herauszufinden ob man etwas falsch macht¸ diesem Wesen zu trauen oder eben nicht.
Zwei Beispiele: Eine kleine Dunkelelfen-Truppe spricht die Helden an. In einem Fall ist Konfrontation die richtige Lösung. Nur wenn man die Dunkelelfin aufs Äußerste reizt¸ enttarnt sich ihre Gefolgschaft und man muß nicht gegen eine "verdunkelte" Truppe kämpfen. Im anderen Fall hilft nur Kooperation weiter¸ denn ansonsten bleibt einem die Abkürzung versperrt und man hat einen wirklich *weiten* Weg vor sich.
Insgesamt ist dieses System gut gelöst und verstärkt den Rollenspielerischen Aspekt des Spiels¸ denn so manche Unter-Mission kann man sich auf diese weise Ergattern¸ oder auch versauen. Oft sind die Eingangssätze übrigens von einer Sprachausgabe begleitet¸ so daß man einen Eindruck von der Stimme des Gegenübers bekommt. Erst längere Diskussion gehen dann "still" weiter.
Optische Highlights
Man startet bereits in einem graphisch recht überzeugenden "Dungeon"¸ nämlich einem kleinen Tal¸ von dem aus man später in die Unterwelt aufbricht. Diese *gigantischen* Dungeons bestehen im Gegensatz zur Oberwelt¸ wesentlich offensichtlicher aus sich wiederholenden Elementen (Wände¸ Schränke¸ Regale¸ Fässer uvm.) so¸ daß man irgendwann alles schon mal gesehen hat. An der Oberfläche ist das ein klein wenig anders¸ denn hier erinnert die Landschaft eher an ein Gemälde¸ was an den wirklich edel gestalteten Gebäuden bzw. Bauwerken (und deren Innenausstattung) liegt¸ die eher an ein Action-Adventure mit hervorragender Grafik erinnern. Dennoch ändert sich natürlich auch hier oben nicht das Handling der Spielfiguren¸ Feinde oder Objekte.
Was für mich ein wirklich überraschendes Element war: nachdem ich aufgrund der irgendwann furchtbar eintönig werdenden Dungeon-Grafik schon beinahe die Lust verlor eröffnete sich mir der Rest der Oberwelt¸ der die gesamte Stadt umfaßt (ein gigantisches Gelände mit wunderschöner Landschaft!) von der aus man wieder Zutritt zu weiteren Dungeons und Gebäuden hat. Da wurde das Spiel doch wieder richtig abwechslungsreich und ungemein motivierend.
Es ist übrigens oft durchaus möglich einfach stur die Gänge entlang zu rennen und sich nur die Räume vorzunehmen¸ die einem am interessantesten erscheinen. Dadurch mögen sich manche Spielpassagen schneller bewältigen lassen - aber zum einen rächt sich das an den entgangenen Erfahrungspunkten und zum anderen verstecken sich in dem ein oder anderen einfach aussehenden Raum wichtige Gegenstände oder Schlüssel.
Die Figuren entsprechen dem guten Standard¸ den man heutzutage von einem Spiel dieser Art erwartet. Das Aussehen der Charaktere läßt sich bei Spielbeginn selbst aussuchen - und im Spiel ändert sich das Aussehen entsprechend der benutzen Ausrüstung. Rüstung¸ Waffen und Schilde sind also direkt nach dem Anlegen sichtbar.
Anleitung
Die Online-Einführung¸ sowie eine Liste der Hotkeys (F1) liefert eigentlich die wesentlichen Informationen auch ohne in der Anleitung zu kramen. Aber gerade für die Zaubersprüche lohnt sich immer wieder mal ein Blick in die gut übersetzte Anleitung. Aber gut übersetzt heißt nicht auch gut strukturiert - Pustekuchen. Man hat beim Übersetzen schlicht übersehen auch die Zaubersprüche neu zu sortieren - trotz deutscher Spruchnamen wurde die alphabetische Sortierung der englischen Spruchnamen beibehalten... Chaos. Selbst für mich¸ der auch die meisten englischen Spruchnamen kennt¸ war dieser zusätzlich Denk- und Suchaufwand mehr als hinderlich. Schade das man bei Ubi-Soft nicht gleich reagiert und ein entsprechendes PDF mit einer richtig sortierten Spruchliste in das Patch-Archiv mit eingebunden hat.
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Fazit:
Ich kann abschließend wirklich nicht meckern¸ ich habe einen ca. zwei bis drei Wochen dauernden abwechslungsreichen Trip durch die geheimnisvollen Ruinen Myth Drannors hinter mir¸ bin auf viele Geheimnisse¸ Dunkelelfen und sogar Drachen gestoßen - allein auf Beholder mußte ich vergeblich warten. Mir hat das Spiel einen Höllenspaß bereitet¸ auch wenn ich jetzt froh bin¸ daß ich das Spiel geknackt habe (muß ja auch noch anderes Material rezensieren ;-).
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