Am Weiher
2001-01
von Andreas Fischer
du hattest Tränen in den Augen stehn,
standest dort in deinem schönsten Kleid,
sie sprachen von tiefer Trauer und Leid..."
Weiter kam der Barde nicht, ein schwerer Bierkrug aus gebrannten Ton flog knapp an seinem Kopf vorbei. Ihm waren die letzte Worte im Hals stecken geblieben. Wie erstarrt stand er auf dem Podest und blickte in das erhitzte Gesicht des Krugwerfers. „Hört auf!" schrie er dem Barden entgegen und erhob sich schwerfällig. An seinem Gang konnte man unschwer erkennen, daß er etliche Krüge Bier bereits geleert haben mußte. Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter. „Setzt euch wieder hin und laßt den Barden weiter sprechen!" befahl ihm der Wirt. Wütend riß sich der Betrunkene von der Hand los.
„Ich werde dieser Versschleuder das Lügenmaul stopfen..." grollte er und stürmte nach vorne. Der Wirt versuchte dem Bardenhasser daran zu hindern, bekam ihn aber nicht mehr an seinem Leinenhemd zu fassen. Sollte er hinter ihm herlaufen oder abwarten?
„Du hast mich beobachtet!" Der Betrunkene hatte den Barden fest am Flachskragen seines blauen Kostüms gepackt und zu sich hingezogen.
Schwerer, bierverseuchter Atem schlug dem Barden entgegen, der scheinbar überhaupt nicht wußte, warum dieser Gast so empfindlich auf sein lyrisches Gedicht reagierte.
„Dieses Gedicht stammt noch nicht einmal von MIR, ich habe es vor einiger Zeit in Zyr gehört. Vorgetragen von einer jungen, hübschen Bardin. Ich weiß nicht, was ihr von mir wollt..." erwiderte er sichtlich eingeschüchtert. „Laßt den Mann los!" mischte sich eine weibliche Stimme ein. „Halt's Maul, Weib! Scher dich in deine Küche und kümmere dich um deine schreienden Bälger!" schnaubte der Gast verächtlich.
„Das werde ich nicht..." erwiderte die Stimme kühl und ruhig, „aber ihr werdet den Versschmieder jetzt loslassen und euch wieder hinsetzen!"
„Frauenzimmer!" höhnte der Betrunkene. „Scher dich hinter den warmen Ofen, du räudiges Straßenweib!"
„Ihr habt zuviel getrunken!" kommentierte die Frau, „Setzt euch jetzt hin, sonst..."
Der Betrunkene ließ den Barden verächtlich los. „Ich werde mich erst dieser Weibsperson annehmen!" erklärte er lallend, „heb deinen Rock und mach die Beine breit!" befahl er ihr. Mit einem lüsternen Blick wandte er sich zu der Frau zu. Sie schaute dem Mann direkt in die Augen. Es war nicht schwer zu erkennen, daß der Mann viel zu viel Starkbier getrunken hatte. Seine langen, schwarzen Haare klebten an seinem verschwitzten, dicken Gesicht. Direkt unter seinen blutunterlaufenen Augen thronte eine dicke, rote Knollennase. Mit einem abfälligen Grinsen öffnete er den Mund, in dem schwarze, abgebrochene Zahnstümpfe wie windschiefe Bäume standen.
„Los leg dich hin!" befahl er ihr mit schmieriger Stimme. „Wir werden den Leuten hier eine Belustigung besonderer Art bieten!"
„Das denke ich nicht!" widersprach ihm die junge Frau mit sachlicher Stimme. „Setzt euch einfach hin oder geht nach Hause!"
Die Gäste im Wirtshaus starrten gespannt auf den Betrunkenen und die junge, mutige Frau.
Der Betrunkene wankte ein wenig. Wie konnte es eine Frau nur wagen, ihm zu widersprechen? Dafür sollte sie bezahlen. Seine Hände schossen nach vorne, um die Frau an den Armen zu packen, doch sie griffen ins Leere. Mit einer raschen, fließenden Bewegung war die Frau zur Seite ausgewichen und schaute den Betrunkenen angriffslustig an. „Wenn ihr mich fangen wollt, müßt ihr schon etwas schneller sein!" meinte sie mit verschmitzter Stimme.
„Na warte!" grollte der Betrunkene und stürzte auf die Frau zu. Behende wie ein flinkes Eichhörnchen sprang die Frau auf den nächstbesten Tisch, unterhalb der Bühne, zu. Mit hochrotem Kopf und einer zornigen Miene hechtete der Betrunkene hinter ihr her. Als seine Füße den Tisch erreichten, war die Frau bereits auf den nächsten Tisch gehüpft und lockte den Betrunkenen mit weiteren Sticheleien. Seine Arme ruderten wild hin und her, schwerfällig suchte der Volltrunkene nach seinem Gleichgewicht. Wie ein wankender Riese bog er sich schwerfällig nach links und rechts, bis er endgültig die Balance verlor und wie ein nasser Mehlsack vom Tisch stürzte.
Mit stummen Blicken verfolgten die Gäste der Schenke den Fall des betrunkenen Mannes. Mit einem lauten, klatschenden Geräusch schlug der Mann auf dem schmutzigen Holzboden auf und blieb regungslos liegen. Für einen kurzen Moment herrschte absolute Stille im Wirtshaus, dann brach ein lauter Jubel aus und der mutigen Frau wurde begeistert applaudiert, sogar Kupfer- und Silbermünzen regneten auf sie nieder.
Die junge Frau badete sichtlich erfreut in ihrem Applaus und klaubte nebenbei die Münzen vom Boden auf. Schließlich zerschnitt die melodische Stimme des Barden, den abebbenden Applaus.
durch euch, ist mein Auge nicht blau,
nun kann ich weitersingen,
und den Leuten Unterhaltung bringen..."
Die Frau bedankte sich noch einmal herzlich bei den Gästen und verließ sichtlich zufrieden das Wirtshaus.
Es war Nacht geworden. Am Waldesrand flackerte ein schwaches Lagerfeuer und beleuchtete eine kleine Gruppe.
„Nächstes Mal fällst Du vom Tisch und ich spiele den Barden!" murmelte der Mann mit der Knollennase.
„Du kannst doch gar nicht dichten!" widersprach der Barde.
„Aber ich!" entgegnete die junge Frau. „Morgen spiele ich eine Bardin, die von ZWEI Betrunkenen belästigt wird, dann werden die Leute wohl noch mehr spendieren!" Mit zufriedener Miene ließ sie die Geldstücke in ihrem Lederbeutel klimpern.
„Aber ich falle morgen nicht vom Tisch!" warf der Knollennasenmann ein. „Mein Schädel brummt immer noch, wie ein aufgebrachter Bienenstock!"
„Meinetwegen!" grinste der Barde, „dann schlage ich dich im Kampf aus Versehen nieder?"
„Mein Kinn schmerzt noch immer von vorgestern. Kannst du dir nicht mal etwas anderes einfallen lassen?"
„Mmmh", grübelte der Dichter, „nun gut. Morgen kannst du dich ausruhen, was meinst du Yasmin?"
„Gut Degoran, Rufus macht morgen Pause und du fällst vom Tisch!"
Rufus nickte und schaute die anderen beiden zufrieden an.
Degoran betrachtete seine Spießgesellen für einen kleinen Moment nachdenklich, „Warum will die Welt nur betrogen werden?"
Andreas Fischer
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